# taz.de -- Podcast über Neonazis in Ostdeutschland: Was die neuen Neonazis bewegt
       
       > Die zweite Staffel von „Springerstiefel“ untersucht die rechtsextreme
       > Radikalisierung in ostdeutschen Szenen – ein gelungener Podcast.
       
 (IMG) Bild: Untersuchen die Ursachen rechtsextremer Gewalt: Don Pablo Mulemba (links) und Hendrik Bolz
       
       Daniela ist [1][Jugendarbeiterin in] Zittau und ihr Sohn wurde mit 15
       Jahren Nazi. Lange Zeit herrschte der mediale Tenor, dass rechtsextreme
       Ansichten vor allem bei alten Menschen verbreitet seien und mit ihnen
       aussterben würden.
       
       Doch heute machen vor allem junge Menschen [2][in Ostdeutschland], wie
       Danielas Sohn, mit rechtsextremen Weltbildern Schlagzeilen. Warum?
       
       Diese Frage untersuchen Hendrik Bolz und Don Pablo Mulemba in der zweiten
       Staffel ihres [3][Podcasts „Springerstiefel“]. Bereits in der ersten
       Staffel kehrten sie in ihre ostdeutsche Heimat zurück, um die Ursachen und
       Auswirkungen der rechtsextremen Gewaltausbrüche der 1990er-Jahre in
       Ostdeutschland zu verstehen.
       
       Sie führten Interviews, die die Unsicherheit der Nachwendezeit im Osten und
       die Anziehungskraft der [4][rechtsextremen Szene] für Jugendliche zeigten.
       Besonders Bolz’ Gespräch mit Christian, einem Ex-Neonazi, zeigt: Neonazis
       haben Ende der 90er vielleicht ihre Springerstiefel ausgezogen, aber ob sie
       ihre rechte Gesinnung abgelegt haben, bleibt fraglich.
       
       Daraus leiten die Hosts den Fokus der zweiten Staffel ab: Ist die heutige
       Radikalisierung ostdeutscher Jugendlicher das direkte Erbe einer
       unzureichenden Aufarbeitung der 1990er-Jahre?
       
       Mit dieser Fragestellung gelingt der zweiten Staffel etwas, was nur wenige
       Fortsetzungen von sich behaupten können: Das Podcast-Konzept wird nicht in
       die Länge gezogen, sondern gewinnt an analytischer Tiefe. Statt die
       üblichen Verdächtigen wie Tiktok und Co für die Radikalisierung heutiger
       Jugendlicher verantwortlich zu machen, ziehen Bolz und Mulemba Verbindungen
       zu einer Zeit, in der es noch keine sozialen Medien gab.
       
       Hendrik Bolz betrachtet mit einer gewissen Empathie die Täterseite. Er
       interviewt Daniela, die erst viel zu spät bemerkte, dass ihr Sohn fest in
       der rechtsextremen Szene in Zittau verankert ist. Die Mutter ist sich
       sicher: Die soziale Isolation der Pandemie hat ihren Sohn in die Arme der
       Rechtsextremen getrieben. Während Sportvereine geschlossen blieben,
       öffneten rechtsextreme Jugendclubs weiterhin ihre Türen und fingen die
       Jugendlichen samt ihrer Sorgen und Ängste auf.
       
       ## Welche Akteure aus der Zeit sind heute noch aktiv?
       
       Interessant ist, dass diese rechtsextremen Clubs, die Danielas Sohn heute
       anziehen, sich bereits in den 90ern formierten – und das mithilfe der
       sogenannten „akzeptierenden Jugendarbeit“. Sie wollte Jugendliche von der
       Straße holen, schuf jedoch auch neue rechtsextreme Infrastrukturen, wie den
       Treffpunkt des Nationalen Jugendblocks in Zittau.
       
       Bolz kritisiert: Es fehlte damals an Gegenrede, roten Linien und
       Konsequenzen. Nun sieht er Muster, die sich wiederholen: Rechte Netzwerke
       beleben sich neu und ziehen Jugendliche an, die sich in Zeiten von
       Pandemie, Inflation und Kriegen überfordert fühlen. Jugendliche finden
       durch Gewalttaten Anerkennung und erfahren keine harten Konsequenzen von
       Polizei und Behörden.
       
       Dank Social Media war es für rechtsextreme Gruppen noch nie so einfach,
       rechte Verschwörungserzählungen in die Kinderzimmer zu bringen. Das
       menschenfeindliche Gedankengut, das dort verbreitet wird, war nie weg.
       
       Mulembas Gespräche mit Mai, die als Tochter eines vietnamesischen
       Gastarbeiters im Cottbuser Plattenbau aufwuchs, und mit Achmet, der aus
       Tunesien für das Studium nach Chemnitz gezogen ist, zeigen, dass Rassismus
       auch in den Nuller- und 2010er-Jahren zum Alltag gehörte. Nur scheint das
       die Mehrheit immer wieder zu vergessen.
       
       Die Analyse der historischen Kontinuität ist die große Stärke der zweiten
       Staffel. Leider werden die Verbindungslinien zu den 90ern oft nur
       angerissen.
       
       Welche Akteure aus der Zeit sind heute noch aktiv? Welche Ansätze der
       Jugendarbeit und der polizeilichen Kontrolle gibt es heute und woran
       mangelt es genau? Stattdessen breitet der Podcast die bewegenden
       Geschichten von Daniela, Mai und Achmet lange aus. Das macht Spaß
       anzuhören. Doch die Frage ist: Wie zielführend ist das?
       
       Wie Mulemba richtig im Podcast bemerkt: Gewaltgeschichten wie die von Mai
       und Achmet hat er schon oft gehört, doch es ändert sich oft nichts. Statt
       als Gesellschaft immer wieder aufs Neue schockiert auf emotionale Berichte
       von rechtsextremer Gewalt zu reagieren, sollten wir anfangen, Lösungen zu
       diskutieren.
       
       20 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Hollandt
       
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