# taz.de -- Slowakei nach dem Attentat: Schock und offene Fragen
       
       > Der Zustand von Premier Fico ist weiter ernst. Das Motiv des mutmaßlichen
       > Täters bleibt unklar. Viele fragen sich: Was tun gegen die Spaltung im
       > Land?
       
 (IMG) Bild: Kurz vor dem Attentat: Robert Fico begrüßt Menschen in Handlová
       
       Wien taz | Am Tag nach dem Attentat auf Ministerpräsident Robert Fico
       herrschen Unverständnis und Empörung in der Slowakei. Das politische Leben
       steht, eigentlich ist ja Europawahlkampf, völlig still. Eine geplante
       Parlamentssitzung wurde abgesagt, ebenso wie die von der Opposition
       organisierten Proteste gegen die Schließung des öffentlich-rechtlichen
       Rundfunks. Ob und wann Fico die Regierungsgeschäfte wieder übernehmen kann,
       ist noch völlig unklar. Einstweilen wird einer seiner Stellvertreter die
       Regierungsgeschäfte übernehmen, hieß es am Donnerstag.
       
       Robert Ficos Zustand ist ernst, aber stabil, hieß es am
       Donnerstagnachmittag. Der slowakische Premier war am Mittwochnachmittag im
       zentralslowakischen Handlová angeschossen worden. Er hatte sich für eine
       reguläre Kabinettssitzung in der Kleinstadt, rund 180 Kilometer östlich von
       Bratislava, aufgehalten. Ein Täter sprang aus einer Menschenmenge und
       feuerte mehrere Schüsse auf den 59-Jährigen ab.
       
       Der mutmaßliche Täter wurde noch an Ort und Stelle festgenommen. Der 71
       Jahre alte Mann habe laut Innenministerium schon mehrmals an Protesten
       gegen die Regierung teilgenommen. Er habe als „einsamer Wolf“, also als
       Einzeltäter, zur Waffe gegriffen. Der Mann, der unter anderem als
       Schriftsteller tätig war, habe früher für eine Sicherheitsfirma gearbeitet.
       Der frühere Security-Mann hatte offenbar auch Verbindungen in die 2022
       aufgelöste paramilitärische Gruppe Slovenskí Branci. Details dazu sind aber
       noch unklar.
       
       Das Attentat kam zwar offenbar ohne jegliche Vorwarnung. Die
       gesellschaftliche Stimmung in der Slowakei aber ist lange schon aufgeheizt
       und polarisiert. Zum einen wirtschaftlich, weil das Lohngefälle und
       Unterschiede in der Infrastruktur zwischen der Hauptstadt Bratislava und
       ländlicheren Regionen in der Süd- und Ostslowakei enorm sind.
       
       ## „Gesellschaft seit langem gespalten“
       
       Aber auch politisch. Erst vor wenigen Wochen fand die hochumstrittene
       Präsidentschaftswahl statt, eine Richtungsentscheidung zwischen dem
       liberalen Proeuropäer Ivan Korčok und [1][dem russlandfreundlichen Peter
       Pellegrini] aus Ficos Regierungslager. In der Stichwahl konnte sich
       Pellegrini durchsetzen. Im Juni wird er Amtsinhaberin Zuzana Čaputová
       ablösen, die auch wegen Drohungen für keine zweite Amtszeit mehr antrat.
       
       Čaputová diente in den letzten fünf Jahren immer wieder als Korrektiv zur
       Regierung, forderte die Bekämpfung der Korruption und die Stärkung der
       Rechtsstaatlichkeit. Schon ihre Wahl 2019 war Ausdrucks des Wunschs nach
       einem Neuanfang infolge des Mords am Investigativjournalisten Ján Kuciak
       und seiner Verlobten. Das Land schlitterte in eine tiefe Krise, es kam zu
       Protesten Hunderttausender und Rücktritten mehrerer Spitzenpolitiker.
       
       „Die slowakische Gesellschaft ist seit langem gespalten“, sagt Radoslav
       Štefančík, Politikwissenschaftler an der Wirtschaftsuniversität Bratislava.
       Dies gehe zurück sogar bis zur Staatswerdung der Slowakei im Jahr 1993, als
       ein Teil lieber mit Tschechien zusammenbleiben wollte. In den Jahren rund
       um den EU-Beitritt 2004 wurde es zwar ruhiger, jedoch habe es der 2006
       erstmals Premierminister gewordene Fico mit seiner Partei Smer („Richtung“)
       verstanden, immer wieder neue Feindbilder zu finden: Erst waren es die
       Roma, dann die ungarische Minderheit, später NGOs und zuletzt vor allem die
       freien Medien, sagt Štefančík.
       
       Auch die Coronapandemie und den Krieg gegen die Ukraine wusste Fico für
       sich zu nutzen, indem er als Impfgegner und Freiheitsfreund auftrat. Auch
       stellte er sich gegen dagegen, die angegriffene Ukraine mit Waffen zu
       versorgen. „Fico war stark an der Polarisierung beteiligt, aber er war bei
       weitem nicht der Einzige“, sagt Štefančík.
       
       Wird nun alles anders? Die ersten politischen Reaktionen waren überwiegend
       positiv, bestanden aus Genesungswünschen und dem [2][Ruf nach Versöhnung].
       Als bemerkenswert sieht Martin Kahanec, Politikexperte an der Central
       European University (CEU) in Wien, dass sich die Nochpräsidentin Čaputová
       und ihr Nachfolger Pellegrini gemeinsam vor die Presse stellten und für
       eine Einigung plädierten. „Das kann kaum überbewertet werden, denn die
       beiden sind eigentlich erbitterte Konkurrenten“, sagt Kahanec. Manche
       Politiker hingegen, etwa aus dem Lager der Ultranationalen, suchen bereits
       nach Schuldigen. Selbst der Innenminister sprach davon, dass die Slowakei
       „am Rande des Bürgerkriegs“ stehe.
       
       16 May 2024
       
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