# taz.de -- Küstenschutz-Forschung in Braunschweig: Kooperation mit dem Meer durch Lahnungen
       
       > Der Küstenschutz durch Lahnungen gewinnt in Zeiten des Klimawandels an
       > Bedeutung. Umweltingenieur Felix Spröer erforscht die Jahrhunderte alte
       > Methode.
       
 (IMG) Bild: Müssen auch immer wieder renoviert werden: Lahnungen wie hier bei Hilgenriedersiel im Juli 2024
       
       Osnabrück taz | Wissenschaftler denken sich für ihre Projekte oft Akronyme
       aus, und teils klingt das dann ziemlich schräg, augenzwinkernd und lustig.
       Auch Umweltingenieur Felix Spröer vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau
       (LWI) der Technischen Universität Braunschweig, Fachgebiet Hydromechanik,
       Küsteningenieurwesen und Seebau, verwendet oft eins: „Vemolahn“. Es steht
       für „Interaktion von Vegetation und Morphodynamik in Lahnungsfeldern“ und
       ist eins der unspektakuläreren.
       
       „Wir machen da oft selbst Witze drüber“, sagt Spröer der taz. „Aber solche
       Abkürzungen helfen in der alltäglichen Kommunikation. Wissenschaftliche
       Projekttitel können ja sehr lang und komplex sein. So wissen alle sofort,
       was gemeint ist.“
       
       Eine Lahnung ist eine traditionelle Küstenschutzanlage im seeseitigen
       Vorland des Deichs, klassischerweise aus zwei Reihen von Holzpflöcken
       gebaut, zwischen die Reisig geschnürt wird. Zuweilen besteht sie auch aus
       Steinwällen. In rechteckigen, gestaffelten Feldern angelegt, beruhigen
       Lahnungen die Strömung und wirken durch Sedimentablagerung der Erosion
       entgegen. Schlick- und Sandzonen entstehen so, Salzwiesen. Der Boden hebt
       sich. Die Belastung des Deichs sinkt. Eine Technik, angewandt seit
       Jahrhunderten.
       
       „Bisher wurde da allerdings wenig Wissenschaft reingesteckt“, sagt Spröer,
       der den Lahnungen seine Dissertation widmet. Vemolahn, auf drei Jahre
       ausgelegt, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, holt
       das jetzt nach, nicht zuletzt als Prävention gegen die Folgen der
       Klimakrise.
       
       Das Projekt ist eine Kooperation mit dem Ludwig-Franzius-Institut für
       Wasserbau und Ästuar- und Küsteningenieurwesen (Lufi) der
       Leibniz-Universität Hannover. Der Landesbetrieb für Küstenschutz,
       Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein und der Niedersächsische
       Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz leisten
       Zuarbeit.
       
       Sie alle zielen auf Praxisanwendungen. Wenn Vemolahn im Herbst 2025
       abgeschlossen ist, wird es ein Tool für den Küstenschutz sein, um
       Lahnungsfelder zu optimieren und der Klimakrise anzupassen.
       
       Um Landgewinnung wie in [1][Theodor Storms legendärer
       Deichbau-Schauernovelle „Der Schimmelreiter“] geht es in Vemolahn nicht. Im
       Wattenmeer, Weltnaturerbe von den Niederlanden bis Dänemark, geprägt von
       Nationalparkflächen und Biosphärenreservaten, findet sie nicht mehr statt.
       
       „Ein Haufen neuer Plag und Arbeit erhob sich vor der Seele des
       Deichgrafen“, schreibt Storm. „Nicht nur der alte Deich mußte hier
       verstärkt, auch dessen Profil dem des neuen angenähert werden; vor allem
       aber mußte der als gefährlich wieder aufgetretene Priel durch neuzulegende
       Dämme oder Lahnungen abgeleitet werden.“ Storms bedrohliche Beschreibung
       des nordfriesischen Meeres, so realistisch wie poetisch, [2][wirkt bis
       heute nach.]
       
       ## Miteinander von Mensch und Natur
       
       Damals sah, wer eine Lahnung baute und instand hielt, das Meer als Gefahr,
       der es Agrarfläche abzutrotzen und gegen dessen Sturmfluten es
       Abwehrfestungen zu errichten galt. Heute fokussiert sich das Handeln auf
       ein Miteinander von Mensch und Natur, nicht auf ein Gegeneinander. Vemolahn
       ziele auf „naturnahen, nachhaltigen“ Küstenschutz, sagt Spröer. „Klar, jede
       Lahnung ist ein Eingriff in die Natur. Aber gleichzeitig entstehen dadurch
       neue Lebensräume, mit großer Artenvielfalt.“
       
       In Vemolahn geht es nicht nur darum zu verstehen, wie Lahnungen
       funktionieren, von der Positionierung bis zur Baugeometrie, und wie man sie
       verbessern kann. Es geht auch darum, das Meer zu verstehen.
       
       Das tut Spröer meist weit vom Meer entfernt. Von seinem Mess-Turm im
       [3][Watt] vor der nordfriesischen Insel [4][Pellworm], der Seegang und
       Sedimenttransport erfasst, Boden- und Vegetationsdaten, ist Braunschweig
       über fünf Autostunden entfernt.
       
       ## Daten aus Pellworm als Grundlage für Laborforschung
       
       Der mastähnliche Turm überträgt die Daten per Mobilfunk zu Spröer. Das
       silberne Edelstahlgebilde ragt hoch aus dem Wattboden empor. „Eine Welle
       darf da ruhig mal drübergehen“, sagt der Forscher. „Aber natürlich sollte
       die Elektronik nicht dauerhaft unter Wasser sein.“ Der Strom für das
       Forschungsequipment an den Spitze des Mastes kommt aus einer
       Methanol-Brennstoffzelle, die nur Sauerstoff und Wasser emittiert. Sie hält
       ein paar Monate. Danach muss Ströer dann doch mal rauf ans Meer.
       
       „Derzeit arbeite ich im Labor“, sagt Spröer. „In unserem Wellenkanal machen
       wir kleinskalige Versuche mit Modell-Lahnungen.“ Die Daten aus Pellworm
       bilden dafür die Grundlage. Dass die Wahl auf Pellworm fiel, ist kein
       Zufall. „Inseln spüren den Klimawandel als Erste“, sagt Spröer.
       
       Die Daten aus Pellworm, von der Wellenlaufrichtung bis zu Vorkommen
       salztoleranter Pionierpflanzen, münden in prognostische
       Computer-Modellierungen, die auch für jeden anderen Standort die
       Wechselwirkungen simulieren können, die zwischen Lahnung und Natur
       entstehen. „Verhalten sie sich wie in der Natur, sind sie richtig“, sagt
       Spröer. „Tun sie das nicht, sind sie nur Mathematik.“
       
       25 Nov 2024
       
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