# taz.de -- Neuwahlen auch in Irland: Dürfen sie schon im November?
       
       > Irlands Regierungschef Simon Harris will die Parlamentswahl vorziehen
       > lassen. Der Grund ist der rapide Absturz von Sinn Féin wegen einiger
       > Skandale.
       
 (IMG) Bild: Simon Harris (l) und Sir Keir Starmer bei einem Guiness im britischen Chequers in Ellesborough am 17. Juli 2024
       
       Dublin taz | Die Gelegenheit schien zu günstig, um ihr zu widerstehen:
       Irlands Regierungskoalition aus den konservativen Parteien Fine Gael (Stamm
       der Gälen) und Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals) sowie den Grünen
       liegt bei Umfragen vorn, so dass Premier Simon Harris die Parlamentswahlen
       vorziehen will. Statt turnusmäßig im Frühjahr 2025 wird voraussichtlich am
       29. November gewählt.
       
       Wie Harris am Mittwoch erklärte, will er nach seiner Rückkehr vom
       Europagipfel in Budapest an diesem Freitag den irischen Staatschef um die
       Auflösung des Parlaments und Ansetzung von Neuwahlen bitten. Dies habe er
       mit seinen Koalitionspartnern vereinbart. Am Donnerstag und Freitag soll
       das Parlament noch den neuen Staatshaushalt verabschieden.
       
       Grund für die Eile ist [1][der rapide Niedergang von Sinn Féin (Wir
       selbst)], dem ehemaligen politischen Flügel der aufgelösten
       Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Noch Anfang des Jahres lag die Partei
       bei 36 Prozent – scheinbar uneinholbar vor den beiden konservativen
       Parteien, die Irlands Politik seit der Staatsgründung vor gut hundert
       Jahren dominiert haben. Da Sinn Féin in Nordirland stärkste Partei ist und
       dort die Erste Ministerin stellt, träumten die Anhänger schon von der
       bevorstehenden Vereinigung Irlands.
       
       Der Traum ist ausgeträumt. Das hat verschiedene Gründe. Zunächst wurde
       bekannt, dass der Belfaster Ex-Bürgermeister und irische Senator Niall
       O’Donghaile zurücktreten musste, weil er einem 16-jährigen Parteimitglied
       „unangemessene Nachrichten“ geschickt hatte. Parteichefin Mary Lou McDonald
       schob „gesundheitlichen Probleme“ vor, bis die wahren Gründe bekannt
       wurden.
       
       ## Tadellose Zeugnisse
       
       Das war lediglich der Beginn eines Sturms, der sich über Sinn Féin
       zusammenbraute. Der Pressesprecher der Partei, Michael McMonagle, war im
       Juni vor zwei Jahren wegen pädokrimineller Taten suspendiert worden.
       Dennoch stellten ihm zwei führende Sinn-Féin-Mitglieder tadellose Zeugnisse
       für einen Job bei der British Heart Foundation aus.
       
       Die Wohltätigkeitsorganisation fiel aus allen Wolken, als sie durch die
       Medien von McMonagles Vergangenheit erfuhr. Der hatte sich 14 Straftaten
       für schuldig bekannt, darunter der Versuch, ein Kind zu sexuellen
       Handlungen anzustiften. Das Urteil fällt am 8. November. Noch
       schwerwiegender war, dass McDonald versucht hatte, die Schuld auf die
       British Heart Foundation abzuwälzen.
       
       Im Juli erhob ein weibliches Sinn-Féin-Mitglied eine partei-interne Klage
       gegen den Abgeordneten Brian Stanley, den Vorsitzenden des mächtigen
       Rechnungsprüfungsausschusses, wegen eines Zwischenfalls im Oktober 2023.
       Einzelheiten wurden nicht veröffentlicht. Die Partei leitete eine
       Untersuchung ein, worauf Stanley aus der Partei austrat: Die interne
       Untersuchung sei eine Farce, sagte er, Sinn Féin hätte den Vorfall – den er
       bestreitet – sofort der Polizei übertragen müssen.
       
       [2][Sinn Féin reagiere auf Kindesmissbrauch in ihren Reihen wie die
       katholische Hierarchie], schreibt der Kolumnist der Irish Times, Fintan
       O’Toole: „Der Parteifunktionär ist, wie der Priester, einer von uns und
       muss daher mit Mitgefühl und Verständnis behandelt werden. Das Opfer ist
       ein Problem, das mit dem geringstmöglichen Schaden für das Vertrauen der
       Gläubigen bewältigt werden muss.“
       
       ## Erheblicher Dämpfer
       
       Es kann immer noch schlimmer kommen, musste Sinn Féin feststellen. Mitte
       Oktober trat auch die Abgeordnete Patricia Ryan aus der Partei aus, nachdem
       sie vor einer Veranstaltung in ihrem Wahlkreis ermahnt worden war, der
       Parteichefin keine „negativen oder unangemessenen“ Fragen zu stellen. Die
       Fragen sollten vorab in einer Whatsapp-Gruppe eingereicht werden. Elf
       Mitglieder der Bezirksgruppe verließen daraufhin ebenfalls die Partei.
       
       Schon bei den Kommunal- und Europawahlen Anfang Juni hatte die Partei einen
       erheblichen Dämpfer erlitten. Dass sie längst nicht mehr bei gut 30 Prozent
       lag, war der Parteiführung klar, aber der Absturz auf 12 Prozent – weniger
       als die Hälfte ihres Ergebnisses bei den Parlamentswahlen 2020 – war dann
       doch ein Schock. Dabei war das Ausmaß der Skandale damals noch gar nicht
       bekannt.
       
       Es gab dafür auch andere Gründe. Nach den Unruhen in Dublin vorigen
       November, als Busse und Straßenbahnen in Brand gesteckt und Geschäfte
       geplündert wurden, forderte McDonald den Rücktritt des Polizeipräsidenten
       und der Justizministerin. Das war eine gravierende Fehleinschätzung, denn
       die meisten machten die Randalierer und nicht die Polizei für das Chaos
       verantwortlich.
       
       ## Als Verräterin angeprangert
       
       Hinzu kam, dass Sinn Féin eine liberale Linie bei der Einwanderung
       vertritt, was die Kernwählerschaft aus der Arbeiterklasse zunehmend
       ablehnt. Die Proteste der Einwanderungsgegner richten sich auch gegen Sinn
       Féin, McDonald wird als Verräterin angeprangert.
       
       Und ihr droht weitere Unbill: In ihrem Wahlkreis bekommt sie es mit Gerry
       Hutch zu tun, einem prominenten Gangsterboss mit dem Spitznamen „The Monk“.
       Gegen den 61-Jährigen, der 30 Vorstrafen hat und dessen Clan sich seit
       Jahren mörderische Fehden mit dem Kinahan-Clan um die Vorherrschaft auf dem
       europäischen Drogenmarkt liefert, wird zurzeit in Spanien wegen Geldwäsche
       ermittelt.
       
       Hutch kann in dem Wahlkreis in der nördlichen Dubliner Innenstadt, wo er
       aufgewachsen ist, auf Unterstützung zählen. Es reicht zwar nicht, um einen
       Sitz zu gewinnen, aber er könnte McDonald die Wiederwahl vermasseln.
       
       7 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /EU-Wahlergebnis-Irland/!6017293
 (DIR) [2] /Sexueller-Missbrauch-in-Irland/!6031438
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Neuwahl
 (DIR) Sinn Fein
 (DIR) Irland
 (DIR) Parlamentswahlen
 (DIR) Parlamentswahlen
 (DIR) Irland
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
 (DIR) Irland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Parlamentswahlen in Irland: Irische Koalition verliert Juniorpartner
       
       Das konservative Bündnis in Dublin kann voraussichtlich weiterregieren –
       allerdings ohne die Grünen. Die Rechtsextremen gehen derweil leer aus.
       
 (DIR) Vor der Wahl in Irland: Die irische Groko muss zittern
       
       Ein Eklat der irischen Partei Fine Gael lässt ihre Umfragewerte absacken.
       Werden die beiden Regierungsparteien auf Sinn Féin angewiesen sein?
       
 (DIR) Sexueller Missbrauch in Irland: Als die Kindheit endete
       
       Ein Bericht veröffentlicht 2.400 Fälle sexuellen Missbrauchs an
       katholischen Schulen in Irland in den letzten 30 Jahren. Entschädigungen
       gibt es nicht.
       
 (DIR) EU-Wahlergebnis Irland: Sinn Féin ist Wahlverliererin
       
       Wegen des komplizierten irischen Wahlsystems liegen die
       Europawahlergebnisse erst jetzt vor. Der Rechtsruck hat auch vor dem Staat
       nicht Halt gemacht.
       
 (DIR) Irlands neuer Premier Harris: Jung und mit wenig neuen Ideen
       
       Irland hat einen neuen Regierungschef: Simon Harris folgt auf Leo Varadkar.
       Mit 37 ist er der jüngste – und könnte schon bald wieder Geschichte sein.