# taz.de -- Umstrittene Praxis bei Berliner Polizei: Schmerzgriffe unter Verschluss
       
       > Das Portal FragDenStaat strengte eine Klage auf Akteneinsicht zu den
       > umstrittenen Schmerzgriffen der Polizei an – das Verwaltungsgericht
       > lehnte sie ab.
       
 (IMG) Bild: Wegtragen statt Schmerzgriff: das würden viele Aktivist*innen bevorzugen
       
       Berlin taz | Laut der Anwältin der Klageseite hat das Verwaltungsgericht
       Berlin am Donnerstag eine Klage gegen die Berliner Polizei bezüglich der
       Herausgabe von Schulungsmaterial zu den umstrittenen Schmerzgriffen
       abgelehnt. Kara Engelhardt, eine Mitarbeiterin des
       [1][Informationsfreiheitsportals FragDenStaat hatte die Klage angestrengt],
       nachdem sich die Polizei 2022 geweigert hatte, auf eine Anfrage mittels des
       Informationsfreiheitsgesetzes hin FragDenStaat die Schulungsunterlagen zur
       Verfügung zu stellen. Diese seien Verschlusssache, so die Berliner Polizei.
       
       Schmerzgriffe, auch Nervendrucktechniken genannt, werden von Polizeibeamten
       oft an Demonstrationen gegen Protestierende eingesetzt, um sie zur Aufgabe
       von Blockaden zu bewegen. Die Griffe sind verschiedenen Kampfsporttechniken
       entlehnt. In die Debatte gelangten die Schmerzgriffe, insbesondere im Zuge
       der Sitzblockaden von Umweltgruppen in den letzten Jahren. Die Praxis ist
       umstritten. Und das auch in Polizeikreisen selbst; in Bayern etwa greift
       die Polizei nicht zu diesem Mittel.
       
       Aktivist:innen berichten immer wieder über [2][unverhältnismäßigen
       Einsatz von Schmerzgriffen], etwa bei Sitzblockaden, wo man Demonstrierende
       auch wegtragen kann, ohne ihnen absichtlich zusätzliche Schmerzen
       zuzufügen. Die Polizei stellt sich auf den Standpunkt, dass sie im Rahmen
       des Gesetzes auch körperlichen Zwang anwenden könne, um die öffentliche
       Ordnung im Angesicht renitenter Demonstrierenden wieder herzustellen. Diese
       Techniken böten weniger Verletzungsgefahr als wenn Menschen aus Blockaden
       weggetragen werden.
       
       [3][Das Vorgehen gegen die Klimabewegung] habe gezeigt, wie wichtig es sei,
       demokratische Öffentlichkeit über Zwangsmittel wie Schmerzgriffe
       herzustellen, sagte die Klägerin Kara Engelhardt nach der Verhandlung. Die
       Öffentlichkeit wisse nicht, unter welchen Bedingungen und nach welchen
       Abwägungen dieses gewaltvolle Zwangsmittel eingesetzt wird. FragDenStaat
       verweist auf eine Doktorarbeit aus dem Jahr 2022 an der Uni Regensburg von
       Dorothee Mooser. Darin schreibt Mooser „Die Nervendrucktechniken stellen
       eine unzulässige Maßnahme der Polizei dar und können gegen Menschenrechte
       verstoßen.“ Selbst gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, das
       Folter verbietet, könnten die Griffe verstoßen.
       
       ## Beschränkung des Rechts auf Akteneinsicht
       
       Die präsidierende Richterin, Verwaltungsgerichtspräsidentin Erna Xalter,
       verwies im mündlichen Verfahren, insbesondere auf die Paragrafen 9 und 11
       des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes. Paragraf 9 beschränkt das Recht
       auf Akteneinsicht, wenn damit die behördliche Arbeit eingeschränkt wird.
       Die Schulungsunterlagen sind als „Verschlusssache – Nur für den
       Dienstgebrauch“ (VS-NfD) klassifiziert. Diese Designierung wird immer mehr
       verwendet, um behördeninterne Praktiken oder Vorgänge vor Zugriffen durch
       das IFG zu schützen, eine Praxis, die Transparenzaktivist:innen als
       undemokratisch und gegen den Geist des IFGs bewerten. Paragraf 11 des IFGs
       schränkt denn auch Akteneinsicht bei „Gefährdung des Gemeinwohls“ ein.
       
       Die Vertreterinnen der Berliner Polizei verwiesen darauf, dass sich bei
       einer Öffentlichmachung der Trainingsunterlagen, in denen erörtert wird,
       wie Schmerzgriffe funktionieren und einzusetzen sind, Menschen, gegen die
       diese Griffe potenziell eingesetzt werden würden, in „Camps“ oder Workshops
       auf die Schmerzgriffe vorbereiten könnten, um so ihre Wirkungsmächtigkeit
       zu untergraben. Eine Offenlegung würde die innere Sicherheit des Landes
       Berlin beeinträchtigen. Das untergrabe die „Überraschungswirkung“ der
       Schmerzgriffe. 2018 hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg festgelegt,
       dass Zwangsmittel, wie Taser oder Pfefferspray (wie auch Schusswaffen),
       nicht ohne Androhung eingesetzt werden dürfen.
       
       Vivian Kube, die Anwältin, die FragDenStaat vertritt, gab zu bedenken, dass
       viele der Griffe bereits bekannt seien. Viele Videos, die ihre Anwendung
       dokumentierten, zirkulieren im Internet. Vielmehr würde eine weitere
       Bekanntmachung die Abschreckungswirkung verstärken. Vergangenes Jahr war
       FragDenStaat eine veraltete Version des Schulungsmanuals zugespielt worden,
       auch dadurch weiß man mehr über die umstrittene Praxis.
       
       Ob Kara Engelhardt und FragDenStaat in Berufung gehen, entscheiden sie nach
       Auswertung der schriftlichen Urteilsbegründung. In der Praxis berichten
       Aktivist:innen immer wieder davon, ohne Ankündigung brutal den Kopf in
       den Nacken gedrückt zu bekommen, dass Polizeibeamte Finger oder andere
       Gliedmaßen überdehnen oder an empfindliche Körperstellen stark und damit
       sehr schmerzhaft zudrücken. Einzelne Beamte seien schon dafür bekannt,
       besonders schnell und hart zuzulangen. Im Oktober 2023 übergab die
       Klimaprotestgruppe Letzte Generation dem Berliner Polizeibeauftragten eine
       Dokumentation von 95 Fällen, in denen die Gruppe unverhältnismäßige
       Gewaltanwendung moniert.
       
       1 Nov 2024
       
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