# taz.de -- Letzte Generation in Österreich: Ihre letzte Rebellion
       
       > Die österreichische Aktivistin Martha Krumpeck sitzt für ihre
       > Straßenblockaden derzeit in Haft. Warum sie die Letzte Generation nicht
       > mehr überzeugt.
       
 (IMG) Bild: Auszeit im Gefängnis. Martha Krumpeck ist eine der bekanntesten Klima-Aktivist:innen in Österreich
       
       Anm. d. Red.: Am Tag der Veröffentlichung dieses Textes, dem 6. August
       2024, gab die Letzte Generation Österreich bekannt ihre Proteste zu
       beenden. Man sehe [1][[Link auf
       https://x.com/letztegenAT/status/1820703866813292587]]„keine Perspektive
       für Erfolg“ für die Bewegung.
       
       Wien taz | Zwanzig Minuten hat Martha Krumpeck an diesem sonnigen
       Montagmorgen Ende Juli, bevor sie für sechs Wochen in eine Zelle muss.
       Während sie gestikulierend den Gehsteig langläuft, klebt ihr zerzaustes
       braunes Haar feucht am Hinterkopf. Es ist schwer, keine Notiz von ihr zu
       nehmen. Nicht nur, weil sie die meisten überragt oder in ihrer Art zu
       sprechen einer Offizierin ähnelt, sondern weil sie viel zu sagen hat.
       
       Jedes Mal, wenn sie eine Pointe oder einen Punkt macht in ihrer Rede,
       grinst sie verschmitzt. Die 32-Jährige ist eine der bekanntesten
       [2][Klimaaktivist:innen Österreichs]. 2022 trat sie 44 Tage in den
       Hungerstreik, danach gründete sie die [3][Letzte Generation] mit und klebte
       sich mehr als fünfzigmal auf die Straße. Immer mit der Gefahr im
       Hinterkopf: die Klimakrise. Ende November trat sie überraschend aus der
       Letzten Generation Österreich aus, ebenso wie die zwei anderen
       Mitbegründer:innen.
       
       In Deutschland zog sich etwa zur gleichen Zeit die bekannte
       Klimaaktivistin [4][Lea Bonasera] aus der Bewegung zurück. Um Krumpeck
       ist es still geworden. Wieso hat sie ihrer Bewegung den Rücken gekehrt?
       Wenn nicht einmal mehr sie, die dem Aktivismus ihr Leben gewidmet hat,
       glaubt, dass er noch Erfolg haben wird – wer soll es sonst?
       
       Für Krumpeck, bekommt man sofort den Eindruck, geht es um alles oder
       nichts. An diesem Morgen geht es um alles, was sie auf dem kurzen Weg
       unterbringen kann, darunter Thomas Piketty, Penicillin, China, Gerhard
       Schröder und Krätze. Im Sprechen hat sie Erfahrung. Als
       [5][österreichisches Carla Hinrichs-Dependant] tourte sie durch die
       heimischen Talkformate, verzweifelte öffentlich über den Stillstand in der
       Klimapolitik, mutmaßte, die FPÖ würde Putin für Öl wohl „die Stiefel
       lecken“.
       
       ## Bekannte Aktivistin aus Österreich
       
       Für das Boulevardblatt Heute war sie eine „Königsbiene“, für den Standard
       eine „Galionsfigur“. Auch die Gefängnisaufenthalte gehören zu ihrem Leben
       als Aktivistin dazu. Wie blickt sie auf die nächsten sechs Wochen? Sie
       zeigt sich frei von Sorgen. „Endlich ausschlafen“, will sie. „In meinem
       Zimmer kann ich mich frei bewegen, ich habe meine Bücher.“
       
       Nach zehn Minuten Gehweg in der knallenden Hitze endet die Reise. Krumpeck
       zieht rasch den roten Koffer durch den Eingang des Polizeianhaltezentrums.
       Es befindet sich in der Nähe des ersten Wiener Gemeindebezirks, man könnte
       es für ein Wohnhaus halten, wären da nicht die schnörkeligen Gitter vor den
       Erdgeschossfenstern. Erst im Februar [6][verstießen Beamt*innen vor Ort]
       laut eines aktuellen Urteils des Verwaltungsgerichts Ende Juli gegen
       Haftstandards. 22 Klimaaktivist:innen saßen zwei Stunden lang in
       einer Zelle für sechs.
       
       Während Krumpeck ihre erste Woche in Haft verbringt, schließen sich wieder
       vermehrt junge Aktivist:innen für Proteste zusammen. Fünfzig Mitglieder
       demonstrieren am Wiener Flughafen, ein paar kleben sich am Terminal fest.
       Auch in fünf anderen Ländern, darunter [7][Deutschland, besetzen sie
       Rollfelder]. Während die Medien darüber berichten, erteilt Krumpeck dem
       Ganzen eine Absage: „Wir haben verloren“, sagt sie über die Bewegung.
       
       Es ist Dienstag, eine Woche nach Haftantritt. Krumpeck sitzt inmitten einer
       Szenerie, wie man sie aus Filmen kennt: weißgelbe Leuchtdioden, ein
       gefliester Besucherraum und eine Reihe leerer Stühle, die durch Trennwände
       voneinander abgeschirmt sind. In den Augen Krumpecks, die einen Bachelor in
       Molekularbiologie hat, ist fast alles berechenbar, sogar der Verlauf einer
       Bewegung.
       
       ## Kaum Hoffnung für Klimabewegung
       
       Die Letzte Generation ist für sie eine Sinuskurve. Der Peak sei schon
       passiert. Mit fünfzig Teilnehmer:innen bei manchen Straßenblockaden sei
       er an einzelnen Tagen zwar hoch gewesen, aber hätte nie lange genug
       angehalten, um genügend Druck auf die Regierung aufzubauen. Folgt man
       dieser Logik, geht es jetzt bergab.
       
       Für sinnvoll hält sie nur noch lokale Proteste. „Das, was erreichbar ist,
       nämlich Aufmerksamkeit, ist erreicht“, sagt sie. Ähnliches ließe sich über
       Fridays for Future behaupten: Ein Bruchteil der Masse von früher läuft mit,
       Geta Thunberg ist keine Heldin mehr und Österreichs bekannteste
       Fridays-for-Future-Aktivistin, Lena Schilling, ist Kandidatin bei den
       Grünen. Ein Rekordjahr verzeichnete 2023 einzig der globale Co2-Ausstoß.
       Ist die Klimabewegung gescheitert?
       
       Protestforscherin Antje Daniel winkt ab. „Selbst wenn eine Bewegung ihre
       Ziele nicht hundertprozentig durchsetzen kann, ist sie nicht
       unerfolgreich“, sagt sie. Daniel leitet das Institut für internationale
       Entwicklung der Universität Wien. Einer ihrer Schwerpunkte ist „Utopie,
       Imagination und Zukunft“, seit 2019 forscht sie zum „Fridays for
       Future“-Aktivismus.
       
       Die Bewegung habe die Klimakrise in die alltägliche Berichterstattung
       gebracht, die Letzte Generation habe erneut deren Dringlichkeit
       klargemacht. Weniger Politiker:innen leugnen den Klimawandel. Nun
       setzten sie laut Daniel eher auf die Taktik der „Klimaverschleppung“, sie
       schöben Maßnahmen auf die lange Bank.
       
       ## Strategiewechsel für das Klima
       
       Aus der großen Klimabewegung seien indessen viele Splittergruppen geworden.
       „Diese Diversifizierung der Gruppierungen, aber auch die Suche nach neuen
       Strategien wird, glaube ich, anhalten“, sagt Daniel. Auch bei der Letzten
       Generation wird weniger blockiert und mehr ausprobiert. Statt zu kleben,
       skateten österreichische Aktivist:innen im Mai auf der Autobahn, im
       April unterbrachen sie ein Konzert des Schlagersängers Andreas Gabalier.
       
       „Dieses Ausprobieren ist genauso wichtig wie die Massenmobilisierungen der
       Fridays for Future.“ Politische Veränderungen ließen sich nicht kausal
       herleiten. Das richtige Mittel, den einen Aktivismus, der die große
       Veränderung anstößt – den gibt es gar nicht.
       
       Wieso hat sie ausgerechnet jetzt damit aufgehört? „Die Welle, die 2019
       gestartet ist, war die letzte Chance, die Klimakatastrophe abzuwenden“,
       sagt sie und schaut ernst. Dafür ins Gefängnis zu gehen, scheint sie nicht
       zu stören. Zumindest dann, wenn das Gefängnis einem Zweck dient. Krumpeck
       ist nämlich nicht im Gefängnis, weil sie die in Summe fünfstelligen
       Geldstrafen nicht zahlen kann. Mithilfe von Mathematik hätte sie viel Geld
       mit Sportwetten gemacht, erzählt sie.
       
       Als Aktivistin wolle sie den Staat aber lieber Geld kosten, als ihm welches
       zu zahlen, mit dem Wettgewinn unterstützte sie Freund:innen. Als ich frage,
       was schiefgelaufen ist, wieso ihr Plan zur Rettung des Klimas nicht
       aufgegangen ist, wandert Krumpecks Blick nach unten. Es ist der erste
       Moment, in dem sie ratlos wirkt. Dann sagt sie: „Es war von Anfang an eine
       fast unmögliche Aufgabe.“
       
       ## Keine Blockade, kein Einfluss
       
       Hätten sie früher die Beschlüsse des österreichischen Klimarats ins Zentrum
       ihrer Forderungen stellen müssen? Mehr Leute für Vorträge mobilisieren
       sollen? Am Prinzip des Protests und an den Hierarchien in der Bewegung, in
       der nur das Kernteam die Entscheidungen trifft, hält sie trotz der Zweifel
       fest. Aktivist:innen bilden Arbeitsgruppen, jeder leistet seinen
       „individuellen Beitrag“, wie auf der Website steht.
       
       Die effiziente Rebellion, getragen vom Imperativ der Dringlichkeit. „Eine
       Bewegung zivilen Widerstands muss von den Entschlossensten geleitet
       werden“, sagt Krumpeck. Ironischerweise wurde ihr das zum Verhängnis. Denn
       als sie mit den Blockaden aufhören wollte, hatte sie in der Bewegung nichts
       mehr zu sagen. Und jetzt? Die 34-Jährige muss alle sechs Monate für sechs
       Wochen in Haft. Für Verwaltungsstrafen kann man maximal 42 Tage ins
       Gefängnis kommen. Die rund 300 Tage, die Krumpeck an Geldstrafen abzusitzen
       hat, werden sich daher über insgesamt dreieinhalb Jahre ziehen. Da weitere
       Gerichtsverfahren laufen, werden es noch mehr.
       
       Krumpeck bleibt weiterhin optimistisch. Es brauche jetzt
       Demokratiebewegungen, die vom Frust auf Korruption getragen seien, sagt
       sie. Für vielversprechend halte sie die Bierpartei. Wie die Letzte
       Generation fordert sie einen Gesellschaftsrat, in den Menschen
       repräsentativ aus der Gesamtgesellschaft gelost werden sollen, um mit
       Expert:innen politische Maßnahmen zu erarbeiten. Nur zelebriert sie
       namentlich den Rausch statt der Apokalypse und Lässigkeit statt Pathos.
       
       Ob sie Erfolg haben, werden die Nationalratswahlen im Herbst zeigen, bei
       der die Bierpartei erstmals bundesweit antritt. 2019 erhielt die Partei in
       Wien lediglich 0,6 Prozent der Stimmen. Krumpeck, bald eine Politikerin?
       Darauf will sie sich nicht festlegen. Und was ist mit dem Kollaps, von dem
       sie überzeugt ist? Sie antwortet prompt. Die Botschaft dringt zwischen den
       Zeilen durch: Selbst wenn die Welt im Chaos versinkt, brauche es einen
       Plan.
       
       6 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://x.com/letztegenAT/status/1820703866813292587
 (DIR) [2] /!5905332/
 (DIR) [3] /Neue-Generation/!t5833405
 (DIR) [4] /Lea-Bonasera-von-der-Letzten-Generation/!vn5980647/
 (DIR) [5] /Prozess-gegen-Klimaaktivistin-Carla-Hinrichs/!5916813
 (DIR) [6] https://www.vienna.at/anhaltung-von-22-klimaaktivisten-in-wiener-zelle-war-nicht-rechtens/8870878
 (DIR) [7] /Klimaaktivisten-blockieren-Flughafen/!6027436
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lara Ritter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimaproteste
 (DIR) Neue Generation
 (DIR) Österreich
 (DIR) Sitzblockade
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Österreich
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Neue Generation
 (DIR) Ziviler Ungehorsam
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Wiener linke Zeitschrift „Malmoe“: Klug und keck
       
       Vor 25 Jahren wurde „Malmoe“ als Antwort auf die erste schwarz-blaue
       Regierung in Österreich gegründet. Nun wurde die Zeitschrift eingestellt.
       Schade!
       
 (DIR) Soziologe über die Letzte Generation: „Neue konfrontative Aktionen“
       
       Die Letzte Generation klebt wieder. Wie die Aktivist*innen um
       Aufmerksamkeit für die Klimakrise kämpfen müssen, erklärt Soziologe Vincent
       August.
       
 (DIR) Klimaaktivisten blockieren Flughafen: Frachtverkehr gestört
       
       Am größten Flughafen in Sachsen stören Aktivisten den Flugverkehr. Sie
       zielen auf den Frachtverkehr an einem der wichtigsten europäischen
       Drehkreuze.
       
 (DIR) Letzte Generation auf dem Rollfeld: Weiterhin ungehorsam
       
       Die Letzte Generation blockiert mal wieder – diesmal Flughäfen. Die
       Aktivistinnen und Aktivisten müssen mit harten Strafen rechnen.
       
 (DIR) Lagebericht Letzte Generation: Kritische Phase
       
       Die Letzte Generation blockiert keine Straßen mehr, den Einzug ins
       EU-Parlament hat sie verpasst. Wie steht es um die Organisation?