# taz.de -- Pistorius lässt Scholz den Vortritt: Der beschädigte Kandidat
       
       > Nach dem Verzicht von Pistorius auf die SPD-Kanzlerkandidatur ist der Weg
       > frei für Scholz. Er behält das Manko, dass seine Partei ihm nur bedingt
       > vertraut.
       
 (IMG) Bild: Ist jetzt zumindest in der SPD konkurrenzlos: Kanzler und Kanzlerkandidat Olaf Scholz
       
       Nun ist der Weg für Olaf Scholz frei. Mit dem Verzicht von Boris Pistorius,
       [1][der am Donnerstagabend erklärt hat, er stehe nicht als Kanzlerkandidat
       zur Verfügung], ist klar: Der amtierende SPD-Kanzler wird auch der
       SPD-Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl am 23. Februar.
       
       Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass ein Kanzler auch der nächste
       Kanzlerkandidat ist, es sei denn, er ist alt und tatterig. Doch die
       SPD-Führung hatte es spannend gemacht. Tagelang ließ [2][sie eine Debatte
       schwelen, die vom Lagerfeuer zum Großbrand zu werden drohte]. Wer wird es
       denn – Scholz oder Pistorius?
       
       Eine Debatte, die Brandwunden bei allen Beteiligten hinterlässt. Zum einen
       bei der Parteiführung um Lars Klingbeil, Saskia Esken und [3][Matthias
       Miersch], die einen Wahlkampf vorbereitet, der den Leuten klarmachen soll,
       dass die SPD, die richtige Partei ist, dieses Land zu führen.
       
       Nur wer soll das glauben, wenn genau diese SPD nicht einmal imstande ist,
       die eigenen Führungsfragen zeitnah zu klären, sondern stattdessen
       Verunsicherung und Irritationen zuließ? Das sind die Worte von Boris
       Pistorius, mit denen er die Diskussionen beschreibt. Da klingt deutliche
       Kritik am Führungsversagen der Parteispitze durch.
       
       Die Diskussion der letzten Tage beschädigt aber auch Olaf Scholz. Denn er
       geht als der Kanzlerkandidat ins Rennen, dem die Partei nur bedingt
       vertraut. Das zeigt sich an Äußerungen von Orts- und Kreisverbänden und von
       Bundestagsabgeordneten. Das zeigt sich aber auch am Zögern der
       Parteispitze.
       
       Wieso hatte die nicht das Momentum des 6. November genutzt, a[4][ls der
       Kanzler den Finanzminister entließ, die Ampel für beendet erklärte und
       Neuwahlen ankündigte,] um Olaf Scholz aufs Schild zu heben? Hatten
       Klingbeil, Esken und Miersch nur gepennt? Oder hatten sie trotz
       öffentlicher Pro-Scholz-Bekundungen doch Zweifel am Kanzler, der selbst bei
       den SPD-Anhänger:innen schlechtere Zustimmungswerte hat als Boris
       Pistorius? Wahrscheinlich beides.
       
       ## Beliebtheitswerte sind wie Wattebäuschchen
       
       Doch die Nominierung von Boris Pistorius wäre gleichfalls ein Risiko
       gewesen. Denn Beliebtheitswerte sind wie Wattebäuschchen, sie müssen erst
       noch umgemünzt werden in harte Währung, heißt in Wähler:innenstimmen. Und
       da gibt es durchaus berechtigte Fragen, ob der Verteidigungsminister auch
       als Wirtschaftsexperte, Pflegefachmann oder Sozialsystemerklärer glänzen
       kann.
       
       Scholz ist, anders als Pistorius, ein Generalist, er steckt in allen Themen
       drin. Zudem hätte man Scholz, der immer klargemacht hat, dass er Kanzler
       ist und bleiben will, erst noch stürzen müssen. Und obwohl die Lust am
       Verrat in der SPD nicht gerade klein ist – niemand liebt den Verräter.
       Klingbeil der Kanzlerkiller? Das war dann wohl doch eine Nummer zu groß.
       
       Einzig und allein Pistorius geht aus dieser Debatte wohl noch beliebter als
       zuvor, obwohl man sich schon fragen kann, weshalb er seinen Verzicht nicht
       früher erklärte. Doch nun hat er der Partei einen Ehrendienst erwiesen und
       sich gleichzeitig an die Seite von Scholz gestellt. Das hilft.
       
       Hat die SPD nach diesem in jeder Richtung verkorksten Start in den
       Wahlkampf überhaupt noch eine Chance gegen die Union und Friedrich Merz?
       Ja, denn die Zeiten sind schnelllebig, das politische Gedächtnis kurz. Merz
       wirft heute auch niemand mehr vor, dass er zweimal daran scheiterte,
       Parteivorsitzender zu werden. Er musste seine Kanzlertauglichkeit bislang
       auch nicht unter Beweis stellen. Stattdessen konnte erst zu allem Nein
       sagen, sich die letzten Tage entspannt zurücklehnen und dem
       Scheidungsdrama, das die SPD aufspielte, zusehen.
       
       ## Der Glauben an die SPD als Problemlöserin hat schwer gelitten
       
       Wenn die SPD es jetzt tatsächlich schafft, zu der Geschlossenheit
       zurückzufinden, die sie 2021 zum Wahlsieg trug, dann könnte sie der Union
       die Stirn bieten. Sie wird sich als Bollwerk des Sozialstaats gegen die
       Angriffe der Union auf diesen generieren. Ob das als Erzählung reicht, wird
       man sehen. Der Glauben an die SPD als Problemlöserin hat während der
       vergangenen zwei Jahre schwer gelitten. Der schwerste Kampf steht Olaf
       Scholz erst noch bevor. Der um die Glaubwürdigkeit.
       
       21 Nov 2024
       
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 (DIR) Anna Lehmann
       
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