# taz.de -- Ohne Arbeit und Geld in der Westbank: Hoffen auf Öffnung
       
       > Das Westjordanland verliert durch den Gazakrieg sehr viele Arbeitsplätze.
       > Das könnte das Gebiet weiter destabilisieren. Vor Ort bei Menschen im
       > Wartemodus.
       
 (IMG) Bild: Straßensperre in.......
       
       Einer Geisterstadt gleicht in Qalqilya die Hauptstraße vor dem Checkpoint
       zum israelischem Staatsgebiet. Nichts passiert hier. Nur der Regen prasselt
       auf die Wellblechdächer der geschlossenen Geschäfte und Imbissbuden. Die
       Rollläden sind zugezogen, die Türen aus Holzplatten abgeriegelt. Die Straße
       ist menschenleer, die Parkplätze sind verwaist. Es ist Mittwoch, ein
       Arbeitstag, doch hier, kurz vor dem Checkpoint Eyal im Westjordanland,
       arbeitet niemand.
       
       Ein Mann in einem vorbeifahrenden Wagen bedeutet uns, nicht zu nah an die
       Grenze heranzutreten. Wohl aus Angst, dass Sicherheitskräfte mit Tränengas
       antworten könnten. Nach dem 7. Oktober, seit dem Terrorangriff der Hamas
       auf Israel, seien alle nervös. Niemand nähert sich der Grenzanlage.
       
       Qalqilya ist ein verlassener Ort. Wer einen ausländischen Pass hat, ist
       gegangen. Tourist*innen kommen sowieso schon lange nicht mehr. Aber vor
       allem sind die tausenden palästinensischen Arbeitnehmer*innen, die hier vor
       dem 7. Oktober jeden Morgen die Grenze nach Israel passierten, nirgendwo
       mehr zu sehen.
       
       Qalqilya, die 59.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten des Westjordanlands,
       befindet sich direkt an der israelischen Sperranlage. Jeden Tag überquerten
       hier vor dem Krieg in Gaza etwa 17.000 palästinensische Arbeitnehmer die
       Grenze. Stundenlang standen sie Schlange in der Morgendämmerung, in den
       engen Sicherheitsfluren zwischen den Metallzäunen, vor der Zementmauer. Sie
       warteten, auf die Kontrolle ihrer Ausweise, ihrer Arbeitserlaubnisse, die
       ihnen Zugang zum israelischen Gebiet erlaubten. Auf der anderen Seite
       warteten die Minibusse, die sie an ihre Arbeitsplätze fahren sollten.
       
       Am Eingang vor dem Checkpoint reihen sich kleine Restaurants aneinander:
       Hummus, Falafel und Foul fürs Frühstück konnte man hier erwerben. Alle
       Läden sind zu. Daneben Telefonläden, überdachte Parkplätze. Nach dem
       Massaker der Hamas auf israelischem Boden wurde die Grenze für
       palästinensische Arbeiter*innen geschlossen. Wohl aus Angst, dass
       Palästinenser*innen weitere Israelis töten könnten, ist auch das
       Leben am Checkpoint Eyal erloschen.
       
       Der Checkpoint war schon immer ein trauriger Ort, er diente in den Medien
       als Symbol der täglichen Schwierigkeiten, denen sich palästinensische
       Arbeitnehmer*innen ausgesetzt sehen, die in Israel auf bessere Löhne
       hofften. Lange Wartezeiten in der Dunkelheit, Gedränge, Unsicherheit, ob
       sie den Arbeitsplatz erreichen werden. Qalqilya ist einer der drei
       Grenzübergänge zu Israel im Norden des Westjordanlands, die für
       Palästinenser*innen zugänglich sind. Israelische Siedler*innen
       nutzen andere Wege.
       
       Doch der Checkpoint bei Qalqilya war immer auch ein Ort der Hoffnung: auf
       ein besseres Leben, und konkret auf Gehälter, die selbst bei handwerklichen
       Berufen mehr als doppelt so hoch sind. Fast 160.000 Menschen aus dem
       Westjordanland hatten vor dem Konflikt eine Arbeitserlaubnis für Israel.
       Jetzt haben die meisten von ihnen keinen Job mehr. Sie sind zu Arbeitslosen
       ohne Sozialbezüge geworden. Ob sich das in näherer Zukunft wieder ändern
       könnte – völlig ungewiss.
       
       Einige hunderte Meter weiter sitzt in einem Café eine Gruppe von Männern an
       einem Tisch. Sie rauchen und spielen Karten, tuscheln auf Arabisch. Auf dem
       Fernseher vor ihnen laufen Bilder aus Gaza, in Endlosschleife. In einer
       Ecke sitzt Akram Salameh.
       
       Salameh ist 44 Jahre alt, hat eine sportliche Figur, kurze, melierte Haare,
       Jeans und Steppjacke an. An seinem linken Finger schimmert ein silberner
       Ehering. Salameh hat fünf Kinder und, bis zum 7. Oktober, hatte er auch
       einen Job im Bauwesen bei einem israelischen Unternehmer. Heute hat er
       lange geschlafen – wie jeden Tag seit drei Monaten. Denn seit dem 7.
       Oktober hat er einfach nichts mehr zu tun. Seit 110 Tagen wartet er hier in
       Qalqilya, in seiner Heimatstadt, dass die Grenze für Menschen wie ihn
       wieder geöffnet wird.
       
       Zehn Jahre lang hat Salameh in Israel gearbeitet. Er zeigt Bilder auf
       seinem Handy. Er selbst mit israelischen Männern an einem Tisch, beim Essen
       von Kunafeh, einer palästinensischen Süßspeise: „Wir waren wie eine
       Familie.“ Sein letzter Arbeitstag war am Donnerstag, den 5. Oktober. Als
       Salameh sich am frühen Morgen des 7. Oktober auf den Weg zu den
       Menschenschlangen vor dem Checkpoint macht, ist zunächst alles wie immer.
       Doch dann schreien Beamt*innen in die Menge: Wegen des Kriegs sei die
       Grenze dicht. Hunderte aufgebrachte Menschen stehen vor den Betonmauern.
       Auf der anderen Seite bekommt Salamehs Arbeitgeber eine SMS von der
       israelischen Regierung: Seine palästinensischen Beschäftigten dürften ab
       jetzt nicht mehr kommen.
       
       „Ich habe nichts gedacht, nur gewartet. Jeden Tag. Vielleicht morgen. Wir
       waren optimistisch“, sagt Salameh. Inzwischen gehen seine zwei älteren
       Töchter und der Sohn nicht mehr zur Uni, weil sich die Familie die Gebühren
       nicht mehr leisten kann. Der Supermarkt um die Ecke lässt ihn auf Kredit
       kaufen, Menschen helfen ihm. Ein neues Haus hat er sich gerade gebaut.
       Kredite aufgenommen. Die Gläubiger warten. „Doch wie lange noch können sie
       geduldig sein?“ Einen anderen Job zu finden, von dem seine Familie leben
       kann, hat bislang nicht geklappt.
       
       So ähnlich wie Salameh geht es mehreren Männern im Café. Sie waren
       diejenigen, die gut verdienten. Sie waren die obere Mittelschicht. Jetzt
       sind sie auf die Großzügigkeit anderer angewiesen. „Meine Familie sagt, wir
       müssen geduldig sein“, meint Salameh. Unzufrieden ist er mit der
       Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die zwar Steuern einsammelt, sich
       aber bei Menschen wie ihm nicht gemeldet habe.
       
       Das Café ist zu einem Warteraum geworden. Ein weiterer Mann sitzt nebenan,
       er nimmt einen kräftigen Zug von seiner Zigarette, den Blick auf die
       Al-Jazeera-Nachrichten im Fernsehen gerichtet. Er warte auf seine
       Bezahlung, sagt Ahmad Dahud. Er arbeite als Subunternehmer, für zehn
       Arbeiter sei er verantwortlich. Die warteten nun ihrerseits auf ihre Löhne,
       die er jetzt nicht mehr auszahlen könne.
       
       Und zu Hause warteten sieben Kinder, die Ehefrau und die Eltern auf das
       Geld wie vor dem 7. Oktober. „Davor war das Leben gut“, sagt der 44-Jährige
       in Jeans und Sweater, Dreitagebart, die Haare mit Gel frisiert. Mit den
       israelischen Arbeitgebern sei er befreundet gewesen: gute Kumpel. Das habe
       sich jetzt geändert. „Es wird nicht leicht sein, dass sie uns wieder
       akzeptieren.“ Dass sie als Palästinenser pauschal abgelehnt werden, das
       verstehe er nicht, sagt der kräftig gebaute Mann, und legt die Hände in den
       Schoß.
       
       Schon vor dem Krieg war die wirtschaftliche Lage in den palästinensischen
       Gebieten angespannt. Handels- und Bewegungseinschränkungen durch die
       israelischen Gebiete, politische Unsicherheit. Nun hat sich die Situation
       verschlechtert. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation
       ILO sind mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze im Westjordanland nach dem
       Krieg verloren gegangen. Das wären 306.000 Jobs.
       
       Das Zentrale Palästinensische Büro für Statistik schätzt die
       Arbeitslosenquote auf inzwischen 29 Prozent. Gleichzeitig sind die Kosten
       von Konsumgütern um knapp 5 Prozent gestiegen, auch weil aus Gaza keine
       Nahrungsmittel mehr kommen und Transportkosten im Allgemeinen höher sind,
       die Kaufkraft ist gesunken. Das treibt viele Familien in die Armut. Die
       Gewaltspirale im Westjordanland könnte das weiter anheizen.
       
       Die Wirtschaft dort ist stark vom Dienstleistungssektor abhängig. 28
       Prozent der Beschäftigten arbeiteten hier vor dem Krieg. Weitere rund 20
       Prozent waren in Israel und in den Siedlungen aktiv, meistens als
       Bauarbeiter*innen. Ein wichtiger Arbeitgeber ist auch die öffentliche Hand.
       Seit Kriegsbeginn konnte die Palästinensische Autonomiebehörde ihre Löhne
       nicht mehr rechtzeitig zahlen. Schuld daran ist ein Streit mit Israel, das
       einen Teil der Steuereinnahmen einbehalten wollte, damit diese nicht in
       Gaza landen.
       
       Die Sicherheitsmaßnahmen Israels drohen allerdings auch der israelischen
       Wirtschaft zu schaden, allen voran dem Bausektor. Denn dieser ist stark von
       palästinensischen Arbeitskräften abhängig. Bereits im Dezember diskutierte
       die Regierung über die Notwendigkeit, palästinensische Arbeiter*innen
       wieder zuzulassen. „Die Bau- und Infrastruktursektoren sind stillgelegt,
       das bedeutet einen Verlust von 10 Milliarden Schekel pro Monat“, wird
       Netanjahus Wirtschaftsberater Avi Simhon zitiert, das sind rund 2,5
       Milliarden Euro.
       
       Es gibt sogar Überlegungen, die Palästinenser*innen durch
       ausländische Arbeiter*innen zu ersetzen. Ähnliches gilt für die
       Fabriken der israelischen Siedler*innen im Westjordanland. Ende Dezember
       kamen zwischen 8.000 und 10.000 Palästinenser*innen in die Siedlungen
       zurück, allerdings unter strengen Auflagen. Sie durften sich nur in einigen
       Bereichen frei bewegen und nur unter Aufsicht von bewaffneten
       Sicherheitskräften.
       
       ## Israelische Sicherheitskräfte für Rückkehr von palästinensischen
       Arbeiter*innen
       
       Carine Metz ist Programm-Managerin beim Democracy and Workers’ Rights
       Center in Palestine. Sie sagt: „Wenn du an einem Ort arbeiten musst, wo
       bewaffnete Menschen dich überwachen, na ja.“ Metz sitzt in ihrem Büro in
       Ramallah, sie hat ein rundes, freundliches Gesicht. Ein weiteres Problem,
       so Metz, seien fehlende Arbeitslosenhilfen. Das riskiere ganze Familien in
       die Armut zu treiben. Groß ist die Angst, dass dies die Gewalt befeuern
       könnte. Sogar israelische Sicherheitskräfte haben sich deshalb bereits für
       die Rückkehr tausender Arbeiter*innen ausgesprochen.
       
       „Wir denken, dass die Auswirkungen auf die Wirtschaft stärker sind als die
       der Coronapandemie“, urteilt Merz. Laut ILO hat das Westjordanland etwa 500
       Millionen US-Dollar pro Monat an Produktionswert verloren. Das
       Bruttoinlandsprodukt könnte sich laut Weltbank um 6 Prozent verringern. Und
       18,3 Millionen US-Dollar Einkommen weniger pro Tag werden im Westjordanland
       wegen der Jobverluste generiert. Aber auch die vielen Checkpoints und
       Straßensperren erschweren die Bewegungen von Arbeiter*innen und Waren.
       So wie die Gewalt durch Siedler und die Antiterroroperationen israelischer
       Streitkräfte.
       
       Es ist 13.45 Uhr, als ein weißer Minibus kurz vor dem Highway 60
       stehenbleibt, zwischen den kargen Hügeln und den Olivenhainen. Eigentlich
       wollen die gut ein Dutzend Männer und Frauen, die drinnen eingeengt sitzen,
       nach Nablus zur Arbeit, es sind nur noch 25 Kilometer Luftlinie. Die
       Minuten vergehen, die Nervosität im Minivan steigt. Jemand checkt die
       Nachrichten auf seinem Smartphone. Aufgeregtes Gerede unter den
       Passagieren.
       
       Plötzlich erscheint ein israelisches Militärfahrzeug, stellt sich quer auf
       die Straße. Ein Soldat mit griffbereitem Sturmgewehr und aggressiver
       Haltung springt raus. Ohne auf weitere Anweisungen zu warten, startet der
       Minibusfahrer den Motor, kehrt um. Weiteren Minivans hinterher geht es die
       Hügel auf und ab, durch kleine Dörfer, unauffindbar auf Google Maps.
       
       Viertel vor drei. Nablus ist nicht mehr weit, nur noch ein Checkpoint.
       „Statt 10 Minuten haben wir 45 gebraucht“, sagt Chaled, ein junger Mann mit
       gepflegtem Bart und Brille. Er schüttelt den Kopf. Jeden Tag pendele er für
       seinen Job zwischen Nablus und Ramallah. Schon unter normalen Umständen
       braucht man dafür eine Stunde, seit dem 7. Oktober sind es meistens
       anderthalb bis zwei. Dabei trennen nur 35 Kilometer Luftlinie die zwei
       Städte. „Wenn ich es meinem Cousin in Deutschland erzähle, lacht er. Das
       glaubt er mir nicht.“
       
       Später ist in den Nachrichten zu lesen, dass an dem Tag ein
       palästinensischer Mann mit einem Messer auf israelische Soldat*innen an
       einem Checkpoint losgegangen sein soll, etwa 10 Kilometer von der ersten
       Straßensperre entfernt. Daraufhin wurde das gesamte Gebiet abgeriegelt.
       
       Die Kontrollen an den Checkpoints sind noch länger geworden, mobile
       Checkpoints häufiger, komplette Straßensperren ebenso. Einige Straßen sind
       wochenlang geschlossen. Das zwingt die Menschen zu langwierigen Umwegen
       durch Berge und Dörfer. Und wie lange die Schlangen an den Checkpoints
       sind, ist im Vorfeld unberechenbar. Das macht es schwierig, überhaupt einer
       Arbeit nachzugehen.
       
       Chaled erlebt es jeden Tag. Jeden Tag verlässt er sein Haus in einem Vorort
       von Nablus um 6.30 Uhr, jeden Tag hofft er, die 35 Kilometer Luftlinie in
       anderthalb Stunden zurücklegen zu können. Jeden Tag scheitert er. Wegen der
       Umwege werden aus den 35 Kilometer schnell 75.
       
       Wenige Tage später sitzt Chaled in einem Café in Ramallah, nicht weit
       entfernt von seinem Arbeitsplatz, und versucht zu erklären, wie sein Alltag
       seit vier Monaten aussieht. Es ist seine Mittagspause, heute will er früher
       weg. Sonst muss er wieder in Ramallah übernachten.
       
       Seit dem 7. Oktober braucht Chaled, der als mechanischer Ingenieur
       arbeitet, an guten Tagen, ohne Straßensperren also und mit eigenem Wagen,
       anderthalb Stunden für die 35 Kilometer. An schlechten Tagen sind es
       mindestens zwei. Im Schnitt kommt er mehrfach in der Woche eine halbe
       Stunde zu spät zur Arbeit. Sein Arbeitgeber hat dafür Verständnis. Bis
       jetzt zumindest. Wie lange das noch gut geht, weiß Chaled nicht.
       
       ## Checkpoint komplett zu
       
       „Der Checkpoint in Huwara ist komplett zu und am anderen sind die
       Kontrollen seit dem 7. Oktober lang. Manchmal stehen dort hunderte Autos
       Schlange“, sagt der 35-Jährige. Und fügt hinzu: „Mein Chef sagt, ich soll
       schon um 6 Uhr losfahren. Aber wir müssen zuerst checken, dass der Weg frei
       ist. Sonst ist es gefährlich, es kann bewaffnete Auseinandersetzungen
       geben.“ In Nablus sind einige militante Gruppen vertreten, immer wieder
       finden Razzien durch israelisches Militär statt, immer wieder wird
       geschossen.
       
       Nach Ramallah zu ziehen kommt für Chaled nicht infrage. Er hat zwei kleine
       Kinder, zwei und vier Jahre alt, die Familie ist in Nablus. Dort ist das
       Leben günstiger. „Ich habe Angst, meinen Job zu verlieren. Wer in der
       aktuellen Lage einen Job hat, muss daran festhalten“, sagt er und blickt
       nachdenklich. „Ich habe auch in Nablus gesucht. Es gibt dort aber nicht so
       viele Jobs.“ Also muss Chaled warten: an den Checkpoints, an den
       Straßensperren, auf das Ende der Razzien. Erschöpft fühle er sich.
       Verständnis für das Handeln Israels hat er nicht. „Gaza ist nicht das
       Westjordanland“, sagt er. „Was habe ich denn falsch gemacht?“
       
       Eine lächelnde Kellnerin bringt die Getränke auf einem Tablett, Latte
       macchiato für Chaled und eine Sprite. Sie witzelt, „Latte“ sei doch eher
       etwas für Frauen. Im Hintergrund läuft rhythmische arabische Musik,
       Blumentöpfe hängen von der Decke. Das Restaurant ist fast leer, obwohl es
       Mittagszeit ist. Auch wer in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe arbeitet,
       wartet gerade sehnlich: auf Kundschaft. Denn die bleibt seit dem 7. Oktober
       weg. Die Restaurants sind leer, so wie die Hotels. Niemandem ist gerade
       nach Party oder Urlaub zumute. Die Menschen sparen lieber. Wer heiraten
       will, verschiebt es oft auf später.
       
       ## Unruhiger Blick in die Zukunft
       
       Und so blickten viele unruhig in die Zukunft, erzählt der 38-jährige
       Hotelmitarbeiter Shadi. Seinen Job hat er zwar noch, doch er macht sich
       Sorgen. „2024 ist gelaufen. Wäre es nicht für die Journalist*innen, würden
       wir nicht arbeiten.“ Nur 15 bis 20 Prozent der Zimmer im Luxus-Hotel, in
       dem er kellnert, seien belegt. Es sind fast ausschließlich Presseleute, die
       jetzt quasi ohne Unterlass berichten. Eine Rettungsleine, doch keine
       beständige. Richtet sich die mediale Aufmerksamkeit woanders hin, ohne die
       Ausländer*innen der NGOs und die wenigen Tourist*innen, wird es für
       Menschen wie Shadi schwierig. „Wir sind alle besorgt“, sagt er.
       
       Shadi ist Palästinenser und lebt in einem Ramallaher Vorort. Nach
       Ostjerusalem pendelt er jeden Tag. Er darf in Israel arbeiten, auch jetzt
       noch. Denn er hat einen sogenannten Jerusalem-Ausweis. Das macht ihn zum
       Palästinenser, der im annektierten Ostjerusalem seinen Lebensmittelpunkt
       hat. Das Dokument ist in gewisser Hinsicht ein Privileg, gerade jetzt. Denn
       es erlaubt ihm, ohne zusätzliche Erlaubnisse nach Israel einzureisen.
       Kolleg*innen mit „grüner ID“, dem palästinensischen Ausweis, dürfen
       nicht mehr kommen.
       
       Shadi, drahtige Figur und legere Kleidung, die er später im Hotel gegen die
       makellose Uniform tauschen wird, erzählt, er habe drei Söhne im Schulalter.
       Das Leben sei teuer geworden. „Hier ist es so: Wenn die Touristen da sind,
       arbeiten wir. Sonst arbeitet keiner“, sagt er. Kolleg*innen von ihm
       hätten bereits ihre Stellen verloren. Shadi ist der Alleinverdiener in der
       Familie.
       
       Nun wartet Shadi auf das Ende des Kriegs in Gaza. Er hofft, dass die Kämpfe
       vor Ostern eingestellt werden. Vielleicht kommen die Ausländer*innen
       dann ja wieder. Er fährt weiter die Alleen Ostjerusalems entlang, zwischen
       den Mauern aus weißem Sandstein, in Richtung Hotel. Am Rückspiegel seines
       Wagens hängt ein Anhängsel mit arabischen Schriftzeichen, umrahmt von
       kleinen Perlen. Ein Talisman.
       
       26 Mar 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Serena Bilanceri
       
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