# taz.de -- Lektor über Kleinverlage: „Die Unterstützung hat uns gerettet“
       
       > Der Hirnkost Verlag, bekannt für Bücher über Jugendkulturen, war beinahe
       > pleite. Lektor Klaus Farin über kleine Verlage und die Aufgaben der
       > Politik.
       
 (IMG) Bild: Verleger Klaus Farin
       
       taz: Herr Farin, Frau Staib, der Hirnkost Verlag ist bekannt als Plattform
       für verschiedene Jugend- und Subkulturen. Vor drei Wochen haben Sie aber
       überraschend bekannt gegeben, dass dem Verlag die Insolvenz droht. Wie ist
       es so plötzlich dazu gekommen? 
       
       Klaus Farin: Die alten Druckschulden von 2023 haben uns eingeholt. Die
       Kosten für den Druck sind durch Corona und den Krieg in der Ukraine so
       stark gestiegen, dass der Umsatz extrem abgenommen hat. Wir wollten die
       Schulden in Raten abbezahlen. Aber dann konnten wir eine Rate nicht
       aufbringen, und es kam sofort die Androhung einer Zwangsvollstreckung.
       
       Nach gut einer Woche haben Sie die Bekanntgabe der Insolvenz wieder
       zurückgezogen. Der Hirnkost Verlag kann bestehen bleiben. Warum jetzt doch? 
       
       Annette Staib: Nachdem wir unser Ende bekannt gegeben hatten, hat uns
       extrem viel Unterstützung erreicht. Über 31.000 Euro wurden gespendet. Und
       es sind sehr viele Buchbestellungen bei uns eingegangen. Das hat uns
       gerettet. Uns haben auch viele Leute geschrieben und ausgedrückt, wie
       wichtig ihnen der Verlag ist. Wir sind total überrascht von dieser Reaktion
       und sehr dankbar.
       
       Den Hirnkost Verlag gibt es seit 21 Jahren. Wie kam es zu seiner Gründung? 
       
       Klaus Farin: 1998 habe ich gemeinsam mit anderen das Archiv der
       Jugendkulturen gegründet. Wir haben schon damals Bücher veröffentlicht in
       einem Verlag, der dann irgendwann seine Produktion eingestellt hat. Wir
       haben versucht, einen neuen Verlag zu finden. Aber die Verlage waren alle
       nicht interessiert, ständig Literatur von Subkulturen zu veröffentlichen.
       So was wie Gruftis hat die zum Beispiel nicht interessiert.
       
       Außerdem haben wir das Grundprinzip, mit Angehörigen der Jugendkulturen
       zusammenzuarbeiten und sie zu Wort kommen zu lassen. Die großen Verlage
       wollten aber immer nur über die Jugend reden und nicht mit Jugendlichen. Da
       haben wir unseren eigenen Verlag gegründet.
       
       Herr Farin, auf ihrem T-Shirt steht „Old is not dead“. Wie ist das
       eigentlich, wenn man älter wird und sich mit Jugendkultur beschäftigt,
       verliert man nicht irgendwann den Draht zu aktuellen Jugendkulturen? 
       
       Klaus Farin: Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass es ein typisches
       Kennzeichen von Angehörigen von Jugendkulturen ist, dass sie alt sind. Die
       meisten Jugendkulturen sind in den 70er, 80er, frühen 90er Jahren
       entstanden. Es kommen natürlich immer neue, junge Leute dazu. Ein
       14-Jähriger zum Beispiel, der heute Punk wird, entdeckt in dem Moment Punk
       neu und kann das genauso ernsthaft leben wie die Punks in den Siebzigern.
       
       Aber es gehören eben immer auch alte Leute dazu, die schon lange in einer
       Szene sind und sich vom Normalbürger, vom Spießer abheben. Es gibt
       eigentlich kaum wirklich rein jugendliche Jugendkulturen. Deswegen arbeiten
       wir im Verlag auch mit Autor:innen, die kaum 20 sind, und mit anderen, die
       seit über 40 Jahren bestimmten Szenen angehören.
       
       Also würden Sie sagen, es gibt keine neue Jugendkultur, die in der heutigen
       Zeit entstanden ist? 
       
       Klaus Farin: Bücher haben ja immer etwas Tradierendes, und deswegen handeln
       viele unserer Bücher von der Geschichte verschiedener Subkulturen. Dafür
       interessieren sich übrigens sehr viele junge Leute. Aber neue
       Jugendkulturen gibt es meiner Meinung nach wenige. Seit den 90er Jahren
       gibt es eher das Cross-over-Prinzip. Also sozusagen traditionelle
       Jugendkulturen, die sich ursprünglich stark voneinander abgegrenzt haben,
       werden miteinander vermischt. Aber was richtig Neues, das gibt es höchstens
       im digitalen Kontext.
       
       Sie nennen sich einen „engagierten Verlag für engagierte Literatur“. Was
       bedeutet das? 
       
       Annette Staib: Wir suchen die Werke, die wir veröffentlichen, nicht danach
       aus, ob wir glauben, dass sie sich finanziell rentieren werden, sondern ob
       wir die Themen relevant finden. Was die Themen Jugend- und Subkultur
       angeht, da sind wir der einzige Verlag in Deutschland, der in dieser
       Bandbreite dazu veröffentlicht. Wir haben auch einen Fokus auf
       Science-Fiction. Außerdem veröffentlichen wir zu den Themen Flucht und
       Migration. Gerade das sind oft sehr wichtige Bücher, die sich aber
       kommerziell überhaupt nicht lohnen. Die würden ohne den Hirnkost Verlag nie
       das Licht der Welt erblicken.
       
       Klaus Farin: Wir beschäftigen uns auch mit rechten Jugendkulturen. Wir
       haben zum Beispiel ein Standardwerk zu Rechtsrock veröffentlicht. Auch da
       lassen wir die Leute selbst zu Wort kommen. Das wurde auch kritisiert. Aber
       meiner Meinung nach ist das für die das Peinlichste, was man denen antun
       kann, sie einfach selbst zu Wort kommen zu lassen. So verstehen die
       Leser:innen, wie die ticken. Solche engagierten Einzeltitel können wir
       verlegen, weil wir keine Gewinne machen müssen, wir müssen keine Aktionäre
       bedienen. Aber natürlich müssen wir trotzdem irgendwie das Geld
       erwirtschaften, das wir für neue Bücher brauchen und für Angestellte und
       die Miete. Und das wird immer schwerer.
       
       Der Hirnkost Verlag ist ja mit seinen finanziellen Schwierigkeiten kein
       Einzelfall. Der Buchhandel in Deutschland scheint zu straucheln. Immer mehr
       unabhängige Verlage gehen ein, und in den letzten drei Jahren haben
       [1][über 300 unabhängige Buchhandlungen in Deutschland geschlossen]. 
       
       Annette Staib: 300 Buchhandlungen von nur knapp 4.000 insgesamt in
       Deutschland! Das ist eine Katastrophe. Ich bin ursprünglich Buchhändlerin
       und habe lange in Buchhandlungen gearbeitet. Aber es ist so schwierig
       geworden. Das liegt nicht nur an Corona und dem Krieg in der Ukraine.
       
       Der Buchhandel in Deutschland befindet sich in der Misere. Jede
       Buchhandlung muss jetzt mit dem Internet konkurrieren. Die Kunden kommen
       und bestellen viele Bücher zur Ansicht. [2][Am Ende kaufen sie die Bücher
       dann bei Amazon], dabei kosten die ja überall das Gleiche. Die Buchhandlung
       muss die ganzen Bücher zurückschicken und bezahlt dafür.
       
       Klaus Farin: Und die kleinen Verlage trifft das auch. Denn wenn die
       Nachfrage hoch ist, werden höhere Auflagen gedruckt. Das kostet. Und dann
       werden die Bücher aber nach immer kürzerer Zeit wieder an die Verlage
       zurückgeschickt, wenn sie sich nicht sofort sehr gut verkaufen. Wir haben
       letztes Jahr zum Beispiel für über 30.000 Euro Bücher zurückbekommen, unter
       anderem weil viele Bestellungen storniert wurden. Die Bücher waren schon
       bezahlt, das heißt, wir mussten das Geld aufbringen und zurückgeben. Das
       Geld hatten wir aber nicht, das ist mehr als unser ganzer Jahresumsatz im
       Buchhandel in 2023.
       
       Die Bücher kosten im Internet und in der Buchhandlung gleich viel, weil es
       in Deutschland die Buchpreisbindung gibt. Es gibt immer wieder Diskussionen
       darüber, ob die Buchpreisbindung abgeschafft werden sollte. Ein Argument
       ist, dass Bücher für junge Leute zu teuer seien. Was denken Sie darüber? 
       
       Annette Staib: Ohne die Buchpreisbindung würde es in zehn Jahren keine
       einzige unabhängige Buchhandlung mehr geben! Vielleicht wären Bücher in
       einer kurzen Anfangsphase durch die Konkurrenz der Zwischenhändler
       günstiger. Aber nur die großen Buchhandlungsketten würden bestehen bleiben,
       denn die Nachfrage nach Büchern ist ja da, es wird viel gelesen. Günstiger
       wären die Bücher aber langfristig nicht, die Produktionskosten für den
       Druck bleiben gleich. Und wenn wenige große Buchhandlungsketten mit
       Monopolstellung übrig wären, warum sollten die ihre Produkte günstiger
       hergeben, als sie müssten?
       
       Klaus Farin: Genau, das ist Quatsch. Und die Vielfalt der Bücher wäre
       natürlich extrem eingeschränkt. Denn es würden auch sehr viele kleine
       Verlage eingehen, sollte der Buchhandel nur noch von wenigen großen
       Konzernen organisiert werden. Es gäbe eine Konzentration auf
       Bestsellertitel und Mainstreamthemen. Aber so etwas wie Lyrikbände und
       Kurzgeschichten würde niemand mehr herausgeben.
       
       Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, damit es mit dem Buchhandel in
       Deutschland wieder bergauf geht? 
       
       Annette Staib: Zum einen organisieren wir uns gerade. Klaus und ich sind
       dabei, die Interessengemeinschaft unabhängiger Berliner Verlage zu gründen.
       Ende letzter Woche war unser erstes Treffen. Wir wollen uns vernetzen und
       gemeinsam Forderungen stellen. Zum Beispiel an den Berliner Senat. Aber
       auch das Verhalten der Konsument:innen müsste sich ändern. Wenn sie
       eine unabhängige Buchhandlung um die Ecke wollen, müssen sie die
       unterstützen.
       
       Klaus Farin: Und die Literaturbranche müsste anderen Kulturbranchen
       gleichgestellt werden, was die Förderung angeht. Es gäbe auch sehr viele
       Theater nicht, wenn der Staat sie nicht subventionieren würde. Ohne
       strukturelle staatliche Förderung kann die Branche nicht mehr überleben.
       Ein mittelständischer Betrieb wie unserer kann zukünftig nicht mehr vom
       Markt leben. [3][Wenn die Politik nicht handelt, dann ist es mit der
       Vielfalt an Literatur bald vorbei.]
       
       10 Jul 2024
       
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