# taz.de -- Von der Antifa zum Kampfsport: Wie ich zum Sportlover wurde
       
       > Sport kann eine Qual sein. Er bietet aber auch eine Chance zur
       > Selbstermächtigung, meint unsere Autorin.
       
 (IMG) Bild: Kampfsport kann empowernd sein: junge Mädchen in Hyderabad (Indien)
       
       Zwei Stunden habe ich gestern im Fitnessstudio verbracht, heute vor allem
       Muskelkater in der Beinrückseite. Der Großteil meiner freien Zeit besteht
       aus Bewegung. Ich liebe Sport. Schwitzen. Den Puls im Hals spüren. Flexen.
       
       Tendenziell ein unsympathischer Anfang. Ich glaube, dass viele Menschen,
       darunter auch ich, noch [1][offene Wunden vom Sportunterricht tragen] und
       seither Bewegung und Angst miteinander verknüpfen. Ich wurde damals immer
       zuletzt ins Team gewählt und bin mit Bauchschmerzen in der Umkleidekabine
       zusammengebrochen.
       
       Wie ich also zu so einem Sportlover geworden bin, ist eher untypisch. Als
       ich nach meinem Abschluss in die nächstgrößere Stadt zog, war ich in der
       politischen Szene aktiv. Da hab ich auf die harte Tour lernen müssen, dass
       es sich ohne Ausdauer nicht gut vor der Polizei wegrennen lässt.
       
       Die ganzen Antifa-Boys haben nicht mehr aufgehört, von Straßenkampf zu
       reden – und ich hab' gecheckt, dass ich mich bewegen muss, um hier
       irgendwie mithalten zu können. Aber die Auswahl der Orte, an denen Sport
       nicht mit Körperfixierung und Leistung verknüpft war, war gering.
       
       Es kam natürlich nie zu Straßenkämpfen. Meine ersten Annäherungsversuche an
       Bewegung waren dennoch [2][selbstorganisierte Kampfsportgruppen]. Dort
       wurde Rücksicht auf unterschiedliche Fitnesslevel genommen, was mir half.
       Aber: Nach einem halben Jahr löste sich die Gruppe auf. Und ich musste mir
       einen neuen Ort suchen, um Sport machen zu können.
       
       Also wurden Leipzigs Sportstudios mein Spielfeld. Alles, was ein
       Probetraining anbot, wurde getestet: Brazilian Jiu-Jitsu, Schwimmen,
       Rennradfahren, Joggen. Jede Woche etwas Neues. Kein Fokus, kein Ziel.
       Hauptsache, bewegen.
       
       ## „Push, push, push“
       
       Etwas später habe ich mich in einem Fitnessstudio angemeldet. Das ist die
       absolute Hölle, wenn man eigentlich nach einem sicheren Raum sucht, um
       wieder Freude am Sport zu finden. An jedem Spiegel steht: „Heute für deine
       Bestform“. Oder „Push, push, push“. Ich muss mich aktiv gegen diese
       Self-Improvement-Mentalität wehren, dagegen, dass ich nicht gut genug bin.
       
       Es gibt andere Orte, an denen es leichter fällt, die Bewegung an sich in
       den Vordergrund zu rücken. Zum Beispiel im Sidekick, einem feministischen
       Kampfsportverein im Leipziger Westen. Der Kontrast zu anderen Sportstudios
       ist direkt zu Beginn spürbar: Es gibt Eincheckrunden – das bedeutet, am
       Anfang vom Training wird gefragt: Wie geht es dir und was brauchst du heute
       für das Training – ein sensibler Umgang mit Diskriminierung und Raum für
       unterschiedliche Motivationen: Sich auspowern. Auf Turniere hintrainieren.
       Oder eben die Freude am Sport wiederfinden.
       
       Im Januar lese ich in einer Zeitschrift: Im Montessori-Schulzentrum in
       Leipzig erhalten die Fünftklässler in diesem Schuljahr keine Noten mehr im
       Sportunterricht. Körpergefühl, Kooperation und persönliche Fortschritte
       stehen im Fokus.
       
       ## Grenzen überschreiten
       
       Sport ist die höchste Form der Ambivalenz. Er kann ein Instrument sein, um
       mich selbst zu spüren, aber auch, um den Körper zu zerstören. Sport hilft,
       meine Gefühle zu regulieren. Meine Grenzen herauszufinden und sie auch ab
       und an zu überschreiten. Sport tue ich für mich und doch vergleiche ich
       mich ständig. Sport setzt mich stets unter Leistungsdruck. Ich bin mir oft
       nicht sicher, ob ich gegen oder für meinen Körper arbeite.
       
       Dass ich jetzt viermal die Woche Sport mache, hätte mir das Kind mit den
       Bauchschmerzen in der Umkleide nie geglaubt. Und nun hole ich mir diesen
       Raum zurück. Weil ich es brauche, um mich angesichts politischer Zustände
       nicht machtlos zu fühlen.
       
       9 Feb 2025
       
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