# taz.de -- Komische Oper zeigt „Sweeney Todd“: The Bloody Horror Opera Show
       
       > Lakonisch und mit schwarzem Humor: Zur gruseligsten Jahreszeit bringt die
       > Komische Oper „Sweeney Todd“ im Berliner Schillertheater auf die Bühne.
       
 (IMG) Bild: Christopher Purves als Sweeney Todd und die besonders beeindruckenden Nebenrollen
       
       Ein markerschütterndes Kreischen in höchsten Frequenzen fährt als
       akustische Schockwelle durch den Saal, als sich der Vorhang hebt. Der ganze
       Horror, der da kommen wird, liegt schon in diesem nicht menschlich
       klingenden Soundeffekt, der sich noch mehrmals wiederholen wird (aber ja,
       man gewöhnt sich ja immer an fast alles). Zur gruseligsten Jahreszeit
       bringt die Komische Oper mit Stephen Sondheims „Sweeney Todd“ ein wahrhaft
       schauerliches Werk auf die Bühne des Schillertheaters, in dem viel
       Theaterblut zum Einsatz kommt.
       
       Auf die Untaten des „Demon Barber of Fleet Street“ stimmt gleich zu Beginn
       der Chor ein, der in diesem Stück in einer Mischung aus antikem Dramenchor
       und Moritatengesang die Handlung kommentierend begleiten wird. Der Chor der
       Komischen Oper klingt dabei nicht nur so, als habe er zeitlebens nie etwas
       anderes als amerikanische Musicals gesungen, sondern zeigt sich auch in
       tänzerischer Hinsicht enorm engagiert und ausdrucksstark. Und überhaupt
       wirken alle Beteiligten an diesem Abend so, als hätten sie ausgesprochen
       viel Spaß an dem, was sie da auf der Bühne tun.
       
       Der mordende Barbier Sweeney Todd, eine fiktive Figur aus einem englischen
       Schauerroman des 19. Jahrhunderts, ist vielfach als Bühnenfigur und auch
       für den Film adaptiert worden. Sondheims Musical, nach einer vorhandenen
       Dramenvorlage entstanden, hatte 1979 Premiere am Broadway und wurde
       schließlich vor allem durch [1][Tim Burtons Verfilmung von 2008] (mit einem
       singenden Johnny Depp als Serienkiller) sehr bekannt.
       
       „Ich habe die Oper nie gemocht und nie verstanden“, wird der Komponist im
       Programmheft der Komischen Oper zitiert. „Die meisten Opern ergeben für
       mich keinen theatralischen Sinn.“ Sondheim (1930–2021), der in den
       fünfziger Jahren die Songtexte für Leonard Bernsteins [2][West Side Story]
       schrieb, hatte eine echte Doppelbegabung und schrieb zu etlichen seiner
       Musicals auch das Skript. Von Dramaturgie verstand er viel. Er mag sich mal
       in der Oper gelangweilt haben; aber zweifellos ist sein „Sweeney Todd“ ein
       an operngerechten Abläufen geschultes Gesamtkunstwerk.
       
       ## Mit dem Rasiermesser auf Rachefeldzug
       
       Sondheim arbeitet durchweg mit Leitmotiven, integriert die Gesangsnummern
       bruchlos in die Handlung und lässt gesprochene Dialoge sehr oft fast
       unmerklich gleitend in Gesang übergehen. Sowieso wird überwiegend gesungen.
       Sondheim selbst soll sein Werk einmal als „schwarze Operette“ bezeichnet
       haben.
       
       „Schwarz“ ist in „Sweeney Todd“ auch der Humor, der sicher nicht unbedingt
       in der ursprünglichen Schauergeschichte angelegt war. (Sondheims Songtexte
       sprühen vor englischem Wortwitz, der dank zweisprachiger Übertitel auch für
       weniger Fremdsprachenaffine nachvollziehbar gemacht wird.) Tatsächlich ist
       das Schicksal der Hauptfigur zunächst einmal tragisch: Durch die Intrige
       eines einflussreichen Richters ist der Barbier Benjamin Barker einst
       ungerecht verurteilt und verbannt worden.
       
       Die schöne junge Frau des Barbiers wird vom Richter vergewaltigt und
       verstoßen. Die kleine Tochter des Paars nimmt er als Mündel bei sich auf;
       doch als das Mädchen erwachsen wird, beginnen ihre körperlichen Reize ihn
       zu erregen …
       
       Als der unglückliche Barbier nach fünfzehn Jahren unter dem Namen Sweeney
       Todd nach London zurückkehrt, erfährt er vom Schicksal seiner kleinen
       Familie durch die Pastetenverkäuferin Nellie Lovett, die ihn allerdings
       glauben lässt, seine Frau sei tot; denn Mrs. Lovett selbst war schon immer
       in den Barbier verliebt. Mit dem Rasiermesser beginnt Sweeney einen
       Rachefeldzug, der sehr bald in einen regelrechten Blutrausch ausartet.
       
       Auch das Pastetengeschäft von Nellie Lovett profitiert von dem reichlich
       anfallenden Frischfleisch… Mrs. Lovett, eigentlich eine Cockney-Figur, wie
       sie im sprichwörtlichen Buche steht, wird gegeben von der erstaunlichen
       Dagmar Manzel, die ihren umfangreichen englischsprachigen Part souverän
       bewältigt und auch mal „poy“ statt „pie“ sagt; aber das verschroben
       komische Potenzial dieser Figur hätte sie vermutlich noch mehr zum Funkeln
       bringen können, wenn ihre Zunge nicht mit dem fremdsprachigen Handicap
       beschäftigt wäre.
       
       Christopher Purves als Sweeney Todd bringt sängerisch einen oft herrlich
       gruseligen, offensiv sonoren Bass und darstellerisch eine recht
       statuarische Hauptfigur auf die Bühne. Viele schöne Auftritte haben die
       Nebenfiguren: James Kryshak brilliert als intrigierender Büttel Beamford
       und Ivan Turšić als Barbier Adolfo Pirelli, Alma Sadé verleiht ihrem Sopran
       jugendliche Teenager-Unschuld und Tom Schimon geht ans Herz als naiver
       Waisenjunge.
       
       Es ist, alles in allem, eine tolle Ensembleleistung (das Orchester unter
       James Gaffigan eingeschlossen). [3][Und Koskys Inszenierung] trifft,
       kongenial zur Vorlage, einen genau richtig lakonischen Ton, dessen
       schwarzer Humor nicht zum einfältigen Lustgruseln einlädt. Noch im Lachen
       ist das Erschrecken über das Lachen hier allzeit mit eingepreist. Das wirkt
       ziemlich brechtisch gedacht und ist womöglich auch genau so gewollt. Und
       doch hat mensch sich drei Stunden lang köstlich amüsiert.
       
       19 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gruselfilm-Sweeney-Todd/!5186316
 (DIR) [2] /Remake-der-West-Side-Story-im-Kino/!5814623
 (DIR) [3] /Barrie-Kosky-inszeniert-Hercules/!5993473
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Oper
 (DIR) Bühne
 (DIR) Bühnenrevue
 (DIR) Operette
 (DIR) Komische Oper Berlin
 (DIR) Barrie Kosky
 (DIR) Deutsches Theater
 (DIR) Komische Oper Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Fellini-Adaption am DT Berlin: Bumm bumm bumm
       
       Wie wird es weitergehen? Düstere Aussichten auf und hinter der Bühne
       verhieß ein Abend am Deutschen Theater in Berlin: „Das Schiff der Träume“.
       
 (DIR) Komische Oper Berlin bedroht: Nicht mehr komisch
       
       Dem Musiktheater droht das Aus der Sanierung seines Stammsitzes. Der
       ehemalige Intendant Barrie Kosky schlägt in einem offenen Brief Alarm.
       
 (DIR) Gruselfilm "Sweeney Todd": Der Frisör des Grauens
       
       In Tim Burtons Moritat "Sweeney Todd" schneidet Johnny Depp als Barbier
       Kehlen durch und singt mit Helena Bonham-Carter im Duett.