# taz.de -- Getötete ukrainische Sportler:innen: Sie fehlen
       
       > Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind 462 ukrainische
       > Sportler:innen und Trainer:innen getötet worden. Einige wären in
       > Paris dabeigewesen.
       
 (IMG) Bild: Demonstrierende ehren die Hunderten von ukrainischen Sportlern, die seit dem Beginn des Krieges getötet worden sind
       
       Das ukrainische Sportkomitee hat [1][die Website „Engel des Sports“]
       eingerichtet, auf der regelmäßig die Geschichten ukrainischer
       Sportler:innen veröffentlicht werden, die im russisch-ukrainischen Krieg
       ums Leben gekommen sind. Bisher sind es 462 ukrainische Sportler:innen
       und Trainer:innen. Darüber hinaus wurden nach Angaben des ukrainischen
       Ministeriums für Jugend und Sport mehr als 500 Sporteinrichtungen im Land
       zerstört. Mehr als 3.000 ukrainische Sportler:innen kämpfen derzeit als
       Teil der ukrainischen Verteidigungskräfte für ihr Land.
       
       ## Oleksander Pjeljeschenko, 30
       
       Auf den rechten Bizeps hatte sich der ukrainische Gewichtheber Oleksandr
       Pjeljeschenko die olympischen Ringe und die Zahl 2016 tätowieren lassen –
       die Erinnerung an einen seiner größten Erfolge und gleichzeitig seine
       größte Niederlage, wie er selbst sagte. Bei den Olympischen Spielen 2016 in
       Rio de Janeiro belegte der Sportler den vierten Platz – er stemmte fünf
       Kilo weniger als der Bronzemedaillengewinner. Pjeljeschenko reagierte
       unerschütterlich: „Ich werde weitermachen.“ Doch er konnte seine Pläne
       nicht verwirklichen. Der Krieg brach in sein sportliches Leben ein, wie
       auch in das [2][anderer Ukrainer:innen].
       
       Pjeljeschenko wurde 1994 im Gebiet Luhansk geboren. Als er 20 Jahre alt
       war, fiel Russland zum ersten Mal in die Ukraine ein und versuchte, seine
       Heimat zu besetzen. Zu dieser Zeit war er bereits sportlich aktiv und
       entschied sich für das Gewichtheben. Der Cheftrainer der ukrainischen
       Herren-Nationalmannschaft, Mykhaylo Matsyokha, holte Oleksandr zum
       Trainieren in die westukrainischen Region Chmelnyzkyj.
       
       Von 2015 bis 2017 nahm der Athlet aktiv an internationalen Wettkämpfen teil
       und erhielt die Auszeichnung „Ehrenmeister des Sports“ in der Ukraine. Er
       nahm an der Weltmeisterschaft im Gewichtheben teil, wo er den vierten Platz
       belegte, wurde zweimal Europameister in der Gewichtsklasse bis 85 Kilogramm
       und nahm schließlich an den Olympischen Spielen in Rio teil.
       
       Aufgrund eines positiven Dopingtests wurde er 2018 für acht Jahre von
       Wettkämpfen ausgeschlossen. Den Sport gab er deshalb nicht auf. Er wurde
       Trainer. Einer seiner Schüler wurde 2021 Juniorenweltmeister im Modernen
       Fünfkampf.
       
       Gleich nach Beginn der [3][russischen Invasion] bestieg Pjeljeschenko im
       März 2022 den höchsten Berg der Ukraine, den 2.061 Meter hohen Howerla,
       und stemmte dort eine 110 Kilogramm schwere Hantel. Damit wollte er nicht
       nur einen ukrainischen Rekord aufstellen, sondern auch den Geist der
       Ukrainer:innen wecken: „Wenn wir den Krieg gegen die Besatzer gewinnen,
       werden wir sicher noch viele weitere Rekorde für unser Land aufstellen.“
       
       Nur wenige Monate später schloss er sich [4][den ukrainischen Streitkräften
       an]. „Ich habe mir diesen Beruf nicht ausgesucht, aber unsere Ukraine
       braucht Hilfe, die Hilfe von uns allen. Wir sind ein starkes Land, und wir
       werden noch stärker werden“, schrieb Pjeljeschenko über seine Entscheidung,
       der Armee beizutreten. Wenige Monate nach der Mobilisierung hatte der
       Sportler 13 Kilo abgenommen und schrieb darüber: „Ich hätte nicht gedacht,
       dass sich alles so verändern würde. Für ein freies Land muss man bis zum
       Ende kämpfen. Nach dem Sieg werde ich wieder trainieren und in Form
       kommen.“
       
       Der Gewichtheber träumte davon, in den Profisport zurückzukehren. Doch
       zunächst wollte er die blau-gelbe Fahne bei der Parade zum Sieg der Ukraine
       im Krieg hissen. Am 5. Mai 2024 endete das Leben des 30-jährigen
       ukrainischen Sportlers – er starb an der Front während eines
       Kampfeinsatzes. 
       
       ## Andrij Kutsenko, 34
       
       Der ukrainische Radsportler Andrij Kutsenko wurde in der Kleinstadt
       Schowkwa in der Region Lwiw geboren. Während seiner Schulzeit begann er
       sich für den Radsport zu interessieren, dem er schließlich den größten Teil
       seines Lebens widmete. Der Sport wurde für ihn mehr als nur ein Hobby. Die
       zunehmenden Erfolge brachten Kutsenko dazu, sich für eine Sportkarriere zu
       entscheiden. Im Jahr 2006 wurde er zum ersten Mal für das ukrainische
       Nationalteam nominiert. Im darauffolgenden Jahr trat er in die
       Sportfakultät der Staatlichen Iwan-Boberskij-Universität für Körperkultur
       in Lwiw ein, wo er fünf Jahre lang studierte. Nach seinem Abschluss war er
       vertraglich an der Sommersportschule und am Sportstützpunkt des
       ukrainischen Verteidigungsministeriums angestellt.
       
       Zehn Jahre lang, bis 2016, vertrat Andrij Kutsenko die Ukraine als Mitglied
       der Nationalmannschaft bei verschiedenen internationalen Turnieren, bei
       denen er Preise und Medaillen gewann. Er wurde mehrmals ukrainischer
       Meister und nahm an Europa- und Weltmeisterschaften teil. Er erhielt den
       Titel „Sportmeister der Internationalen Klasse“ der Ukraine.
       
       Ein Freund von Andrij Kutsenko, der Direktor des Lwiwer Radsportverbandes,
       Roman Seliwestrow, erinnert sich, wie sie in ihrer Jugend oft zusammen in
       Sportcamps auf der Krim waren, an Wettkämpfen auf der Lwiwer Radrennbahn
       oder an Straßenrennen in Polen teilnahmen: „Andrij hat immer Ratschläge
       gegeben, was und wie man es besser machen könnte, denn er hatte viel
       Erfahrung im Radsport. Er hat sich nie geweigert zu helfen“, erklärte
       Seliwestrow auf Facebook.
       
       Als Russland in die Ukraine einmarschierte, lebte der Radsportler Kutsenko
       mit seiner Familie bereits mehrere Jahre in Italien. Nachdem er von der
       russischen Offensive erfuhr, kehrte er in die Ukraine zurück und meldete
       sich [5][freiwillig bei den ukrainischen Streitkräften]. Während dieser
       Zeit nahm er aktiv an Kämpfen an verschiedenen Frontabschnitten teil. Nach
       zweijährigem Einsatz zur Verteidigung des Landes wurde er Anfang Juli 2024
       als Mitglied der 47. separaten mechanisierten Brigade „Magura“ im Kampf
       getötet.
       
       Seliwestrow hat eine Petition initiiert, um Andrij Kutsenko posthum den
       Titel eines Helden der Ukraine zu verleihen, und sammelt nun Unterschriften
       für die Petition, die dem Präsidenten der Ukraine zur Prüfung vorgelegt
       werden soll. „Ich bin sicher, dass Andrij diesen Titel verdient hat“, sagt
       Seliwestrow.
       
       ## Alina Perehudowa, 14
       
       Trotz ihres jungen Alters konnte Alina Perehudowa bereits beachtliche
       Erfolge im ukrainischen Sport erzielen, und ihr wurde eine große Zukunft im
       Gewichtheben vorausgesagt.
       
       Die ukrainische Sportlerin ist in Mariupol in der Region Donezk geboren und
       aufgewachsen. Sie war Schülerin der regionalen Spezialsportschule für
       Kinder und Jugendliche der Olympischen Reserve im Gewichtheben und
       Schülerin der Serhij-Bubka-Spezialsportschule in der Region Donezk, die
       sich in der Stadt Bachmut befand.
       
       Im Jahr 2021 gewann Perehudowa die ukrainische Meisterschaft im
       Gewichtheben bei den Athletinnen unter 17 Jahren in der Gewichtsklasse bis
       40 Kilogramm. Die junge Sportlerin war eine Kandidatin für die
       Nationalmannschaft der Ukraine. Das Mädchen erfüllte die Norm für den Titel
       der „Meisterin des Sports“ im Alter von 13 Jahren, aber nach ukrainischem
       Recht konnte sie diesen Titel offiziell erst im Alter von 14 Jahren
       erlangen. Perehudowas nächstes Ziel war die Teilnahme an der
       Europameisterschaft 2023, auf die sie sich vorbereitete und bei der sie
       ihren ersten internationalen Sieg erringen wollte.
       
       Am Tag der russischen Invasion war sie in der Schule in Bachmut und sollte
       am 25. Februar 2022 auf dem Weg ins Trainingscamp sein. Die Lehrer der
       Schule schickten die Schüler nach Hause zu ihren Eltern. Trainer Ihor
       Obuchow erzählte ukrainischen Medien, er habe Alina an diesem Tag am
       Busbahnhof getroffen. Sie war verwirrt und konnte sich nicht entscheiden,
       wohin sie gehen sollte – nach Mariupol oder nach Kyjiw. Ihre Mutter, ihr
       Bruder und ihre Großmutter [6][lebten in Mariupol], ihre andere Großmutter
       in Kyjiw. Schließlich entschied sie sich für Mariupol, das bereits
       [7][regelmäßig bombardiert] wurde.
       
       Zwei Monate später wurde das Leben einer hoffnungsvollen 14-jährigen
       ukrainischen Gewichtheberin beendet. Sie und ihre Mutter verließen das
       Haus, als sich die Explosion ereignete. Beide wurden von Granatsplittern
       getroffen und waren sofort tot. Perehudowas Bruder lief zu ihnen auf die
       Straße und wurde von der Kugel eines Scharfschützen getötet. Das Schicksal
       der Großmutter ist unbekannt.
       
       „Alina Perehudowa strebte nach Siegen auf höchstem Niveau. Aber dann kam
       Russland und hat sie von dieser Zukunft '[8][befreit]’ “, kommentierte der
       Stadtrat von Mariupol den Tod der ukrainischen Sportlerin.
       
       ## Anastasia Ihnatenko, 27
       
       Die ukrainische Sportlerin Anastasia Ihnatenko widmete 23 Jahre ihres
       Lebens dem Trampolinturnen. Sie gewann zunächst Medaillen bei regionalen
       Wettbewerben, später erhielt sie in der Ukraine die Auszeichnung „Meisterin
       des Sports“.
       
       Anastasia Ihnatenko wurde in der Kleinstadt Tokmak in der südukrainischen
       Region Saporischschja geboren, die [9][heute unter russischer Besatzung]
       steht. Im Alter von vier Jahren begann Ihnatenko mit dem Turnen. Anfangs
       nahm sie ein paar Mal in der Woche Unterricht, später trainierte sie
       täglich mehrere Stunden. Als sie die Schule verließ, wusste sie bereits,
       dass sie Profisportlerin werden wollte.
       
       „Ohne Sport konnte sie nicht leben, also [10][zog sie in die Stadt Dnipro]
       und schrieb sich am Sportinstitut von Dnipro ein, um sich auf das
       Trampolinturnen zu spezialisieren“, erinnert sich Ihnatenkos Vater Oleksij.
       Neben ihrem Studium nahm sie an verschiedenen Wettbewerben auf regionaler
       und nationaler Ebene teil und gewann.
       
       Ihnatenkos Lehrer und Trainer erinnern sich an sie als eine talentierte und
       vielversprechende Athletin, die die Sporthalle nicht verlassen wollte,
       bevor sie eine Bewegung erfolgreich gelernt hatte.
       
       Später wurde Ihnatenko selbst Trainerin und trainierte Kinder im Alter von
       4 bis 15 Jahren. Unter ihren Schüler:innen waren mehrere
       Meister:innen und Preisträger:innen regionaler Wettbewerbe im
       akrobatischen Bahnspringen und Finalist:innen gesamtukrainischer
       Wettbewerbe. Ihnatenko war außerdem Kampfrichterin bei nationalen
       Wettkämpfen.
       
       Als die russische Invasion in der Ukraine begann, floh Ihnatenko im März
       2022 mit ihrem kleinen Sohn nach Polen, kehrte aber einige Monate später in
       die Ukraine zurück.
       
       Im Januar 2023 wurde das Leben der ukrainischen Sportlerin auf tragische
       Weise beendet, als eine russische Kh-22-Rakete in ein neunstöckiges
       [11][Wohnhaus im Zentrum von Dnipro] einschlug. Eine Woche zuvor hatten
       Ihnatenko, ihr Mann Dmytro und ihr anderthalbjähriger Sohn Makar eine
       Wohnung im 7. Stock dieses Hauses gemietet.
       
       Bei dem Angriff wurden 46 Menschen getötet, darunter 6 Kinder, 11 weitere
       werden vermisst. Anastasia Ignatenkos Vater hatte Mühe, die sterblichen
       Überreste seiner Tochter und seines Schwiegersohns zu identifizieren, und
       von seinem Enkel blieb nichts übrig, sodass er immer noch als vermisst
       gilt.
       
       „Acht Jahre lang war Anastasia ein Teil unseres Klubs, eine aufmerksame
       Trainerin, Pädagogin und Richterin der nationalen Kategorie. Sie wurde
       nicht nur in Dnipro, sondern in der ganzen Ukraine respektiert und
       geliebt“, erinnert sich Dmytro Hak, Leiter des Klubs von Ihnatenko, in den
       sozialen Medien an seine Kollegin.
       
       Er betont, dass sie über ein großes Potenzial verfügte, da sie nie bei dem
       stehen geblieben sei, was sie erreicht habe, sondern immer danach gestrebt
       habe, sich weiterzuentwickeln.
       
       ## Wolodymyr Androschtschuk, 22
       
       Der ukrainische Leichtathlet Wolodymyr Androschtschuk träumte davon, die
       Ukraine bei den Olympischen Spielen 2024 in Frankreich zu vertreten. In der
       Sportwelt wurde er als die Hoffnung der ukrainischen Leichtathletik
       bezeichnet.
       
       Androschtschuk wurde in einem kleinen Dorf in der westukrainischen Region
       Chmelnyzkyj geboren, wo er auch zur Schule ging.
       
       Schon als Kind begeisterte er sich für den Sport und feierte Erfolge. Er
       beschloss, seine Zukunft dem Sport zu widmen. Als Androschtschuk die
       Mittelschule abschloss, zog seine Familie in die Region Kyjiw. Dort, in der
       Stadt Browary, besuchte er eine Sporthochschule und begann nach seinem
       Abschluss ein Studium an der Nationalen Landwirtschaftlichen Universität in
       Lwiw. Während des Studiums betrieb er weiterhin Sport. Die Universität
       erkannte sein sportliches Talent, und er erhielt eine Urkunde als „Bester
       Studentensportler“.
       
       Bei der U18-Leichtathletik-Europameisterschaft 2018 war Wolodymyr
       Androschtschuk für die ukrainische Nationalmannschaft am Start. Damals
       konnte er jedoch keine Medaille gewinnen. Im darauffolgenden Jahr gewann er
       den Zehnkampf bei den ukrainischen U20-Meisterschaften. Darüber hinaus
       vertrat er die Ukraine mehrfach bei verschiedenen internationalen
       Wettkämpfen und gewann Medaillen bei den Ukrainischen
       Leichtathletikmeisterschaften. Im Jahr 2020 vertrat er die Ukraine bei den
       U20-Europameisterschaften im Modernen Fünfkampf und belegte den sechsten
       Platz.
       
       Der junge Sportler träumte davon, die Ukraine in Paris 2024 zu vertreten
       und bereitete sich darauf vor. Doch als die russische Invasion begann,
       beendete er seine Sportkarriere und [12][meldete sich freiwillig zur
       Armee]. Er unterzeichnete einen Vertrag mit den ukrainischen Streitkräften
       und trat in die 95. Luftlandebrigade ein.
       
       Im Januar 2023 wurde Androschtschuk bei einem Angriff auf [13][Stellungen
       der russischen Armee in der Region Donezk] getötet. Der 22-Jährige erlitt
       eine tödliche Granatsplitterwunde am Kopf.
       
       „Er war immer mutig und tapfer, saß nie still. Er hatte einen starken
       Charakter und hatte es immer eilig, irgendwo hinzukommen, eilig, zu leben …
       Er wollte in die Sturmbrigade, um vorne zu sein. Und dort ist er auch
       angekommen. Seine Lieblingsworte waren „Vorwärts, vorwärts!“, erinnert sich
       Ljudmila Androschtschuk auf Facebook an ihren jüngeren Bruder und fügt
       hinzu: „Warum hat man ihm so wenig Zeit gegeben? Er sollte noch leben und
       leben. So viele Pläne für die Zukunft, [14][die nie verwirklicht werden].“
       
       22 Jul 2024
       
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