# taz.de -- ESC in Basel: Glitzer, Gefühl und Elektrotrance
       
       > Der queere Künstler JJ aus Wien gewinnt den 69. Eurovision Song Contest.
       > Israels Yuval Raphael wird Publikumsliebling – trotz politischer
       > Kontroversen.
       
 (IMG) Bild: Doch keine Liebe verschwendet: JJ gewinnt mit „Wasted Love“ den ESC
       
       Am Ende ging es bei dem [1][diesjährigen ESC in Basel] nur um zwei
       24-Jährige: JJ, bürgerlich Johannes Pietsch, Opernsänger als Countertenor,
       und Sängerin Yuval Raphael, Überlebende des Hamas-Terrorangriffs auf dem
       Supernova-Festival am 7. Oktober 2023.
       
       JJ performte auf dem einmal mehr technisch anspruchsvollen und
       spektakulären Eurovision Song Contest sein Elektrotrance-Lied „Wasted
       Love“. Er gewann die Jurywertung mit weitem Abstand. Dagegen überzeugte
       Yuval Raphael mit ihrer getragen intensiven Ballade „New Day Will Rise“ das
       Publikum. Doch wer holt den ESC nach Hause? Er oder sie?
       
       Der Mann der hohen Töne, Kind eines philippinisch-österreichischen Paares,
       holte schließlich noch so viele Punkte vom Publikum, dass an seinem Triumph
       nichts zu zweifeln war: Beifall in der St. Jakobshalle von Basel, und auch
       in den Social-Media-Kanälen bekam der Österreicher nicht minder Applaus.
       Sehen konnte man im Fernsehen auch, wie be-, ja gerührt die legendäre
       ESC-Siegerin von 2014, Conchita Wurst, von diesem Gewinner ist. Wie auch
       Conchita Wurst, versteht sich JJ als offen queer. Udo Jürgens, der dritte
       ESC-Sieger für Österreich, hätte ihnen gewiss auch applaudiert.
       
       Vier Stunden dauerte die Show, mit der das Schweizer Fernsehen sehr cool
       und ausgesprochen charmant mit allen Klischees in eigener Sache spielte,
       Alphörner, Schokoladenproduktion und eine gewisse Heidi-eske Spießigkeit
       inklusive. Und doch zeigte es, dass es eine eurovisionäres Event der
       Spitzenklasse, auch ästhetisch, produzieren kann. Sandra Studer, Hazel
       Brugger und Michelle Hunziker moderierten erfrischend locker, Sprachstanzen
       spulten sie nicht ab. Der ESC ist seit seiner ersten Auflage 1956 in Lugano
       politisch an sich, weil diese Show immer auch eine Art Wasserstandsmeldung
       in puncto queerer Freiheit ist.
       
       ## Israel gewinnt Publikumsvoting
       
       Auch sonstige [2][weltanschauliche Zwistigkeiten] werden verhandelt, das
       lag in diesem Jahr am Faktor Israel. Es gab Demonstrationen vor der Halle
       gegen die israelische Überlebende des Hamas-Massakers, Forderungen nach
       Ausschluss des Landes vom Contest, Buhrufe in der Halle, gar ein
       vereitelter Farbbeutelanschlag von zwei Personen auf die israelische
       Performance (den man im Fernsehen nicht sah) und auch Kommentare des
       spanischen Fernsehens, die sich gegen die Israelin richteten.
       
       Entsprechend hartherzig bis desinteressiert reagierten die Jurys, Profis
       der Musikwirtschaft, in den 36 Ländern, die Israel zu bewerten hatten: Nur
       durch sie gewogen worden – wäre Yuval Raphael für ihre sensationell sicher
       vorgetragene Hymne unter ferner sangen abgestraft worden. Beim Publikum
       indes gewann sie.
       
       Wichtig an diesem Abend des Eurovision Song Contest war auch, dass dieser
       als europäische Antwort auf Trumps antiqueere Politik zu verstehen war. So
       etwa formulierte es Moderator Thomas Hermanns in der ARD.
       
       ESC – das ist eben eine queere Familienshow, bei der inzwischen die homo-
       und transphobsten Länder (wie die Türkei, Ungarn, die Slowakei oder gar
       Russland und Belarus) aus ebendiesen Gründen den ESC ablehnen: viel zu
       (auch) schwul, zu lesbisch, zu feministisch, zu genderfluid, um dort und
       auch in den USA ausgestrahlt zu werden.
       
       Interessant am gesamten Reigen der 26 Final-Acts und der elf in den
       Semifinals am Dienstag und Donnerstag ausgeschiedenen Beiträge war, dass
       das [3][Friedensthema], sonst ein klassisches ESC-ästhetisches Anliegen,
       faktisch blind blieb. Dafür kreisten die meisten Acts um das Thema
       Selbstbehauptung (Finnland und Malta mit jeweils von manchen auch als
       vulgär missverstandenen Vorträgen), Liebeskummer (der Österreichs JJ, auch
       der deutsche Beitrag von Abor & Tynna), Identitätssuche (Spanien, Italien
       u.a.) und Selbstbestimmung (Dänemark, Frankreich, Albanien).
       
       ## Deutschland im Mittelfeld
       
       Dass es mal mehr, dann weniger gelungene Albernheiten gab, liegt in der
       Natur der Sache, die sich wie Diversität buchstabiert: Schwedens Sauna-Lied
       zählt hierzu ebenso wie die isländischen Jungs, die in kalten Gewässern
       (des Lebens) sich (frei)schwimmen wollen.
       
       Der deutsche Act Abor & Tynna kam mit „Baller“ auf den 15. Platz – was
       eventuell auch daran lag, dass das österreichische Geschwisterpaar
       emotional nicht allzu beteiligt wirkte: Mitreißend geht anders. Ob das
       deren Mentor Stefan Raab kränkt, er noch einen Versuch möchte, die
       deutschen ESC-Geschicke zu dirigieren, ist offen.
       
       Die nicht gerade quotenverwöhnte ARD erreichte mit ihrem ESC-Programm die
       höchsten Marktanteile unter allen Sendern; mit 8,55 Millionen
       ZuschauerInnen lag der Sender ESC-historisch für Deutschland im höheren
       Bereich.
       
       Sicher ist: Österreich scheint glücklich über den Sieg oder wie JJ selbst
       sagt: „Wir ham den Schas gewonnen!“ Vermutlich wird es im Mai 2026 in Wien
       weitergehen.
       
       18 May 2025
       
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 (DIR) Jan Feddersen
       
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