# taz.de -- Schnee auf dem Rollfeld in Diyarbakir: Der verhinderte Abflug
       
       > Unser Flugzeug nach Bremen konnte nicht starten, weil es schneite. Die
       > Passagiere waren dabei, die Nerven zu verlieren. Da hatte der Pilot eine
       > Idee.
       
 (IMG) Bild: Schnee auf dem Rollfeld gibt es nicht nur in Diyarbakir: Stimmungsbild aus Frankfurt am Main im Dezember 2017
       
       Einen Bekannten in Diyarbakir im Osten der Türkei habe ich besucht und
       sitze nun seit fünf Stunden in meinem Flieger nach Bremen, der sich wegen
       des starken Schneefalls nicht vom Fleck rühren kann. Plötzlich pflanzt sich
       eine neugierige Tante neben mir auf und deponiert ihr sogenanntes
       „Handgepäck“ unter meinen Füßen, weil sie die oberen Schränke bereits mit
       jeder Menge Tüten und Säcken vollgestopft hat.
       
       „Wohin fliegen Sie, Bruder?“, fragt sie mich.
       
       „Heute fliege ich nach Kambodscha“, antworte ich genervt.
       
       „Dieses Flugzeug fliegt aber nach [1][Bremen]“, sagt sie überrascht.
       
       „Nach Bremen?“, tue ich genauso überrascht. „Und weshalb schleppen Sie dann
       tonnenweise Bohnen, Käse, Tomatenmarkt und eingelegte Gurken mit? Ist in
       Bremen Hungersnot ausgebrochen oder haben Sie Hausverbot bei [2][Aldi]?“
       
       Sie schüttelt den Kopf. Ich kann mich wegen ihres Gepäcks nicht mehr
       bewegen. Genau wie unser Flugzeug. Es schneit seit zwölf Stunden.
       
       „Wir verdursten hier, gebt uns wenigstens etwas zu essen und zu trinken.
       Wir werden schlimmer behandelt als Galeeren-Sträflinge“, brüllt jemand
       völlig aufgebracht.
       
       Meine nervige Nachbarin macht ihre Proviantsäcke auf und belegt mehrere
       Brote mit Tomaten, Käse und Knoblauchwurst – mir gibt sie nicht mal eine
       einzige Olive!
       
       Endlich meldet sich der Pilot: „Liebe Leute, wir haben bereits fünf Stunden
       Verspätung. Wenn wir das Risiko auf uns nehmen, dürfen wir starten. Die
       Entscheidung überlasse ich Ihnen.“
       
       Da sage noch einer, in der Türkei gäbe es keine [3][Demokratie]. Wir haben
       sogar die Freiheit zu entscheiden, ob wir abstürzen wollen! Wir entscheiden
       uns dafür, lieber vom Himmel zu fallen, als auf dem Boden zu verhungern.
       
       Das Flugzeug versucht sich daraufhin startbereit zu machen. „Gleich werden
       wir fliegen, ich will essen“, brülle ich. Endlich rücken die Stewardessen
       mit den Snacks raus. Ich verlange die dreifache Portion.
       
       Jedes Mal, wenn der Pilot Gas gibt, rutscht das Heck des Flugzeugs weg und
       die Stewardessen knallen mit dem Kopf gegen die Schränke, worüber sich am
       meisten die Kinder freuen.
       
       Wir erreichen mit viel Mühe die Startbahn und werden als einziges Flugzeug
       heute versuchen, doch noch wegzukommen. Draußen ist es bereits dunkel und
       es schneit immer noch wie verrückt. Ich höre in dem Moment die
       eigenartigste Startansage der Fluggeschichte:
       
       „Wir sind startklar! Bitte halten Sie Ihre Tee- und Kaffeetassen gut fest
       und sauen Sie nicht unsere teuren Sitze ein!“
       
       Damit meint der Pilot aber nur sich selbst. Im Passagierraum ist niemand
       startklar! Kein Mensch ist angeschnallt und alle haben massenweise Essen
       und Getränke vor sich stehen.
       
       Kurz danach tut das [4][Flugzeug] so, als würde es fliegen. Mehrere
       Passagiere verbrühen sich die Beine und die Kinder, die im Durchgang
       spielen, stürzen böse!
       
       Und ich werde den Verdacht nicht los, dass dieses weiße Zeug, was da in der
       Dunkelheit draußen schimmert, keine Wolken, sondern immer noch der
       Flughafen-Schnee von Diyarbakir ist!
       
       13 Mar 2024
       
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