# taz.de -- Inhaftierte Deutsch-Iranerin: Scholz schweigt zu Teherans Geisel
       
       > Die seit Jahren im Iran inhaftierte Nahid Taghavi bleibt an ihren 70.
       > Geburtstag im Gefängnis. Laut ihrer Tochter setzt sich die
       > Bundesregierung kaum ein.
       
 (IMG) Bild: Mariam Claren,Tochter von Nahid Taghavi, bei einer Demonstration zum 1. Jahrestag der Inhaftierung im Oktober 2023
       
       Berlin taz | Als jüngst bei einem Gefangenaustausch mit Russland einige
       dort Inhaftierte freikamen, war das nicht der erste solche Austausch, den
       Mariam Claren in den vergangenen Jahren miterlebt hat. Clarens Mutter Nahid
       Taghavi sitzt seit 2020 in Iran in Haft, und seitdem hat Claren gesehen,
       wie französische, dänische, belgische, US-amerikanische, schwedische und
       österreichische Staatsbürger:innen iranische Gefängnisse verlassen und
       in ihre Heimat zurückkehren konnten.
       
       Im Oktober werden es vier Jahre sein, die die deutsche Staatsbürgerin Nahid
       Taghavi als [1][politische Geisel] in der Islamischen Republik Iran in Haft
       verbracht hat. Und an diesem Mittwoch wird sie 70 Jahre alt.
       
       Bei den vielen Menschen, die seit 2020 freigekommen sind, war es der Deal
       zwischen Russland und westlichen Staaten Anfang August, der Mariam Claren
       wohl am meisten geschmerzt hat. „Ich bin dankbar dafür, dass so viele
       politische Geiseln freigekommen sind“, sagt sie. Als Angehörige einer
       politischen Geisel weiß sie um den Schmerz, der tagtäglich auszuhalten ist
       – und damit auch um die Freude, die eine Freilassung mit sich bringt.
       
       Die prominente Rolle, die die Bundesregierung bei dem Deal mit Russland
       eingenommen hat, habe Claren, so erzählt sie, aber eines klargemacht: Wenn
       die Bundesregierung Geiseln freibekommen möchte, dann kann sie das auch.
       Und damit ist eines wohl offensichtlicher denn je zuvor: Die
       Bundesregierung scheint kein Interesse daran zu haben, Clarens Mutter Nahid
       Taghavi nach Hause zu holen.
       
       ## Frau, gebildet, links
       
       Nahid Taghavi ist Kölnerin, pensionierte Architektin und Frauenrechtlerin.
       Als sie im Jahr 2020 festgenommen wurde, verstand ihre Tochter die Welt
       nicht mehr. Clarens Mutter hatte nichts verbrochen; außer Frau zu sein,
       gebildet zu sein, links zu sein – und Deutsche zu sein.
       
       Das iranische Regime betreibt seit vielen Jahren Geiseldiplomatie – ein
       verharmlosender Begriff. Er bedeutet: Die [2][Islamische Republik] nimmt
       ausländische Staatsbürger:innen fest, um deren Staaten unter Druck
       setzen zu können: Menschen als Verhandlungsmasse.
       
       So wird sie auch behandelt: Taghavi, zum Zeitpunkt ihrer Festnahme 66 Jahre
       alt, saß fast 200 Tage in Isolationshaft, wurde verhört, unter Druck
       gesetzt, sollte Dinge gestehen, die sie nicht getan hatte. In diesen fast
       200 Tagen schlief sie auf Steinboden, ohne Tageslicht, kein Kontakt zur
       Außenwelt, kein Kontakt zu ihrer Tochter.
       
       Noch heute, fast vier Jahre später, leidet die 70-Jährige Berichten zufolge
       unter den körperlichen Auswirkungen dieser langen Isolationshaft –
       Bandscheibenvorfälle, neurologische Ausfälle, Diabetes, Vitaminmangel. Von
       den emotionalen Auswirkungen ganz zu schweigen.
       
       ## Andere Staatschefs finden deutlichere Worte
       
       Von Anfang an hat die Bundesregierung – damals noch eine
       CDU/CSU/SPD-Regierung, heute die Ampelregierung – sich augenscheinlich kaum
       um den Fall gekümmert. Die heute 44-jährige Claren war von Anfang an auf
       sich allein gestellt. Zwar führt sie regelmäßige Telefonate mit dem
       Auswärtigen Amt – doch sie selbst ist es, die Informationen an die Behörden
       weitergibt, nicht andersherum. Durch das Schicksal ihrer Mutter kennt
       Claren die Funktionsweise der iranischen Justiz mittlerweile so gut wie
       wenige andere. In jedem Fall wohl besser als das Auswärtige Amt.
       
       Die Bundesregierung unter [3][Kanzler Olaf Scholz] und Außenministerin
       Annalena Baerbock hat weder eine Task Force eingerichtet, die Informationen
       zum Fall Taghavi zusammenführt, noch scheint sie deren Status als
       politische Geisel überhaupt anzuerkennen.
       
       Gerade im Vergleich zum Umgang anderer Staaten mit ihren
       Staatsbürger:innen fällt das besonders auf: So bezeichnet der
       französische Staatspräsident Emmanuel Macron die französischen Geiseln
       öffentlich als „Staatsgeiseln“ und fordert regelmäßig
       öffentlichkeitswirksam ihre Freilassung.
       
       Zuletzt soll Macron in einem Telefonat mit Irans neuem Staatspräsidenten
       Masoud Pezeshkian die Freilassung der Geiseln gar zur Voraussetzung für
       eine Verbesserung der diplomatischen Beziehungen gemacht haben. „Ich
       bezweifle, dass Olaf Scholz überhaupt weiß, wer meine Mutter ist“, sagt
       Claren.
       
       ## Ganz anders lief der Deal mit Russland
       
       Bei einer Veranstaltung im Auswärtigen Amt im August 2023 erklärte
       Außenministerin Annalena Baerbock auf die Frage nach Nahid Taghavi, dass
       Deutschland ein Rechtstaat sei und deswegen keine Deals mit Staaten
       eingehe, wenn dadurch jemand freikäme, der „Blut an den Händen“ habe. Sie
       bezog sich dabei auf einen Gesandten des iranischen Regimes, der in Belgien
       wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt worden und im Zuge eines Deals
       mit Belgien gegen politische Gefangene im Iran ausgetauscht worden war.
       
       [4][Ganz anders beim Deal mit Russland und Belarus.] Olaf Scholz hat sich
       nach Aussagen von US-Präsident Joe Biden persönlich dafür eingesetzt, dass
       [5][der sogenannte Tiergartenmörder Teil des Deals] wurde, um deutsche und
       andere Gefangene nach Hause zu holen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit
       sprach von einer „Schutzverpflichtung gegenüber deutschen
       Staatsangehörigen“. Für Nahid Taghavi scheint diese nicht zu gelten.
       
       Das Auswärtige Amt erklärt auf Anfrage, man setze sich „hochrangig“ für die
       inhaftierten Deutsche ein. Die Bundesregierung habe außerdem öffentlich
       Nahid Taghavis Freilassung und eine bessere medizinische Versorgung
       gefordert. Das Auswärtige Amt verweist zudem auf den Status von Nahid
       Taghavi als Doppelstaatlerin, der die konsularische Betreuung erschwere.
       Eine Ausrede, die nicht weiter beachtenswert ist.
       
       ## Wäre es anders, wäre Nahid Taghavi nicht Iranerin?
       
       Das öffentliche Verhalten der Regierung spricht hingegen eine klare
       Sprache: So bestätigte im Juli 2023 derselbe Regierungssprecher Hebestreit,
       dass Olaf Scholz sich nicht persönlich um den Fall Taghavi kümmere. Wäre es
       anders, wenn Nahid Taghavi nicht iranischstämmig wäre?
       
       Das mag provokant klingen; ist aber eine mögliche Schlussfolgerung.
       [6][Helmut Hofer,] [7][Marcus Hellwig, Jens Koch] – drei Personen, die vor
       Jahren ebenfalls als politische Geiseln im Iran gehalten wurden und für die
       sich die jeweiligen Außenminister in aller Öffentlichkeit und mit hohem
       Druck eingesetzt haben. Ein krasser Kontrast zu dem, was Nahid Taghavi
       erlebt.
       
       „Die Bundesregierung muss sich an Erfolgen messen lassen“, sagt Mariam
       Claren. „Fakt ist: Es gibt keine.“ Und so muss Nahid Taghavi einen weiteren
       Geburtstag in iranischer Haft verbringen. Niemand kann sagen, wie lange die
       70-Jährige noch die unmenschliche Haft ertragen muss. Am allerwenigsten, so
       scheint es, die Bundesregierung.
       
       28 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [7] https://www.bild.de/politik/2011/journalist/reporter-journalisten-jens-koch-marcus-hellwig-drama-gefangen-iran-flug-in-freiheit-16171318.bild.html
       
       ## AUTOREN
       
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