# taz.de -- Komplikationen in der Schwangerschaft: Wenn der Blutzucker verrückt spielt
       
       > Schwangerschaftsdiabetes gilt als häufigste Ursache für Probleme bei
       > Schwangeren. Trotzdem wird sie bisher nicht ausreichend behandelt.
       
 (IMG) Bild: Mit der Schwangerschaft verändert sich nicht nur der Hosenumfang, sondern auch die Ernährung und das, was im Körper passiert
       
       Mit der [1][Schwangerschaft] verändert sich der Bauch. Nicht nur der
       Hosenumfang, sondern auch die Ernährung und das, was dabei im Körper
       passiert. Manchen Schwangeren ist übel, sie müssen auf bestimmte
       Nahrungsmittel verzichten und mögen andere plötzlich nicht mehr – oder
       besonders gern. Vor allem aber stellen die unterschiedlichen Bedürfnisse
       von Schwangeren und heranwachsendem Nachwuchs den Blutzuckerhaushalt auf
       eine harte Probe.
       
       Denn wo Insulin Zuckermoleküle sonst prompt in die Zellen abtransportiert,
       muss nun genug an den Fötus weitergeleitet werden. Dafür fördern
       Plazentahormone die Insulinresistenz. So wird das Hormon, das den
       Blutzucker abbaut, weniger effektiv. Zum Ausgleich produziert der Körper
       mehr davon und verlangt für die hungrigen Zellen zusätzliche Nahrung.
       
       Es ist ein ausgeklügeltes System. Allerdings auch ein sehr fragiles, denn
       ein zu hoher Blutzuckerspiegel kann zu chronischen Entzündungen führen.
       Insulinresistenz selbst ist der Grundmechanismus hinter Typ-2-Diabetes.
       
       Schwangerschaftsdiabetes entsteht vor allem dann, wenn das produzierte
       Insulin nicht ausreicht, um die steigende Resistenz auszugleichen. Sie gilt
       als häufigste Ursache für Komplikationen und wird bislang dennoch nicht
       ausreichend behandelt. Das erklären [2][Expert*innen im Fachblatt
       Lancet]. In drei wissenschaftlichen Artikeln beschreiben sie neue
       wissenschaftliche Erkenntnisse zur globalen Zunahme von
       Schwangerschaftsdiabetes. Sie zeigen auch Lösungen auf: frühere Tests, mehr
       Prävention und langfristigere Begleitung.
       
       ## Tests schon früher möglich
       
       Aktuell betrifft Schwangerschaftsdiabetes ungefähr 14 Prozent aller
       Schwangerschaften weltweit. [3][In Deutschland zuletzt 8,5 Prozent], in
       nordafrikanischen Ländern bis zu 30 Prozent. Zu den Folgeerscheinungen
       gehören Bluthochdruck, Zahnprobleme und Harnwegsinfektionen, aber auch ein
       erhöhtes Risiko für Geburtsverletzungen, Kaiserschnitte, Frühgeburten oder
       sehr große Babys. In starken Fällen verdoppelt sich die Gefahr, dass
       Neugeborene auf der Intensivstation behandelt werden müssen.
       
       Eine gute Behandlung kann nachweislich viele dieser Risiken auffangen. Mit
       Ernährungsumstellung und Bewegung über regelmäßige Tests bis zu
       medikamentöser Behandlung durch Insulin lassen sich beispielsweise noch im
       letzten Schwangerschaftsabschnitt die Fälle von übermäßigem Wachstum bei
       Kindern halbieren.
       
       Die Behandlung könnte allerdings noch viel mehr leisten, wenn sie früher
       angesetzt würde, drängen die Forschenden. Lange galt
       Schwangerschaftsdiabetes als ein isoliertes Problem der späteren
       Entwicklungsmonate. Bis heute wird darauf nach aktuellen Empfehlungen erst
       im sechsten oder siebten Schwangerschaftsmonat getestet. Inzwischen weiß
       man allerdings, dass sich Veränderungen im Blutzuckerspiegel bei 30 bis 70
       Prozent der Betroffenen schon im vierten Monat zeigen.
       
       Die früheren Unregelmäßigkeiten im Blutzuckerspiegel sind als Alarmsignal
       für spätere Komplikationen sogar besonders aussagekräftig, [4][belegen mehr
       als 13 Studien].
       
       Die Behandlung in dieser Phase könnte sich positiv auf die Organentwicklung
       von Lunge bis Gehirn auswirken und einer Reihe von unerwarteten
       Folgeerscheinungen, wie Fehlbildungen und Fehlgeburten vorbeugen. Eine
       Vergleichsstudie zeigt beispielsweise, dass eine besonders frühzeitige
       Behandlung die Zahl von Atembeschwerden bei Neugeborenen reduziert und
       [5][ihre Krankenhausaufenthalte verkürzt].
       
       ## Ganzheitlicher Blick ist wichtig
       
       Der Druck, aktuelle Behandlungsansätze zu optimieren, steigt laut den
       Autor*innen auch dadurch, dass die Risikofaktoren für
       Schwangerschaftsdiabetes weltweit stark zunehmen. Die Fälle steigen
       parallel zur allgemeinen Zunahme von Körpergewicht und Insulinresistenz.
       Obendrein verkomplizieren sich durch deren gemeinsames Auftreten die
       Krankheitsbilder. Auch in Deutschland hat sich die Anzahl der Diagnosen in
       den letzten zehn Jahren fast verdoppelt.
       
       Dabei liegen längst nicht alle Risikofaktoren im Einflussbereich der
       Patient*innen. Das deutet sich schon darin an, dass die Diabetesraten von
       Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund oft weniger denen des
       Wohnorts als denen des Herkunftslandes entsprechen. Wer eine
       Schwangerschaftsdiabetes entwickelt, entscheiden auch genetische Faktoren
       sowie Schilddrüsenhormone und Eierstockzysten, bislang wenig erforschte
       Wechselwirkungen von Fötus, Plazenta und dem Immunsystem, außerdem das
       Alter.
       
       Dieser ganzheitliche Blick auf Ursachen ist nicht nur für die Behandlung
       wichtig, sondern auch, um Stigmata zu überwinden. Viele Betroffene sprechen
       von Scham und Schuldgefühlen, oder sogar von Diskriminierung durch
       medizinisches Personal. Dabei geht Schwangerschaftsdiabetes ohnehin schon
       häufig mit späteren psychischen Problemen wie postpartaler Depression
       einher. Diskriminierung könnte dazu beitragen und erschwert außerdem das
       Ziel, Diabetes früh offen anzusprechen und Patient*innen dauerhaft zu
       begleiten.
       
       Die Autor*innen der Lancet-Reihe sprechen sich für einen
       „Lebensverlaufsansatz“ aus, bei dem Behandelnde schon bei bestehendem
       Kinderwunsch mit ihren Patient*innen Präventionsansätze erarbeiten.
       Körperliche Umstellungen fallen dann noch leichter. Auch die Politik kann
       im Vorhinein dazu beitragen, Risiken für Diabetes-Typ-2 zu verringern. Eine
       aktuelle Studie zeigt beispielsweise den positiven Effekt von
       fußgängerfreundlichen Nachbarschaften, eine andere weist nach, dass
       Corona-Impfungen das Risiko, nach einer Ansteckung Diabetes-Typ-2 zu
       entwickeln, [6][um ein Vielfaches reduzieren].
       
       ## Früherkennung zielt auf Risikominimierung
       
       Mindestens genauso wichtig – und lange unterschätzt – ist die Nachsorge.
       Auch nach der Geburt bedeutet Schwangerschaftsdiabetes ein höheres Risiko
       für alle Beteiligten. Kinder entwickeln später eher
       Herz-Kreislaufstörungen, Bluthochdruck oder selbst Diabetes-Typ-2.
       Gebärenden bescheinigt [7][eine neue Meta-Analyse] für mehr als 20 Jahre
       nach der Schwangerschaft beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko für
       Herzerkrankungen.
       
       Um das zu verhindern, sollen Betroffene nun auch nach der Geburt
       langfristig mit Vorsorgeuntersuchungen begleitet werden. Besonders in den
       ersten sechs Jahren, in denen das Risiko besonders hoch ist und parallel
       viele Eltern ein zweites Kind bekommen. Gleichzeitig zielen die
       Empfehlungen zur Früherkennung – stärker als die bisherigen Leitlinien –
       darauf ab, das Risiko für Folgeerkrankungen von vornherein zu minimieren.
       
       In Deutschland werden frühe Tests bislang nur mit Blick auf die
       Untersuchung des Fötus empfohlen – hier stehen die Risiken für das
       entstehende Kind statt für die gebärende Person im Vordergrund. Dagegen
       werden die Vorgaben zur Behandlung von Schwangerschaftsdiabetes gerade erst
       überarbeitet. Bislang liegt der empfohlene Zeitpunkt noch über zwei Monate
       später als wissenschaftliche Empfehlungen nahelegen. Und falls Schwangere
       sich das Wissen aneignen und solche Tests einfordern, müssen sie diese
       meist selbst zahlen.
       
       20 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schwangerschaft/!t5011906
 (DIR) [2] https://www.thelancet.com/series/gestational-diabetes
 (DIR) [3] https://diabsurv.rki.de/Webs/Diabsurv/DE/diabetes-in-deutschland/1-02_Praevalenz_Gestationsdiabetes.html
 (DIR) [4] https://link.springer.com/article/10.1007/s11892-017-0943-7
 (DIR) [5] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2352827324000715?via%3Dihub
 (DIR) [6] https://www.thelancet.com/journals/landia/article/PIIS2213-8587(24)00159-1/fulltext
 (DIR) [7] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30843102/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franca Parianen
       
       ## TAGS
       
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