# taz.de -- Unterstützung und Verschwörung: Sturm auf Tiktok
       
       > Hurrikan „Milton“ ist verdammt real – aber er prägt auch die Sozialen
       > Medien. Bei Katastrophen ist Tiktok dabei in den USA zum Treiber
       > geworden.
       
 (IMG) Bild: 9. Oktober, Fort Myers Beach, Florida: Das Wasser ist da, was sagt Tiktok?
       
       Hurrikan „Milton“ pflügt durch Florida. Und Tiktok ist voll von
       Sturm-Content. Am Mittwoch ging zunächst [1][ein Video des Meteorologen
       John Morales] viral: „Es ist einfach ein unglaublicher, unglaublicher,
       unglaublicher Hurrikan“, sagt Morales. Er seufzt, schaut nach unten. „Das
       ist einfach schrecklich“, schluchzt er und verweist auf die Klimakrise.
       
       Am Mittwoch streifte der Sturm bereits die mexikanische Halbinsel Yucatán.
       15 Fischer werden dort derzeit vermisst. In der Nacht zum Donnerstag traf
       er auf Floridas Westküste. Am Donnerstagmorgen berichtete die New York
       Times von drei Millionen Menschen ohne Elektrizität. Zwei Todesfälle sind
       bisher bekannt. Über 116 Tornadowarnungen soll es gegeben haben. Auch sie
       sind in vielen Videos zu sehen. Drei bis viereinhalb Meter hohe Sturmfluten
       – die laut Expert*innen größte Gefahr bei Hurrikans – waren zudem für
       die Region um die Stadt Tampa vorhergesagt. Die Bürgermeisterin warnte:
       „Wenn Sie sich entscheiden, in einem dieser Evakuierungsgebiete zu bleiben,
       werden Sie sterben.“
       
       In den folgenden Stunden füllt sich mein Tiktok-Feed jedoch mit Videos von
       Menschen, die bleiben. Die Videos wurden am Mittwochabend und
       Donnerstagmorgen deutscher Zeit millionenfach geklickt. In den
       Kommentarspalten flehen viele die Filmenden an, doch noch zu fliehen.
       Einige bieten an, Unterkünfte zu teilen.
       
       Doch nicht alle können weg. Mehrere Accounts berichteten von leer getankten
       Tankstellen und langen Staus. Eine Familie kehrte nach vier Stunden Fahrt
       zurück ins Risikogebiet, weil sie den Sturm nicht im Auto im Stau
       überstehen wollte. Wiederholt berichten Menschen, dass sie sich die
       Evakuierung nicht leisten können.
       
       ## Viele Tiere
       
       So auch User A-Aron. Er bleibe wegen seines Hundes. Eine Unterkunft sei zu
       teuer. Er beklagt, wie auch viele andere User*innen, stark gestiegene
       Hotel- und Airbnb-Preise. „Ich bleibe, weil er und ich, wir sind loyal
       zueinander“, sagt er.
       
       Viele Videos, die viral gehen, zeigen Tiere. Eine Pferdehalterin schreibt
       ihre Telefonnummer auf die Seite ihrer Pferde und lässt sie laufen. Das sei
       sicherer, als sie im Stall zu lassen. Viele Videos zeigen auch Kraniche,
       die durch die Straßen laufen und laut rufen, als würden sie warnen.
       
       In einem anderen Video sammeln sich kleinere Vogelarten um die Kraniche. So
       mysteriös das Verhalten der Tiere ist: Bekannt ist, dass Vögel in Fällen
       von Gefahr teils zusammenarbeiten, auch über Artengrenzen hinweg. Und Vögel
       können den Druckabfall wahrnehmen. „Wenn die Vögel weggehen, dann wird es
       gefährlich“, sagt eine ältere Frau in einem Video.
       
       Doch nicht alle, die bleiben, tun das aus Not oder Tierliebe. Manche
       scheinen ihre zwei Tage Internet-Fame zu wittern. Der Finanz-Influencer
       stephantradez etwa wohnt in einem Hochhaus in Tampa und fühlt sich deswegen
       sicher vor dem steigenden Wasser. Zwar hatte er auch vorher schon
       Zehntausende Klicks, doch seinen Hurrikan-Content schauen bis zu 16
       Millionen. Fast stündlich postet er ein Update aus seinem Apartment. „Die
       Medien schüren absichtlich Wut und lassen alle glauben, dass dies etwas
       Katastrophales sei“, sagt er. Es werde schon nicht so schlimm.
       
       ## Alles dabei
       
       Etwa 24 Stunden später filmt er mit einer Handlampe aus seiner mittlerweile
       dunklen Wohnung: „Die Garage ist geflutet, die Straßen sind geflutet, wer
       hätte gedacht, dass, wenn Generatoren explodieren, sie riesige blaue
       Explosionen machen.“ Im nächsten Video, um etwa sechs Uhr morgens, schwankt
       das Hochhaus, in dem der Influencer wohnt. Die Deckenlampen wackeln. Noch
       eine Stunde, dann sei es vorüber. In den gleichen Stunden löst sich in
       Tampa das Dach der Tropicana-Arena ab. In mehreren Videos flattern Stücke
       des Dachs im Wind. In seinem letzten Video von etwa sieben Uhr sagt
       stephantradez: „Ich dachte, es wäre vorbei, jetzt ist mein Strom weg.“ Bis
       Redaktionsschluss gab es kein Update mehr von ihm.
       
       Für dynamische Lagen ist Tiktok – in den USA zumindest – offenbar zum
       treibenden Medium geworden. Dabei ist von gegenseitiger Unterstützung bis
       hin zu Verschwörungstheorien über den Sturm alles dabei. Auf X beziehen
       sich die meisten Posts unter dem Hashtag Milton auf Tiktok-Content. Auf
       Instagram und Threads passte sich der Algorithmus weniger radikal an.
       
       Auf Tiktok hingegen war am Mittwochabend kaum an Hurrikan-Content
       vorbeizukommen. Tiktoker*innen wurden in nationalen Medien interviewt
       und ihr Content auf Nachrichtenseiten verbreitet. Fast genau so schnell,
       wie er kam, ebbte der Content mit dem Abschwächen des Sturms am
       Donnerstagmorgen wieder ab. User A-Aron, der wegen seinem Hund blieb,
       postete um etwa 10 Uhr. „Wir sind okay. Das schlimmste ist vorbei.“
       
       10 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://edition.cnn.com/2024/10/08/weather/video/hurricane-milton-meteorologist-tears-up-tv-ovn-ldn-digvid
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Moritz Müllender
       
       ## TAGS
       
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