# taz.de -- Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen: Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
       
       > Die Tochter wolle einziehen, behaupten Vermieter etwa – und schmeißen die
       > Mieter raus. Tausende in Berlin sind betroffen. Jetzt stärkt ein Urteil
       > ihre Rechte.
       
 (IMG) Bild: Mieter:innen, denen gekündigt wurde, müssen nicht gleich aufgeben
       
       Berlin taz | Mehr als ein Jahrzehnt lang wohnte Ronny Stach (Name geändert)
       in einer Vierer-WG in der Kreuzberger Manteuffelstraße; 140 Quadratmeter
       für eine Warmmiete von zuletzt 1.300 Euro. Der Vermieter, zugleich
       Eigentümer des Hauses, kündigte der WG. Angeblich, weil seine Tochter mit
       ihrer Familie einziehen wollte – Eigenbedarf. „Wir haben das für
       vorgeschoben gehalten“, sagt Stach. Der Vermieter habe gleichzeitig
       begonnen, das Haus zu sanieren und das Dachgeschoss auszubauen: „Der wollte
       uns raushaben, um mehr Geld zu machen“, war sich Stach schon damals sicher.
       
       Anderthalb Jahre nach ihrem Auszug – mit ihrem Einspruch vor dem
       Amtsgericht war die WG gescheitert – scheint sich Stachs Vermutung zu
       bewahrheiten. Der Vermieter teilte die Wohnung auf. In der einen Hälfte
       wohnen jetzt neue Mieter, die andere steht weiterhin leer. Von der Tochter,
       deren Bedarf nach großem Wohnraum in Kreuzberg so dringend schien, keine
       Spur. Alles spricht dafür: Der behauptete Eigenbedarf war vorgeschoben.
       
       Doch vor Gericht waren die Aussichten auf Wiedergutmachung bislang
       überschaubar. Das Recht, die Wohnung, aus der man rechtswidrig geworfen
       wurde, wieder in Besitz zu nehmen, findet in der Praxis keine Anwendung.
       Das wird durch die neuen Mieter:innen verunmöglicht. Stattdessen können
       Mieter:innen in Fällen, in denen sich nicht vorher schon auf einen
       Vergleich geeinigt wurde, die Differenz zu ihrer neuen, höheren Miete
       einklagen, allerdings wird diese im Regelfall nur für dreieinhalb Jahre
       gewährt. Der Schaden für die Getäuschten bleibt.
       
       Doch genau das könnte sich jetzt ändern: mit einem Urteil der 66.
       Zivilkammer des Berliner Landgerichts, zuständig für Kreuzberg und
       Lichtenberg. Erstmals entschied ein Gericht, dass durch behaupteten
       Eigenbedarf getäuschten, ehemaligen Mieter:innen nicht nur ein zeitlich
       begrenzter Schadenersatzanspruch zusteht, sondern auch der Gewinn aus der
       neuen, höheren Miete.
       
       Hintergrund ist ein Fall, ganz ähnlich dem von Stach: Ein Vermieter hatte
       einem Mieter gekündigt, weil seine Tochter einziehen sollte. 2018 musste er
       ausziehen, drei Jahre später waren dann neue Mieter eingezogen, nicht aber
       die Tochter. Der Altmieter hatte zunächst nur Schadenersatz für die
       Umzugskosten geltend machen können.
       
       ## Mietdifferenz abgeschöpft
       
       Das Landgericht aber geht nun darüber hinaus. Weil dem ehemaligen Mieter
       die Wohnung zwar weiterhin zustünde, dies aber nicht durchzusetzen sei,
       entschied es zunächst für dessen Auskunftsanspruch über die neue Miete. Auf
       dieser Grundlage zwingt das Gericht den Vermieter, die unrechtmäßig
       erzielten Gewinne an den früheren Mieter herauszugeben.
       
       Das Jura-Portal Legal Tribune Online, das zuerst [1][über die Entscheidung
       berichtete], schreibt: „Für Mieter eröffnen sich so neue Wege, um sich
       gegen rechtswidrige Kündigungen zur Wehr zu setzen.“ Die Rede ist von einem
       „bedeutsamen Schritt im Mietrecht“ mit möglichen „Signalwirkungen auf die
       gängige Praxis der vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen“.
       
       ## Erst Streit, dann Kündigung
       
       Wie gängig Eigenbedarfskündigungen sind, weiß Sebastian Bartels,
       Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Allein bei seinem Verein landen
       jährlich bis zu 1.000 dieser Kündigungen auf dem Tisch; für ganz Berlin
       rechnet er mit schätzungsweise 10.000 pro Jahr – „ein gleichbleibend hohes
       Niveau seit vielen Jahren“ mit „existenzbedrohenden Folgen“ für
       Mieter:innen. Vorgeschoben sei der Eigenbedarf laut Bartels in „einem
       Viertel bis einem Drittel der Fälle“. Oftmals folgten Kündigungen
       unmittelbar auf Streitigkeiten zwischen Vermieter und Mieter:innen, schon
       da dränge sich ein entsprechender Verdacht auf.
       
       Potenziell können alle Mieter:innen von Eigenbedarfskündigungen
       betroffen sein, oftmals passiert dies nach dem Verkauf eines Hauses oder
       einer Wohnung. Wurde eine bisherige Miet- in eine Eigentumswohnung
       umgewandelt, gibt es eine sieben- bis zehnjährige Frist, in der niemand
       anderes als der bisherige Mieter die Wohnung kaufen darf.
       
       Danach aber kann ein Käufer sofort den Eigenbedarf anmelden – unabhängig
       davon, ob sich eine Wohnung in einem Milieuschutzgebiet befindet. Seit 2021
       kommt es aufgrund einer bis [2][Ende 2025 befristeten Gesetzesänderung]
       kaum noch zu solchen Aufteilungen ehemaliger Mietshäuser. Allerdings sind
       seit 2005 etwa 200.000 Berliner Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt
       worden. Viele davon stehen in den nächsten Jahren zum freien Verkauf.
       
       ## „Ein bisschen revolutionär“
       
       Die Entscheidung des Landgerichts findet Bartels „schon ein bisschen
       revolutionär“. Nun gelte es abzuwarten, „ob sich andere Kammern des
       Landgerichts der Einschätzung anschließen“. Eine endgültige Entscheidung
       werde erst der Bundesgerichtshof treffen. Zumindest Mieter:innen in
       Friedrichshain und Lichtenberg aber „können sich jetzt freuen“, sagt
       Bartels. Wenn sie in zweiter Instanz vor dem Landgericht landen, könnten
       auch sie den Gewinn abschöpfen, der dem Vermieter aus der neuen Miete
       entsteht.
       
       Im Fall von Eigenbedarfskündigungen ist die jüngste Entscheidung das dritte
       mieterfreundliche Urteil in diesem Jahr. Im Juli hatte der
       Bundesgerichtshof entschieden, dass Cousins nicht zum Kreis der
       Familienangehörigen zählen, für die Eigenbedarf geltend gemacht werden
       kann. Wichtiger noch war ein Urteil der 67. Kammer des Berliner
       Landgerichts vom Jahresanfang. Damals wurde einer gekündigten Mieterin eine
       jahrelange Schonfrist eingeräumt, weil zwar die Kündigung rechtmäßig sei,
       ein Auszug aber eine unzumutbare Härte darstelle. Die Frau habe glaubhaft
       machen können, dass sie sich erfolglos um eine geeignete und bezahlbare
       Ersatzwohnung bemüht habe.
       
       Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein plädiert unterdessen für
       Gesetzesänderungen. Am liebsten würde er Eigenbedarfskündigungen ganz
       verbieten lassen, zumindest aber für betagte Menschen oder solche, die
       schon lange in ihren Wohnungen leben. Möglich sei zudem, eine Karenzzeit
       ins Gesetz zu schreiben und den Kreis der Familienangehörigen auf wenige
       enge Verwandte zu beschränken. Grund zum Optimismus aber gibt es nicht:
       „Die Nöte der Menschen, die von Eigenbedarfskündigungen betroffen sind,
       sind in der Bundespolitik überhaupt nicht angekommen“, so Bartels.
       
       17 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-berlin-ii-66s17822-vorgetaeuschte-eigenbedarfskuendigung-neues-urteil-folgen
 (DIR) [2] /Umwandlungsverbot-erhalten/!6014758
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
       
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