# taz.de -- Mord an Burak Bektaş: „Da ist ein Killer, und keiner will wissen, warum“
       
       > Helga Seyb und Markus Tervooren wollen wissen, wer Burak Bektaş 2012
       > erschossen hat. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen die Ermittler.
       
 (IMG) Bild: Helga Seyb und Markus Tervooren vor dem Denkmal für Burak Bektaş
       
       taz: Frau Seyb, Sie engagieren sich in der Initiative für die Aufklärung
       des Mordes an Burak Bektaş. Herr Tervooren, Sie sind in der Vereinigung der
       Verfolgten des Nationalsozialismus VVN-BdA aktiv. Warum widmen Sie sich der
       Aufklärungsarbeit rechter Strukturen und Gewalt? 
       
       Helga Seyb: Nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 haben wir
       gesagt, es soll nie wieder passieren, dass die Betroffenen und Familien mit
       einer Nichtaufklärung alleine gelassen werden. Kurze Zeit später, am 5.
       April 2012, geschah [1][der Mord an Burak Bektaş und die Mordanschläge auf
       seine Freunde]. Wir waren erschüttert und wollten herausfinden, wie die
       Polizei ermittelt – in der Hoffnung, dass das nicht wieder schief läuft.
       Und da der Mord immer noch nicht aufgeklärt ist, gibt es uns immer noch –
       mit dem Versprechen, dass wir aktiv sein werden, bis es eine Aufklärung
       gibt.
       
       Markus Tervooren: Die Aufklärung von rechten Straftaten und die
       Täter*innen dafür zur Verantwortung zu ziehen, ist unsere DNA. Aus dem
       Grund haben wir uns nach 1945 gegründet, und das ist nach wie vor eines
       unserer Hauptanliegen. Das dauert extrem lange. Das Wichtigste ist,
       dranzubleiben, und das nicht Monate oder Jahre, sondern oft Jahrzehnte.
       
       taz: Warum wurde der Mörder von Burak Bektaş, der am 14. Februar 35 Jahre
       alt geworden wäre, noch immer nicht gefunden? 
       
       Seyb: Ein halbes Jahr nach der [2][Selbstenttarnung des NSU] tauchten in
       Deutschland und vor allem in Berlin Briefe auf, in denen Migrant*innen
       gedroht wurde, dass sie auf der Straße erschossen werden, wenn sie nicht
       ausreisen. Zwei Monate nach diesen Briefen gibt es diesen Mord, und die
       Polizei ist nicht in der Lage, mal zu gucken, was denn mit diesen Briefen
       gewesen ist? Zehn Jahre später hat der zuständige Staatsanwalt gesagt, das
       sei der perfekte Mord gewesen.
       
       taz: Sie glauben, dass die Behörden nicht richtig ermitteln? 
       
       Seyb: Allein handelnde Täter zu ermitteln, ist sicherlich sehr kompliziert.
       Aber im Fall von Burak Bektaş gab es einen Hinweis auf Rolf Z., der später
       [3][einen anderen Mann, Luke Holland, erschossen hat]. Laut dem Hinweis hat
       Rolf Z. nach Munition für Waffen gefragt, ist zu seinem Bruder gefahren und
       hat dort geballert. Aber Rolf Z. wurde von der Mordkommission gar nicht
       richtig angeguckt.
       
       taz: Warum? 
       
       Seyb: Offensichtlich gibt es an bestimmten Punkten überhaupt kein
       Interesse. Nach dem Mord an Luke Holland sagte der ermittelnde Kommissar:
       ‚Ich hab einen Täter, Rolf Z. Ich sammle ein bisschen was zusammen, damit
       die Staatsanwaltschaft eine Anklage schreiben kann, und dann haben wir am
       Ende eine Verurteilung: Mord ohne Motiv.‘ Weil der Typ nicht ins Bild passt
       von dem, was Staatsanwälte sich als Nazi vorstellen. Das heißt, da ist ein
       Killer, und man will nicht wissen, warum. So geht das nicht. Da wünscht man
       sich, dass das ordentlich aufgearbeitet wird.
       
       taz: Mittlerweile beschäftigt sich [4][der Neukölln-Untersuchungsausschuss]
       mit dem Mord an Burak Bektaş. 
       
       Seyb: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss soll sich bei all diesen
       Taten, die zum sogenannten Neukölln-Komplex zählen, genauer angucken, warum
       Polizei, Staatsanwaltschaften und Verfassungsschutz eigentlich nicht
       aufklären.
       
       taz: Sind die Behörden denn nicht an Aufklärung interessiert? 
       
       Seyb: Angeblich arbeiten die die ganze Zeit und produzieren Akten. Aber sie
       machen das nicht nur schlampig, sondern auch halbherzig, obwohl sie dafür
       genug Personal haben. Also erfüllen sie ihre Aufgabe nicht. Die Frage ist,
       erfüllen sie die nur dann nicht, wenn es um Nazis oder Rassisten geht?
       Interessiert sie vielleicht der Mord an Burak in Neukölln nicht so sehr,
       wie wenn in Zehlendorf ein Burkhardt ermordet worden wäre? Wir wissen, wozu
       Staatsanwaltschaften in der Lage sind, wenn sie mit Linken zu tun haben.
       Wenn sie dann in dieser Art und Weise arbeiten, müssen sie sich den Vorwurf
       gefallen lassen, dass sie nicht nur auf dem rechten Auge blind sind,
       sondern dass es ein systematisches Versagen ist.
       
       taz: Also legen Sie den Finger in die Wunde. 
       
       Seyb: Das muss immer wieder thematisiert werden. Das gilt auch für Hanau
       und Halle und für alle Betroffenen. Bis heute würde es keine Aufklärung
       geben, wenn es nicht Leute gäbe, die das immer wieder auf die Tagesordnung
       setzen. Es gibt vielleicht hier und da auch noch Täter, die sich in
       Sicherheit fühlen. Man muss daran arbeiten, dass sie schlaflose Nächte
       haben und dann einen Fehler machen.
       
       taz: Gibt es erfolgreiche Kampagnen in Bezug auf rechte oder rassistische
       Übergriffe in Berlin? 
       
       Tervooren: Seit Ende der 1980er Jahre gab es immer wieder antifaschistische
       Kampagnen gegen rechte Täter. Ohne die Antifa, ohne die VVN wären die
       ganzen Organisierungen von Neonazis nicht bekannt.
       
       taz: Haben Sie dafür ein Beispiel? 
       
       Tervooren: Bei dem [5][im Neukölln-Komplex verurteilten Sebastian T.] war
       klar, er kommt aus Nazikreisen in Neukölln oder dem Nationalen Widerstand
       Berlin, das haben Antifaschisten immer aufgezeigt. Und traurigerweise haben
       wir recht gehabt. Wir haben es geschafft, die Neonaziszene unter ständigen
       Druck zu halten. Nazi-Demos wurden zum Stoppen gebracht, Leute an die
       Öffentlichkeit gezerrt. Das ist von kleinen antifaschistischen Initiativen
       und Gruppen auf breitere Kreise übergesprungen. Auch die vielen Denk- oder
       Mahnmale, die es in Berlin gibt, sind Erfolge von unten, von Antifaschisten
       im ganzen Stadtgebiet.
       
       Seyb: Die Burak-Initiative ist mit den bundesdeutschen Initiativen
       vernetzt, die es zu fast allen Anschlägen gegeben hat. Und da sehen wir,
       dass es überall ein ähnliches „Versagen“ gab: dass sich die Polizei nicht
       interessiert. Es sind die Betroffenen oder die, die sich solidarisch
       organisieren, die etwas wissen wollen.
       
       taz: Was kann man dagegen machen? 
       
       Seyb: Der erste Schritt ist, das öffentlich zu thematisieren. Dafür braucht
       es Anlässe wie einen Untersuchungsausschuss, wo jedes Mal eine kleine
       Kundgebung stattfindet. Wir haben eine Veranstaltung zum Stand des
       Untersuchungsausschusses gemacht, wo man nochmal andere Leute mobilisieren
       kann.
       
       Tervooren: Wenn über Jahrzehnte eine Gefahr von rechts überhaupt nicht
       wahrgenommen wird, dann sehen auch die einzelnen Staatsanwälte, Polizisten
       oder Behörden keinen gesellschaftlichen Auftrag, gegen rechts vorzugehen
       und sind auch nicht dafür sensibilisiert. Die Demonstrationen derzeit
       zeichnen vielleicht ein etwas anderes Bild, aber für die bundesdeutsche
       Demokratie steht der Feind immer noch nicht rechts. Der [6][Antrag für ein
       AfD-Verbot] wäre ein entschiedenes Zeichen gegen rechts. Aber diese
       Demokratie erzählt sich immer noch, es gebe diese Gefahr nicht, sie wäre
       stark genug. Warum soll dann ein einzelner Polizist über sich hinauswachsen
       und in vermeintlichen Einzeltätern rechte Netzwerke und strukturelle
       rassistische Gewalt erkennen?
       
       taz: Gab es auch jenseits von Recherchearbeiten Erfolge? 
       
       Tervooren: Der Bahnhofsvorplatz in Lichtenberg ist jetzt nach Eugeniu
       Botnari benannt. Der wurde 2016 von den Betreibern des Edekas im Bahnhof
       wegen eines Ladendiebstahls zu Tode geprügelt. Die Umbenennung nach diesem
       Opfer rassistischer Gewalt ist von Antifaschisten, von Initiativen erkämpft
       worden. Es gibt die Silvio-Meier-Straße in Friedrichshain. [7][Silvio Meier
       wurde dort 1992 von Neonazis ermordet.] Der Neonazi-Treff in der Lückstraße
       in Lichtenberg ist weg. Das sind kleine Erfolge, die sich im Stadtbild
       zeigen.
       
       Seyb: In Neukölln steht in der Nähe von dem Tatort, wo Burak Bektaş
       umgebracht wurde, ein selbst organisierter, aus eigenen Spenden
       finanzierter Gedenkplatz und eine Statue. Ganz viele haben sich daran
       beteiligt und Geld dafür gegeben, dass der Ort nicht vergessen wird.
       
       taz: Und dort findet jedes Jahr das Gedenken statt. 
       
       Tervooren: Die vielen Gedenkveranstaltungen sind ebenfalls ein Erfolg von
       jahrelanger antifaschistischer politischer Arbeit. Man muss nur aufpassen,
       dass sich diese Gesellschaft nicht entlastet. Man darf nie vergessen, in
       Deutschland sind die Enkel der Täter. Man soll gedenken, man muss trauern.
       Daraus muss sich aber ergeben, dass man was tut.
       
       taz: Was treibt Sie an, weiterzumachen? 
       
       Seyb: Wenn Melek Bektaş zu mir sagt, toll, dass ihr das gemacht habt, dann
       ist das natürlich eine Motivation. Aber es ist keine Kampagne, die einen
       Anfang und ein Ende hat. Antifaschistisch und antirassistisch vorzugehen,
       ist eine Daueraufgabe. Manchmal wünschen wir uns mehr Leute oder bessere
       Bedingungen. Aber wenn mich der Mensch aus meinem Späti fragt, ob der
       Mörder endlich gefasst ist, dann wissen wir, wie wichtig es ist, diese
       Veranstaltungen zu machen. Damit die Leute sich das immer wieder fragen und
       sich in ihrem Umfeld darüber unterhalten. Sodass es irgendwann eine
       Aufklärung gibt.
       
       taz: Ist das realistisch angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks? 
       
       Tervooren: Gegen die Rechtsentwicklung gibt es ja auch eine
       Gegenentwicklung, und die war noch nie so breit. Ich glaube, es gab noch
       nie so viele antifaschistische, antirassistische Initiativen wie in den
       vergangenen Jahren. Wenn man sieht, was es für Demonstrationen gibt und in
       welchen Städten, Städtchen und Dörfern sich Leute engagieren, bin ich gar
       nicht so pessimistisch. Auch in Berlin ist über die Jahre ganz viel
       passiert. In allen Bezirken gibt es Erinnerungsinitiativen.
       
       Seyb: Wenn wie jetzt klar wird, wie ernst es ist, bilden sich häufig neue
       Initiativen. Das können linksradikale Gruppen sein, aber auch ins
       bürgerliche Spektrum kommt Bewegung. Wo Nazis marschieren wollen, werden
       sie blockiert, wie im Dezember in Friedrichshain. Das wollen sie jetzt
       wieder versuchen (am 22. Februar, [8][wieder in Friedrichshain]; Anm. d.
       Red.) und sie werden wieder blockiert werden. Es gibt ganz viele
       unterschiedliche Gruppen, die sich da querstellen. In den Parlamenten sieht
       das im Moment anders aus. Aber umso mehr muss man Leute ermutigen, damit es
       überall, in jedem Dorf, welche gibt, die damit nicht einverstanden sind.
       
       Tervooren: Die VVN wird in diesem Jahr 80 Jahre alt und hatte immer mit
       Widerständen von rechts zu kämpfen. Wir werden auch 100 Jahre alt werden,
       da bin ich optimistisch. Wir laden alle zum 80. Jahrestag der Befreiung am
       8. Mai ein. Das ist in Berlin ein einmaliger Feiertag, das ist auch ein
       kleiner Erfolg. Wir wollen aber, dass es ein ständiger Feiertag wird.
       
       13 Feb 2025
       
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