# taz.de -- Eine Sommer-Playlist aus Widersprüchen: Ich will Gespenster vergessener Utopien wecken
       
       > Was verbindet Windeln, Waffen und weiße Männlichkeit? Ein Text über
       > Widersprüche, Wünsche – und Reels als neue Kriegsübung.
       
 (IMG) Bild: Zwischen Reels, Clubbässen und Sandkasteneis
       
       Ich mag den frühen Morgen und verpasse ihn oft. Ich bin weiß und männlich
       und schäme mich dafür. Das ist megaweiß und -männlich. Ich [1][schaue gerne
       Reels] und Serien parallel, um für die Herausforderungen des Alltags zu
       trainieren. Mit 18 verweigerte ich den [2][Kriegsdienst].
       
       Zu der Zeit schrieb ein Philosoph, Clubs würden die Jugend auf den Krieg
       vorbereiten. Vielleicht gilt heute dasselbe für Reels. Ich liebe düstere
       Clubmusik, die mich lehrt, Schönheit im Bedrohlichen zu finden. Wenn mir
       meine Nichte im Sandkasten ein Eis schenkt, berühre ich die Kugel aus Sand,
       die sie in eine Plastikwaffel gestopft hat, nicht wirklich mit meiner
       Zunge. Ich stoppe drei Zentimeter davor.
       
       Es gibt Loops, die mich befreien: zu denen ich tanzen kann. Es gibt Loops,
       die mich einsperren: Meinungen wie Fallen im Raubtiergehege – sie schnappen
       zu, wenn sie die Welt bei der nächsten Lüge erwischen, damit ihnen die
       Dämonen aus dem Feed zuzwinkern.
       
       Wie wäre es, sich zu bewegen wie Tiere, die kein Gehege kennen – quer zu
       Systemen, quer zu Grenzen? Ich finde es okay, ein Einkommen zu haben, das
       unter dem Existenzminimum liegt. Voll privilegiert, so was zu sagen.
       
       ## Widersprüche schätzen lernen
       
       Ich liebe viele Menschen. Ich sage es ihnen meistens nicht. Es soll ein
       Geheimnis bleiben – bis zu dem Tag, an dem ich nichts mehr fühle. Weil ich
       besser mit der Möglichkeit lebe als mit der Gewissheit, dass es nicht
       erwidert wird. Kommt eine Person in einen Blumenladen und fragt: Wo sind
       denn hier die gansen Roses?
       
       Ich bin geflasht von Witzen, die Dinge unverbunden nebeneinanderstellen.
       Dort darf alles nebeneinanderstehen, ohne zu zerbrechen. Gefragt zu werden,
       was ich arbeite, macht mich nervös. Ich mache weder dies noch das, fühle
       mich in jeder Rolle fehl am Platz. Es klingt so überheblich, das zu
       behaupten.
       
       Ich finde, Solidarität darf nicht selektiv sein. Sie muss auch mit denen
       möglich sein, die nicht denselben Kram in der Schule lernen, dieselbe
       Sprache sprechen, die [3][gleiche Staatsräson] teilen.
       
       Ich habe irgendwann vergessen, was ich will. Fuck, ich wollte mal so viel.
       Heute spiele ich bis nachts Percussion im Studio, während andere Windeln
       wechseln oder edlen Whisky in Bars trinken, die aussehen wie [4][Apple
       Stores.] Bevor es Autos gab, wurden Straßen gebaut. Bevor es Geld gab,
       wurden Wünsche erfunden, die nur gekauft werden können.
       
       ## Wie scheiße alles ist
       
       Als Kind wollte ich oft Markenkleidung, bekam sie nur selten. Ich wollte
       dazugehören. Irgendwann merkte ich: Ich will das gar nicht. Und ahnte: Zu
       verweigern, was alle wollen, ist vielleicht das Wollen, das ich wollen
       soll. Eine Freundin schrieb mal ein Manifest, das mich krass beeindruckte.
       
       Die Ideen fühlten sich so neu an. Ich erinnere mich, wie mir die Freundin
       an einem Sommerabend den Joint reichte und den letzten Satz daraus vorlas:
       „Wenn die Natur ungerecht ist, ändere die Natur.“
       
       Seitdem traue ich mich manchmal, Wünsche zu äußern in einer Welt, die sich
       nur spürt, wenn sie stetig wiederholt, wie scheiße alles ist, wie scheiße
       alles ist.
       
       Seitdem will ich sehr viel. Seitdem will ich, keine Ahnung, Brücken bauen,
       Gespenster [5][vergessener Utopien] wecken – und in der Leere zwischen
       Freundschaft und Liebe liegen und Musik hören. Wenn die Natur ungerecht
       ist, ändere die Natur.
       
       Ich versuche mein Bestes.
       
       23 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Rhensius
       
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