# taz.de -- Fußball in der Türkei: Auch ein System kann eine Verletzung erleiden
       
       > Die politische Lage in der Türkei färbt auf den Sport ab. Weder Teams
       > noch Fans können im türkischen Fußball noch an faire Spiele glauben.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur Fans von Galatasaray glauben, dass es im türkischen Fußball nicht mit rechten Dingen zugeht
       
       Es ist der letzte Tag des Ramadan in Istanbul. Gerade aus dem Flugzeug
       gestiegen, mache ich mich auf den Weg nach Beşiktaş zum [1][Istanbuler
       Derby] gegen Galatasaray. Die Straßen sind überfüllt mit jubelnden Fans.
       Wer es sich leisten kann, sitzt in vollgepackten Restaurants, trinkt Rakı
       und isst Fisch. Die anderen versammeln sich im Dichterpark um die Ecke.
       Hupen, Trommeln, Fackeln, Feuerwerk und Rauch. Leere Bierflaschen bedecken
       die Füße der Statuen berühmter Poeten. In einer Seitenstraße versucht ein
       Jugendlicher, auf dem Hinterrad seines Motorrads zu fahren, um die Menge zu
       beeindrucken, und fällt stattdessen auf den Rücken.
       
       Wild mit Händen gestikulierend beschimpfen betrunkene Männer die Mütter des
       ungeschlagenen Tabellenführers und Meisters der letzten beiden Jahre:
       Galatasaray. Beşiktaş, der Verein, den ich unterstütze, hat zwar keine
       Chance mehr auf die Meisterschaft, doch für eine andere Mannschaft ist
       dieses Spiel extrem entscheidend: Fenerbahçe.
       
       Das Team auf der anderen Seite des Bosporus befindet sich im Titelrennen
       mit Galatasaray. Gala wirft deshalb den anderen beiden Mannschaften vor,
       einen Pakt gegen sie zu schmieden, der als „Bruderschaft der Vögel“
       bezeichnet wird, eine Anspielung auf die Symbole der Vereine, den
       Kanarienvogel und den Adler. Nicht nur diese Verschwörung hat die Süperlig
       infiziert. Denn der türkische Fußball ist krank.
       
       Das Misstrauen gegenüber der Türkischen Fußball Föderation ist in den
       letzten Jahren gewachsen. Fast alle Mannschaften, deren Fans, aber auch
       Trainer wie [2][José Mourinho] von Fenerbahçe, glauben, dass die
       Schiedsrichter korrupt und Spiele schon im Vorhinein entschieden sind. So
       sieht es in einem Land aus, in dem niemand mehr an Recht und Gerechtigkeit
       glaubt.
       
       ## Theorien zu Protesten
       
       Vor zwei Wochen hat die Regierung Erdoğan den Hauptkonkurrenten des
       Präsidenten, [3][den Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, illegal
       verhaftet]. Seitdem gibt es [4][täglich landesweite Proteste]. Eine Theorie
       besagt, dass der Schiedsrichter des heutigen Spiels falsche Entscheidungen
       treffen wird, um Beşiktaş zum Sieg zu verhelfen.
       
       Denn das würde das Titelrennen wieder spannend machen und die
       Aufmerksamkeit von den Protesten zurück auf den Fußball lenken. Wenn alle
       Teams gegeneinander kämpfen, bleibt kaum Zeit für Politik. Meine Freunde,
       Gala-Fans, drängen mich, nach Beyoğlu zu fahren: Galatasaray-Gebiet. Der
       Taxifahrer unterwegs, ebenfalls Anhänger des Tabellenführers, glaubt schon,
       dass der Schiedsrichter „das Spiel kaputt machen wird“. Auf der belebten
       Straße versuchen Kellner, mich und meine Freunde in ihr Restaurant zu
       locken. Wir setzen uns. Der Fernseher läuft. Ich überhöre, wie sich ein
       Tischnachbar sorgt, dass der Schiedsrichter zu unerfahren sei. Anpfiff.
       
       ## „Du Metzger, du Gauner!“
       
       Beşiktaş erzielt in der 23. Minute ein frühes Tor. Die Gala-Fans im
       Restaurant wüten. In der 33. Minute werden ihre Befürchtungen wahr: Der
       rechte Verteidiger, Frankowski, tritt einem Beşiktaş-Spieler von hinten,
       als dieser kurz vor dem Strafraum den Ball erobern will. Der Schiedsrichter
       gibt Gelb.
       
       Der VAR-Assistent ruft den Schiedsrichter und die Entscheidung wird auf Rot
       geändert. Vielleicht eine harte Entscheidung, die für Empörung sorgt. „Du
       Metzger, du Gauner!“, ruft ein Kind weinend dem Schiedsrichter zu.
       Galatasaray spielt zu zehnt und verliert 1:2. Anderswo jubeln vielleicht
       die Fans von Fenerbahçe, die so sicher waren, dass Regierung und
       Fußballverband alles tun würden, um sie um den Meistertitel zu bringen.
       
       Der Rückstand auf Galatasaray beträgt wahrscheinlich nur noch drei Punkte.
       Am Mittwoch treffen die beiden Mannschaften im türkischen Pokal in
       Fenerbahçe aufeinander. Eines ist sicher: Gerechtigkeit wird es nicht
       geben.
       
       1 Apr 2025
       
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