# taz.de -- Klimaklage gegen RWE: Wie sicher stürzt der Gletscher?
       
       > Saúl Luciano Lliuya klagt gegen RWE. Im Prozess hängt vieles an der
       > Frage, wie wahrscheinlich ein schmelzender Gletscher sein Haus verwüsten
       > wird.
       
 (IMG) Bild: David gegen Goliath: Der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya klagt gegen RWE (vor dem Gericht in Hamm, 17.3.2025)
       
       Hamm taz | Roda Verheyen, die Anwältin des Klägers [1][Saúl Luciano
       Lliuya], übt scharfe Kritik: „Auf unserer Seite herrscht
       Fassungslosigkeit“, sagt sie. Im Prozess gegen den deutschen Energiekonzern
       RWE kommentierte sie so die Aussagen von Rolf Katzenbach, der vom Gericht
       als Sachverständiger geladen wurde. Offensichtlich sei er kein Experte fürs
       Hochgebirge.
       
       [2][Lliuya arbeitet als Bauer und Bergführer in den peruanischen Anden].
       Weil ein Gletscher schmilzt, fürchtet er, dass ein See oberhalb seines
       Hauses überläuft. Wenn ein großer Eis- oder Felsblock in den See stürzt,
       könnte es zu einer gigantischen Flutwelle kommen, die sein Haus und die
       nahe Stadt Huaraz verwüstet.
       
       Er verklagt RWE, weil der Konzern als einer der größten CO₂-Emittenten
       weltweit für etwa 0,38 Prozent des CO₂-Ausstoßes seit der
       Industrialisierung verantwortlich sein soll. [3][Mit der Klage will Lliuya
       erreichen, dass RWE sich finanziell an Schutzmaßnahmen gegen eine
       Überflutung beteiligt]. Am Montag fand der erste Prozesstag seit 2017
       statt.
       
       In einem technischen Für und Wider versuchte das Gericht zu klären, wie
       hoch das tatsächliche Risiko ist, dass Lliuyas Haus in den nächsten 30
       Jahren durch eine Flutwelle beschädigt wird. Dazu befragten die
       Richter*innen den Sachverständigen Katzenbach. Der Professor für
       Geotechnik an der Technischen Universität Darmstadt hatte zwei Gutachten
       geschrieben und kam zu dem Schluss, dass das Risiko bei unter drei Prozent
       liege. Anwältin Verheyen kritisierte, dass darin potenzielle Felsstürze und
       der tauende Permafrost nicht ausreichend berücksichtigt seien.
       
       ## Gutachten gegen Gutachten
       
       Ein Gutachten, das von den Anwält*innen Lliuyas in Auftrag gegeben
       wurde, kommt dagegen auf ein Risiko von mindestens 30 Prozent. Die beiden
       Gutachten unterscheiden sich vor allem darin, dass das Gutachten der
       Klägerseite das konkrete Risiko für Huaraz und Lliuyas Haus aus Eis- und
       Felsstürzen in anderen Gebirgen ableitet.
       
       Katzenbach besteht hingegen darauf, dass die Risikoeinschätzung auf einer
       „ortskonkreten“ Betrachtung basieren müsse. „Es gibt so viele lokale
       Einflüsse auf Felsstürze, ich käme gar nicht auf die Idee, das von woanders
       zu übertragen.“ Ein [4][Vergleich zwischen Alpen und Anden beispielsweise
       sei wie der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen].
       
       Verheyen sagte, auch ihr Gutachten sei ortskonkret, nutze aber bessere
       Methoden. Katzenbach stimmte zu, dass das Gutachten der Klägerseite anhand
       von Satellitenbildern sehr gut darstelle, warum ein Felssturz möglich ist.
       Es helfe aber nicht dabei, die Wahrscheinlichkeit dieses Felssturzes zu
       berechnen. Selbst im unwahrscheinlichen Fall einer Überschwemmung, so
       Katzenbach, wäre die Flutwelle nur 20 Zentimeter hoch und käme nur im
       Schritttempo voran.
       
       Die drei Richter*innen müssen entscheiden, ob Lliuya dadurch ausreichend
       beeinträchtigt wäre, um RWE zu Schadensersatz verpflichten zu können. Auch
       müssen sie letztlich bestimmen, wessen Definition von „ortskonkret“ sie
       folgen.
       
       ## Gibt es eine rechtliche Grundlage?
       
       In der Folge sehr dramatisch wäre die Entscheidung aber noch aus einem
       anderen Grund: Ein Urteil wäre ein Präzedenzfall für die deutsche Justiz.
       RWE argumentiert, dass es keine rechtliche Grundlage gebe, um einzelne
       Emittenten für globale Folgen des Klimawandels zivilrechtlich haftbar zu
       machen, weil dann auch jede*r Einzelne in Deutschland verklagt werden
       könne, wenn er zum Beispiel einen Verbrenner fährt.
       
       Dieser Auffassung widersprach Richter Rolf Meyer gleich zu Anfang des
       Prozesstages. Der durchschnittliche CO₂-Ausstoß eines Menschen in
       Deutschland ist weit geringer ist als der RWEs – die Argumentation des
       Konzerns schüre eine unberechtigte Angst. Stattdessen gehe es um das
       Spannungsfeld zwischen dem Schutz des Eigentums und der unternehmerischen
       Freiheit, aber auch der Verantwortung von RWE. Das sei besonders deswegen
       interessant, weil nur das Risiko besteht, dass Lliuyas Haus von einer
       Überschwemmung beschädigt wird, der konkrete Fall aber noch nicht
       eingetreten ist.
       
       ## Nur rund 20.000 Euro, aber ein Präzedenzfall
       
       Sollte Lliuya Recht bekommen, müsste RWE wohl nur rund 20.000 Euro zahlen,
       um Schutzmaßnahmen mitzufinanzieren. Aber Kläger*innen weltweit hätten
       einen Präzedenzfall, um mindestens in Deutschland fossile Konzerne vor
       Gericht zu bringen.
       
       Das [5][OLG Hamm erkannte die Klage schon 2017 als zulässig an]:
       CO₂-Emissionen können auch dann zu Schadenersatz verpflichten, wenn die
       Kraftwerke staatlich genehmigt wurden. „Im Prinzip haben wir schon
       gewonnen“, sagte Verheyen nach dem ersten Prozesstag. Nur könnte es sein,
       dass Lliuya am Ende nichts davon hat.
       
       Die Fragen an Katzenbach wurden am späten Nachmittag unterbrochen. „Wir
       sind alle an unsere Grenzen gekommen“, sagte Richter Meyer, der mit
       fortschreitender Zeit immer verzweifelter die Stirn runzelte. Am Mittwoch
       geht es weiter. Entschieden wird dann vorerst nur über das Risiko. Sollten
       die Richter*innen dieses als hoch genug einschätzen, ist noch in diesem
       Jahr ein Urteil möglich.
       
       Bis Mittwoch haben Lliuyas Team und [6][RWE] auf jeden Fall Zeit, sich
       auszutauschen: Sie sind im selben Hotel untergebracht.
       
       17 Mar 2025
       
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