# taz.de -- Küppersbuschs Jahresrückblick: Arme Poeten dürfen bronchial husten
       
       > Große Bauern fressen die kleinen, Linke gründen eine rechte Partei. Und
       > Weidel hat jetzt Konkurrenz in der Rolle der strengen Mutti, die alles
       > hasst.
       
 (IMG) Bild: BSW-Gründerin Sarah Wagenknecht im Sommer im thüringischen Altenburg
       
       Herr Küppersbusch, was war schlecht dieses Jahr? 
       
       „Recht haben“ hat wesentlich besser funktioniert als „recht handeln“.
       
       Und was wird besser nächstes Jahr? 
       
       Vielleicht wird das irgendwann langweilig.
       
       Im Januar [1][demonstrierten Landwirte gegen die Kürzung von Subventionen].
       Waren Treckerkorsos cooler als Klimakleberblockaden? 
       
       Wo sich Leute treffen, deren Fahrzeuge mindestens 80.000 Euro kosten, darf
       Christian Lindner nicht fehlen. Da die umstrittenen Subventionen sich nach
       Betriebsgröße bemessen, helfen sie den großen Bauern, die kleinen zu
       fressen. Kurz: Eine umfassend absurde Veranstaltung, oder der bewaffnete
       Arm der documenta.
       
       Die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)
       [2][war aus dem Stand überraschend erfolgreich]. Ist Wagenknecht
       kanzlerfähig? 
       
       Das passiert, wenn Linke sich eine rechte Partei ausdenken: ein
       Designprodukt. Ein popkulturelles Angebot für Leute, die sich bei Taylor
       Swift an Musik und Tanz stören. Die Grenzen des Wagenknecht-Kults liegen in
       ihrer Kernkompetenz: Nörgeln. Entsprechend zäh waren die
       Koalitionsverhandlungen im Osten, jedes Mitmachen kostet Spielraum beim
       Draufhauen. Wenn es „kanzlerfähig“ ist, überzeugend darzulegen, warum alle
       anderen doof sind und man bei Weltherrschaft die Dinge schon richten wird,
       ist sie es.
       
       Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny [3][starb im Februar nach russischen
       Angaben im Straflager]. Werden in Russland Kritiker überleben? 
       
       Nur in fensterlosen Wohnungen. Unter der aggressiven Verkrustung des
       Putin-Regimes starben auch alle Dialogformate; man mag mit seinen Bütteln
       nicht reden noch sie aufwerten. Zugleich fehlt es an allen Ecken und Enden
       an Dialog, und sei es, um herauszukriegen, dass er nichts taugt. „Die
       Opposition stärken“ hat in Ukraine, Belarus und jetzt Georgien mal keine,
       mal giftige Früchte getragen. Man muss nicht EU und Nato beitreten, um doch
       Putin abzulehnen. Da läge ein Weg.
       
       Seit April ist der [4][Anbau von Cannabis] und der Konsum für Erwachsene
       legal. Wie bekifft ist die Republik? 
       
       Das Gesetz folgte dem von vornherein unhaltbaren Wahlversprechen „Mehr
       Fortschritt rauchen“. Und so sieht’s auch aus. Die Ampel wusste, dass ihr
       Ziel mit EU-Recht unvereinbar ist, und so kam es zu den höllenkomplizierten
       Regelungen. Immerhin ist der private Konsum nun diffus entkriminalisiert,
       und irgendwas muss an dem Gesetz gut sein, sonst würde es die nahende
       CDU-Regierung nicht wieder abschaffen wollen.
       
       Venedig nahm letztes Jahr erstmals Eintritt (5 Euro) von Tagestouristen.
       Wäre das eine Idee, mit der deutsche Städte die Wirtschaft hierzulande
       wieder ankurbeln können? 
       
       Für einige Ruhrgebietsstädte wäre das Konzept „Austritt (5 Euro)“
       plausibler. Alle 14 Tage 80.000, die nach Abpfiff aus dem Westfalenstadion
       raus wollen, mittelfristig sind wir saniert.
       
       Im Mai wurde entschieden, dass die Einstufung der AfD als rechtsextremer
       Verdachtsfall rechtens ist. Ein Verbot der AfD – eine gute Idee? 
       
       Der Weg ist das Ziel. Die demokratische Gesellschaft schuldet es sich
       selbst, Grenzen zu markieren, und zugleich, einen so großen Teil wie die
       AfD-Anhängerschaft nicht auszugrenzen. Eine klar rechtsextreme und in
       Teilen verbotswürdige Partei ist ein Tumor. Ein Verbot wäre noch einer.
       Deshalb ist die – wenn auch frucht- und endlose – Verbotsdebatte das, was
       wir derzeit tun können.
       
       Im Juni ging der Begriff [5][„Brat Summer“] um die Welt, der auf die
       britischen Musikerin Charlie XCX zurückgeht. Das Giftgrün ihres Albumcovers
       war daraufhin überall. Ihre Prognose für die Trendfarbe 2025? 
       
       Der Adelstitel, auch eine „unangepasste Göre“ zu sein, hat Kamala Harris
       nicht zur Präsidentin gemacht. Deshalb Sido und Bushido bitte dringend high
       five und fist bump mit Friedrich Merz. Die Zeiten sind düster, Trendfarbe
       Schwarz, und der modische Reflex dagegen sind dann gern besonders grelle
       Töne: Rot. Tut mir leid.
       
       Bei einer Wahlkampfveranstaltung [6][im Juli wurde Donald Trump
       angeschossen] und am Ohr verletzt. Wird er seine zweite Amtszeit überleben? 
       
       Guter Versuch! Also die Verführung, darüber zu spekulieren. Später im Jahr
       ermordete ein Psycho den Manager einer verhassten US-Krankenversicherung.
       Es gab Mörder-Merch und die berüchtigte „klammheimliche Freude“. Let’s face
       it: Große Gesellschaften gebären einen gewissen Anteil an Psychopathen, und
       aus denen politische Helden zu machen, ist ungefähr so intelligent, wie
       sich von ihnen regieren zu lassen.
       
       Überall werden [7][drastische Einsparungen im Kulturbereich] angekündigt.
       Was wird aus der Kulturnation? 
       
       Wenn man Union, AfD, FDP und BSW zusammenrechnet, haben wir derzeit rund 80
       Prozent Mitte-Rechts im Lande. Das ist neu. Sie haben auch ein gewisses
       Spektrum gemein längs der Melodie „Der Markt wird’s schon richten“. Der
       gebiert dann ein Spitzweg-Idyll vom „armen Poeten“ unterm Dach, wo’s
       reinregnet und die Kunst zwischen zwei bronchialen Hustern hervorquillt.
       Das ist Kitsch.
       
       Bei den Landtagswahlen in Thüringen wurde die AfD stärkste Kraft – in
       Sachsen landete sie knapp hinter der CDU. Alice Weidel: kanzlerfähig? 
       
       Weidel hat nun von Wagenknecht spürbare Konkurrenz im Rollenfach „Strenge
       Mutti findet alles schlecht“, zudem ist sie – anders als Wagenknecht – in
       ihrer Partei nicht beliebt. Prognose: Käme die AfD in die Nähe der Macht,
       fallen alle über sie her.
       
       Das Jugendwort des Jahres lautet „Aura“. Welche:r deutsche
       Politiker:in hat die beste? 
       
       Die sie gut finden, dürfen es nicht sagen, die sie hassen, geben es nicht
       zu. Merkel.
       
       In Paris wurde die Kathedrale Notre Dame wiedereröffnet, mit dabei:
       Selenskyi, Macron und Trump. Olaf Scholz fehlte. Wird er nächstes Jahr
       fehlen? 
       
       Soll er den Kölner Dom anzünden? Olle Scholle telefonierte derweil mit
       Putin, und gebe Gott, die Gesamtschau dürfte als so etwas wie kluge
       deutsch-französische Arbeitsteilung gelesen werden.
       
       Hisbollah fast kaputt, Iran so gut wie kaputt, [8][Assad total kaputt],
       Putin auch kurz davor. Wird die Welt 2025 eine bessere? 
       
       Ich habe definitiv nicht den Eindruck, meinen Kindern eine bessere Welt
       hinterlassen zu können, als ich sie selbst vorfand. Das ist bitter;
       bisschen für mich, mehr für sie.
       
       Und was macht RWE? 
       
       War alles drin dieses Jahr von Fastaufstieg bis komatöser Taumel runter
       gen vierte Liga. Aber kein Rheinmetall auf der Bande.
       
       22 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Unterwanderung-der-Bauernproteste/!6045310
 (DIR) [2] /Erfolg-fuer-das-Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!6037856
 (DIR) [3] /Tod-des-Kreml-Kritikers-Nawalny/!6037070
 (DIR) [4] /Cannabis-Anbau-im-Freien/!6026358
 (DIR) [5] /EZB-senkt-Leitzins/!6041186
 (DIR) [6] /Attentat-auf-Trump/!6020822
 (DIR) [7] /Kuerzungen-im-Berliner-Haushalt/!6054378
 (DIR) [8] /Syrien-nach-Assads-Sturz/!6054534
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friedrich Küppersbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Friedrich Küppersbusch
 (DIR) BSW
 (DIR) Jahresrückblick
 (DIR) Kolumne Die Woche
 (DIR) Kolumne Materie
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Urheberrecht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Trump, Frieden und Wahlkampf: Sie verlassen jetzt den demokratischen Sektor
       
       Der Machtwechsel in den USA steht im Zeichen der Prostitution à la Bezos
       und Gates. Wie stehen die Chancen auf Trump als Friedensbringer?
       
 (DIR) Was gut werden könnte: Eine realistisch-optimistische Vorschau auf 2025
       
       Auch wenn es noch nicht so scheint, 2025 ist fast alles möglich. Ideen von
       Januar bis Dezember, die in diesem Jahr umgesetzt werden könnten.
       
 (DIR) Best-of Ausstellungen: Unmögliche Reisen, verpasste Schauen
       
       Von monströs-freundlichen Wesen, die in Schaukästen fluoreszierten in
       Regensburg bis zu „Down The Rabbit Hole“ in Vilnius: verpasste Schauen in
       2024.
       
 (DIR) Jahresrückblick Erderhitzung: Das Klima-Jahr in zehn Punkten
       
       Die wichtigsten zehn Entwicklungen im Treibhaus des Planeten – von
       Emissionen auf Höchstständen über Rekordtemperaturen bis zu immer mehr
       Flutopfern.
       
 (DIR) Vier Bilanzen des Popjahres 2024: Ungesundes Wachstum, diffuse Gefühligkeit
       
       Viele Frauen in den Top Ten. Die Debatte um Vergütung von Streaming bleibt
       kontrovers. Für Indies und randständige Künstler:Innen zum Nachteil.