# taz.de -- Film „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“: Den Katzendreck räumen die Menschen weg
       
       > In seinem beobachtenden Film „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ verzichtet
       > Regisseur Kazuhiro Sōda auf Recherche und Drehbuch. Das Ergebnis ist
       > herzig.
       
 (IMG) Bild: Imposante Erscheinung: eine der „Katzen vom Gokogu-Schrein“
       
       In unserer digitalisierten Welt nehmen Katzen einen besonderen Platz ein.
       Kein anderes Tier gibt noch in den beiläufigsten Posen ein so begehrtes
       Objekt fürs Fotografieren und anschließende Posten und Sharen ab. Hunde,
       Fische und Vögel, die anderen weit verbreiteten Haustiere, können nicht
       mithalten. Herumliegende und gleichgültig blinzelnde Katzen aller Größen
       und Farben pflastern die Social-Media-Feeds der einschlägigen Plattformen.
       
       Für das Verlassen von X (Twitter) zugunsten von Bluesky wurde zum Beispiel
       eigens damit geworben, dass es hier neben Kategorien wie „News“ und
       „Science“ einen auf „Cat Pics“ spezialisierten Kanal geben würde. Was zum
       einen nicht gut funktionierte und zum andern bald die ebenfalls
       zeittypischen „Hater“ auf den Plan rief.
       
       Mit Kazuhiro Sōdas Dokumentarfilm „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ mag das
       alles auf den ersten Blick nicht viel zu tun haben. Schließlich führt uns
       der Film nach Japan, ins leicht abgelegene Ushimado an der „japanischen
       Ägäis“. Dort allerdings hat ein Shinto-Schrein als sogenannter
       „Katzenschrein“ eine gewisse Popularität erlangt. Touristen kommen hierher,
       um Katzen zu füttern und zu fotografieren.
       
       Und auch Kazuhiro Sōda beginnt seinen Film mit einer Videoaufnahme, die
       ideales Futter für Tiktok et al. wäre: Eine rote Katze – der Champion der
       Tier-Fotogenität – greift da nach dem fellüberzogenen Mikrofon über der
       Kamera, immer wieder, in dieser Katzen so eigenen Nicht-Irritierbarkeit,
       bis sie es herunter, somit vor die Kamera gezerrt hat und daran zu lutschen
       beginnt. Es ist sehr, sehr herzig.
       
       Der japanische Regisseur besteht darauf, statt von „Dokumentar-“ von einem
       „beobachtenden Film“ zu sprechen. Für diesen hat er sich „zehn Gebote“
       auferlegt, die seine Arbeit von herkömmlichen Fernsehdokumentationen
       unterscheiden sollen. Die wichtigsten davon lauten, dass es keine
       Recherche, kein Vorabtreffen mit Protagonisten und kein Drehbuch gibt. Was
       das bringen soll? Nun, dass man hinguckt und erlebt, statt vorher
       festgelegten Themen mit redaktionell abgestimmter Dramatik zu folgen. „Die
       Katzen vom Gokogu-Schrein“ ist ein herrlicher Beweis dafür, wie wohltuend
       diese Strategie sein kann.
       
       ## Die Gegend kennenlernen
       
       Ein weiteres Gebot lautet, dass man einen kleinen Bereich, den aber mit
       gebotener Tiefe abdecken soll. Die Kamera bleibt für die knappen zwei
       Stunden des Films, der über mehrere Jahreszeiten hinweg gedreht wurde, ganz
       in der unmittelbaren Umgebung des Gokogu-Schreins. Gelegentliche Schwenks
       zeigen die Aussicht aufs Meer und die nächsten Inseln oder den Blick zu den
       Häusern am Hafen. Man lernt tatsächlich die Gegend kennen: die Treppe
       hinauf zum Schrein, der Parkplatz am Ufer, den von Bäumen beschatteten
       Hügel darüber.
       
       Es kommt zu diversen Begegnungen vor der Kamera. Zum einen natürlich mit
       den Katzen, die pittoresk herumliegen oder in allen möglichen Ecken und
       Nischen kauern, um vorm Regen Schutz zu suchen. Es sind Straßenkatzen,
       weshalb sie mit ihren von Verletzungen gezeichneten „Visagen“ in
       Nahaufnahmen oft ein weniger social-media-freundliches Bild abgeben. Dann
       wiederum sind Szenen, in denen sie den Anglern am Hafen den gefangenen
       Fisch stibitzen und unter sich verteilen, allerliebst.
       
       Die wichtigeren [1][Begegnungen, die vor Kazuhiro Sōdas Kamera
       stattfinden], sind dennoch die mit den Menschen. Zum Beispiel mit den
       Anglern, die größtenteils Pensionäre sind, wie sich herausstellt. Für
       ältere Herren wie ihn sei das ein günstiger Platz, weil man mit dem Auto
       vorfahren und nur wenige Meter weiter die Angel auswerfen könne, erzählt
       einer lachend. Es seien mindestens 25 Männer, die regelmäßig hierherkämen,
       er kenne alle Gesichter, aber keinen mit Namen.
       
       ## Erinnerung an die Jahre des Kriegs
       
       Überhaupt scheint sich in der kleinen Gemeinde die [2][notorische
       Überalterung der japanischen Gesellschaft widerzuspiegeln]. Ein 79-jähriger
       ehemaliger Lkw-Fahrer kümmert sich um die Blumen an diesem öffentlichen
       Platz und pflanzt mit einem 88-jährigen Ingenieur und Fabrikbesitzer – „ich
       gehe noch jeden Tag zur Arbeit, aber nur, um von dort Freunde anzurufen“ –
       wohlriechende Minze an der Treppe hinauf zum Schrein. Letzterer kann sich
       noch gut an die Jahre des Kriegs erinnern, etwa an die tiefen Verbeugungen,
       die sie als Schüler üben mussten.
       
       Neulich habe er sich mit Freunden darüber unterhalten, und sie hätten sich
       gefragt, wem gegenüber sie eigentlich so tiefen Gehorsam hätten schwören
       müssen. Erst dann sei es ihnen wieder eingefallen: dem Kaiser! Der alte
       Mann lacht dabei, wie erleichtert, dass das so lange her ist.
       
       Die jüngere Generation in Form von Erstklässlern läuft auch einmal durchs
       Bild. Mit ihrer Lehrerin zusammen üben sie die Orientierung anhand einer
       selbst gezeichneten Landkarte, nicht etwa mit Google Maps. Dass sie dennoch
       über eine gewisse Medienerfahrung verfügen, schlägt sich in ihrem Interesse
       für die Kamera und ihrer Begeisterung über die Ankündigung, Teil eines
       Films zu sein, nieder. Wie einige der Alten interessieren sich auch die
       Erstklässler vor allem für das flauschig-überzogene Mikrofon.
       
       ## Aufgeschlossen für die Gegenwart
       
       Solche Interaktionen zwischen den Protagonisten vor und den Filmenden
       hinter der Kamera werden üblicherweise aus Dokumentarfilmen
       herausgeschnitten; dass Kazuhiro Sōda einige davon stehen lässt, trägt
       nicht nur zum eigenwilligen Charme seines Films bei, sondern macht manchen
       Austausch bedeutungsvoller. „Toll, dass dein Hobby deine Arbeit ist“, sagt
       der 88-Jährige zu ihm, ganz im Denken seiner Generation verhaftet, in der
       so etwas wie „Filmen“ nur Hobby sein kann, und doch so aufgeschlossen für
       die Gegenwart, dass er sich für sein Gegenüber echt zu freuen scheint.
       
       Keinem Drehbuch folgen zu wollen, bedeutet für Kazuhiro Sōda übrigens
       nicht, es dabei zu belassen, sich an den Katzen vor Ort als reine
       Fotomotive zu erfreuen. Immer wieder spricht er seine Protagonisten auf die
       Straßentiere an. Und siehe da, die wenigsten reagieren positiv, wollen sich
       aber auch nicht als Katzenhasser outen. Dennoch sehen viele Anwohner die
       Katzen vor allem als Problem.
       
       „Überall, wo man gräbt, findet man Katzenscheiße“, klagt etwa der
       79-Jährige beim Blumengießen. Ein paar ältere Frauen schildern rabiate
       Maßnahmen, mit denen sie verhindern, dass die Katzen in ihre Gärten kommen.
       Ein anderer fordert spöttisch, dass die, die hierherkommen, um die Katzen
       zu füttern, doch bitte auch den Müll, soll heißen die Scheiße, die sie so
       verursachen, wieder mitnehmen sollen. Wo er kann, räumt er allerdings
       selbst den Katzendreck weg.
       
       Durch den Film zieht sich die von der Gemeinde gesponserte Aktion, bei der
       einige der Katzen eingefangen und im Anschluss sterilisiert werden.
       Gekennzeichnet mit einem Einschnitt in einem Ohr, lässt man sie nach dem
       Eingriff wieder frei. Kazuhiro Sōda ist bei einer Sitzung der lokalen
       Selbstverwaltung dabei, in der eine Mitarbeiterin der Aktion schildert,
       dass man im Jahr zuvor siebzehn und in diesem Jahr immerhin zehn Katzen
       behandeln konnte. Das Ziel sei es, die lebenden Katzen so gut wie möglich
       zu versorgen, aber zu verhindern, dass es mehr werden.
       
       Hier könnte dieser Film selbst eine verheerende Rolle spielen. Ein weiterer
       älterer Mann, der mit der Ausrüstung eines Berufsfotografen die Katzen ins
       Visier nimmt, bringt den Teufelskreis auf den Punkt: Je bekannter der
       Schrein als „Katzenschrein“ werde, desto mehr Leute kämen hierher zum
       Tierefüttern. Oder sie kämen auf die Idee, ihre eigenen überflüssigen
       Katzen hier auszusetzen. Und so würden es immer mehr werden. Aber ein
       Gokogu-Schrein ganz ohne Katzen, das mögen sich die Anwohner hier auch
       nicht mehr vorstellen.
       
       3 Dec 2024
       
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