# taz.de -- Jeder fünfte Schüler psychisch belastet: Wo bleibt der Krisengipfel?
       
       > Klimakrise, Krieg, Leistungsdruck – darunter leiden Schüler:innen laut
       > Schulbarometer. Um ihnen zu helfen, müsste Unterricht radikal anders
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Unter Druck: Jede:r fünfte Schüler:in berichtet von psychischen Problemen
       
       Es fällt schwer, das zuzugeben, aber in einem Punkt haben AfD und Bündnis
       Sahra Wagenknecht recht: Wir brauchen dringend einen Untersuchungsausschuss
       im Bundestag, der die Pandemiezeit aufarbeitet.
       
       Nicht, um dort krude Impfmärchen zu hören oder uns mit dem altbekannten
       Diktaturgefasel herumzuschlagen. Sondern um allen wirklichen
       Covid-Leidtragenden zu zeigen: Wir – Politik, Gesellschaft, Wissenschaft,
       Medien – sind lernfähig. Wir nehmen eure Erfahrungen ernst, zumindest
       jetzt. Vor allem an junge Menschen ist dieses Signal überfällig: Stichwort
       Schulschließungen.
       
       Es ist traurig, dass es für die kritische Rückschau auch vor dem Aus der
       Ampel keine politischen Mehrheiten gab. Noch schlimmer aber ist, dass die
       Bedürfnisse und Ängste von Kindern und Jugendlichen offensichtlich bis
       heute nicht ernst genommen werden. [1][Das jedenfalls bezeugen die mehr als
       1.500 Kinder und Jugendlichen, die die Robert Bosch-Stiftung für eine
       repräsentative Studie zum Schulalltag befragt hat].
       
       Ihre Antworten, die am Mittwoch im „Deutschen Schulbarometer“
       veröffentlicht wurden, sprechen Bände: Jede:r fünfte Schüler:in sieht
       sich aktuell psychisch belastet. Und zwar nicht allein wegen der Weltlage –
       hier nennen die Befragten am häufigsten Kriege und Klimakrise –; auch
       Leistungsdruck, belastete Beziehungen zu Lehrkräften und
       Mitschüler:innen sowie ein schlechtes Lernklima stressen Schüler:innen.
       
       ## Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen sind häufiger psychisch
       belastet
       
       Die Folge: Ein Fünftel fühlt sich in der Schule dauerhaft nicht wohl.
       Gleichzeitig erhält ein Viertel der Kinder und Jugendlichen, die
       psychosoziale Hilfe in Anspruch nehmen möchten, an ihrer Schule selbst auf
       Nachfrage keine Hilfe. Auf außerschulische Angebote ist leider auch kein
       Verlass: Ein therapeutisches Erstgespräch kommt im Schnitt erst nach vier
       Monaten zustande.
       
       Das Barometer bestätigt damit, was Schülervertreter:innen immer
       wieder kritisieren: Obwohl psychische Erkrankungen auch nach der Pandemie
       ein Riesenproblem sind, hat das Thema an Schulen keine Priorität. Das lässt
       sich auch an anderen Zahlen ablesen: Nach einer bundesweiten [2][Erhebung
       des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP)] vom
       August dieses Jahres muss sich ein:e Schulpsycholog:in im Schnitt um
       5.218 Schüler:innen kümmern.
       
       Möchte man hier noch etwas Positives finden, dann ließe sich anführen, dass
       der Bund und einige Länder mittlerweile Modellprojekte zu Mental Health an
       Schulen gestartet haben. Rein statistisch gesehen bleibt es aber ein
       Glücksfall, ob ein:e Schüler:in psychologisch betreut werden kann.
       
       Oder – eher wahrscheinlich – eine Frage der sozialen Herkunft. Zumindest
       sind Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen fast doppelt so häufig
       psychisch belastet. Auch das ein Ergebnis des Schulbarometers. Mehr
       Personal an Schulen hieße also auch: die Chancenungleichheit im Land etwas
       abzufedern.
       
       ## Unterricht muss radikal anders werden
       
       Es wäre schön, wenn der Noch-Kanzler auch dazu mal einen Krisengipfel
       einberufen würde. Immerhin betrifft die jugendliche Psyche auch die
       nationalen Wirtschaftsinteressen: Psychische Erkrankungen, betonen
       Forscher:innen, sind der Hauptgrund dafür, dass Menschen arbeitsunfähig
       werden. Die gute Nachricht für die Länder: Sie müssen nicht auf Olaf Scholz
       (oder Friedrich Merz) warten, um aktiv zu werden.
       
       Es gibt Möglichkeiten, schnell Druck vom Kessel zu nehmen. Aber dafür
       müssten Ministerien und Schulen den Unterricht radikal anders gestalten:
       weg vom Leistungsprinzip mit Noten, klaren Hierarchien und
       Frontalunterricht. Hin zum eigenständigen Lernen, bei dem Lehrkräfte
       tatsächliche Lernbegleiter:innen sind.
       
       Pilotprojekte wie die [3][Bonner Siebengebirgsschule] zeigen: Ist der
       Unterricht komplett anders gestaltet, setzt das Kapazitäten für
       individuelles Feedback frei. Dieses wiederum kann den Ausschlag dafür
       geben, ob sich Schüler:innen wertgeschätzt fühlen oder nicht. Auch das
       ist ein Ergebnis der Umfrage der Bosch-Stiftung.
       
       Übrigens können sich Ministerien und so manche Schule auch in Sachen
       Partizipation bei solchen Pilotprojekten eine Scheibe abschneiden. Es lohnt
       sich, junge Menschen mitreden und mitentscheiden zu lassen. Mehr
       Mitbestimmung an den Schulen würde dazu beitragen, dass sich junge Menschen
       im Land endlich ernster genommen fühlen. Gerade in diesen Zeiten wäre damit
       viel gewonnen.
       
       21 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bosch-stiftung.de/de/storys/kriege-leistungsdruck-und-klimakrise-belasten-schuelerinnen
 (DIR) [2] /:
 (DIR) [3] https://siebengebirgsschule.de/bildungskonzept-an-der-siebengebirgsschule/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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