# taz.de -- „Tagesschau“ in leichter Sprache: Inklusion ist einfach
       
       > Die „Tagesschau“ gibt es jetzt auch in einfacher Sprache. Ein dringend
       > notwendiger Schritt. Das zeigen nicht zuletzt dumpfe Reaktionen im Netz.
       
 (IMG) Bild: Das Logo des neuen Newsangebots „Tagesschau – in einfacher Sprache“
       
       Einfache Sprache: Aus dem Finanzminister wird der ‚Minister für Geld‘.
       Momentan eher: ‚Minister für kein Geld‘ *Zwinker-Smiley*“, witzelt
       Christian Lindner am Donnerstag auf X. Wenn Lindner Minister für (kein)
       Geld ist, ist Pistorius dann Minister für Waffen und Wissing Minister für
       SUVs? Ist Stark-Watzinger bald [1][Ministerin ohne Amt]? Der Anlass für die
       Gedankenspiele: [2][Die „Tagesschau“ gibt es jetzt auch in einfacher
       Sprache,] fünfmal die Woche.
       
       Einfache Sprache ist genau das, was der Name verspricht: eine vereinfachte
       Version der Standardsprache, ohne Fachbegriffe und in kurzen Sätzen. Die
       Sendungen sind mit circa sieben Minuten Länge halb so lang wie die reguläre
       „Tagesschau“ und beinhalten nur vier bis sechs Meldungen. Es geht um den
       G7-Gipfel, Klimawandel, die Europameisterschaft und das Wetter.
       
       Das neue Format ist ein wichtiger Schritt in Richtung Inklusion, denn laut
       der [3][LEO-Studie] haben 17 Millionen Erwachsene in Deutschland
       Schwierigkeiten, komplexe Texte zu verstehen. [4][Gründe dafür gibt es
       viele:] Lernschwächen, [5][intellektuelle Beeinträchtigung,] geringe
       Deutschkenntnisse oder eingeschränkte kognitive Fähigkeiten, beispielsweise
       durch einen Schlaganfall.
       
       Zunächst wirken die kurzen Sätze ungewohnt, ich stolpere über
       Wiederholungen, die man sonst versucht zu vermeiden: „In Deutschland heißt
       das Militär Bundeswehr. Bei der Bundeswehr arbeiten Soldaten.“ O-Töne, vom
       Papst und von Fußballfans, werden neu vertont und übersetzt. Begriffe wie
       Asyl oder künstliche Intelligenz werden zusätzlich erklärt. Schnell wird
       klar: Die neue „Tagesschau“ ist für alle da. Denn jede:r hat manchmal
       Schwierigkeiten, sich durch den Nachrichtendschungel zu navigieren – ein
       leicht verständlicher Überblick kann helfen, nicht zu verzweifeln. Eine
       Win-win-Situation also.
       
       ## Häme und Verachtung
       
       Doch dann macht man wie so oft den Fehler und öffnet Twitter (Sorry, X).
       Der Hashtag #Tagesschau trendet, darunter sammeln sich zahlreiche Beiträge,
       die voller Häme und Verachtung sind gegenüber der „Tagesschau“ und dem
       Zielpublikum für das neue Format.
       
       „Das ehemalige Land der Dichter und Denker hat sich endgültig aufgegeben“,
       heißt es in einem Tweet mit 4.500 Likes. „In der Tagesschau gibt es immer
       Scheiß. Aber jetzt gerade kommt viel zu viel Scheiß“, in einem anderen.
       1.500 Likes. Besonders beliebt sind verschiedenste Variationen von: Die
       „Tagesschau“ gibt es jetzt auch für (hier bitte wahlweise Ampel-, Grünen-,
       oder AfD-Wähler einsetzen). Die Logik dahinter: Wer nicht intelligent genug
       für die normale „Tagesschau“ ist, hat es auch nicht verdient, informiert zu
       werden. Denn für die Verfasser:innen dieser Tweets sind
       Leseschwierigkeiten eine persönliche Verfehlung statt einer Folge von
       vielen komplexen Faktoren.
       
       Vom politischen und gesellschaftlichen Geschehen darf jedoch niemand
       ausgeschlossen werden. Wer den Anspruch einer repräsentativen Demokratie
       hat, muss sie für alle Bürger:innen zugänglich machen. Hinzu kommt, dass
       politische Entscheidungen vor allem für Menschen mit Behinderungen und
       Migrant:innen schwerwiegend sind. Wenn über ihre gesundheitliche
       Versorgung, ihr Bleiberecht oder ihre Teilhabemöglichkeiten entschieden
       wird, müssen sie sich darüber informieren können.
       
       Aber Moment mal, wäre es dann nicht besser, in Bildung zu investieren,
       damit die Leute sicherer im Lesen und Schreiben werden? Unbedingt! Und
       trotzdem müssen Nachrichten für alle zugänglich sein, einfache Sprache ist
       nur ein Baustein von vielen.
       
       Der Spott und der Hass dagegen zeigen, wie wenig unsere Gesellschaft für
       Inklusion sensibilisiert ist. Erst letztes Jahr bemängelten die Vereinten
       Nationen die Umsetzung der UN-[6][Behindertenkonvention] in Deutschland.
       Die Untätigkeit der Politik spiegelt sich im Unverständnis für die
       „Tagesschau“ in einfacher Sprache wider. Ein barrierefreier Zugang zu
       Nachrichten in den Öffentlich-Rechtlichen war daher überfällig. Wenn
       behinderte Menschen politisch nicht mitgedacht werden, dann werden sie auch
       nicht gesellschaftlich mitgedacht.
       
       Die „Tagesschau“ in einfacher Sprache sollte sich jede:r zumindest einmal
       angeschaut haben. Sich dem Unbekannten auszusetzen ist wichtig, die
       Bedürfnisse anderer anzuerkennen noch viel mehr.
       
       17 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Sorgen-um-Wissenschaftsfreiheit/!6016957
 (DIR) [2] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tagesschau_in_einfacher_sprache/video-1348552.html
 (DIR) [3] https://de.wikipedia.org/wiki/LEO-Studie:_Leben_mit_geringer_Literalit%C3%A4t
 (DIR) [4] /Welttag-der-Menschen-mit-Behinderung/!5641493
 (DIR) [5] /Jurist-ueber-Behinderung-und-Teilhabe/!5985915
 (DIR) [6] /Teilhabe-behinderter-Menschen/!5956876
       
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