# taz.de -- Kritik an Hamburger Wohneinrichtung: Kleinkinder im Schichtbetrieb
       
       > Im Kleinkinderhaus Hamburg-Altona werden Kinder bis sechs Jahre im
       > Schichtdienst betreut. Bezirkspolitikerinnen sehen das kritisch.
       
 (IMG) Bild: Was brauchen Kinder, um sich geborgen zu fühlen?
       
       Hamburg taz | In Hamburg hat der private [1][Jugendhilfeträger Sternipark]
       ein neues Kinderschutzhaus eröffnet. Hier ist Platz für 17 in Obhut
       genommene Kleinkinder von null bis sechs Jahren. Der Bedarf ist da, denn
       die sechs anderen Einrichtungen dieser Art in Hamburg sind nahezu
       durchgehend voll, manchmal sogar überbelegt. Und trotzdem gibt es nun
       Kritik. Ein Vorwurf lautet: Die Sozialbehörde habe dem Träger den Auftrag
       gegeben, ohne den zuständigen Bezirk Altona in die Entscheidung
       einzubeziehen.
       
       Katarina Blume ist eine der Kritikerinnen. Die Bezirksversammlung in
       Hamburg-Altona hat kürzlich [2][einen Antrag von ihr verabschiedet], in dem
       die FDP-Politikerin das Jugendamt dazu auffordert, der Aufsichtspflicht
       gegenüber zwei Einrichtungen des Trägers Sternipark „mit besonderer
       Sorgfalt“ nachzukommen. Eine davon ist das neue Kinderschutzhaus in der
       Planckstraße im Stadtteil Ottensen. Hier sei das Anhörungsrecht des Bezirks
       ausgehebelt worden und die Sozialbehörde habe die bezirklichen
       Fachausschüsse „nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend“ beteiligt,
       so der Antrag.
       
       Bereits im Oktober ist das „Kleinkinderhaus Altona“ in den oberen Etagen
       einer Kita eröffnet worden. Erst Anfang Januar erfuhren die Abgeordneten
       des Jugendhilfeausschusses eher per Zufall von der Sozialbehörde davon, so
       berichtet es der CDU-Bezirkspolitiker Sven Hielscher. „Die Einrichtung ist
       schon umgebaut und in Nutzung genommen worden, bevor der Bauausschuss dies
       abschließend beraten hat“, sagt Hielscher. Das sei „systemische Anarchie.“
       
       ## Hoher Bedarf an neuen Plätzen
       
       Die neue [3][Einrichtung wird dringend benötigt], das wird in einem Brief
       deutlich, den Behörden-Staatsrat Tim Angerer am 11. Januar dieses Jahres an
       die Vorsitzende der Bezirksversammlung schrieb. Denn die sechs städtischen
       Kinderschutzhäuser des Landesbetriebs Erziehung (LEB) für Kinder von null
       bis sechs Jahren mit insgesamt 74 Plätzen seien nahezu durchgehend
       ausgelastet, teilweise überbelegt. Der LEB schrieb bereits Ende 2022 in
       seinem Jahresbericht, dass er in 2023 weitere Häuser brauche. Doch ein
       Neubau in Bergedorf wurde nicht rechtzeitig fertig.
       
       Da erscheint nur hilfreich, dass die Sternipark GmbH im Oktober das
       Kleinkinderhaus mit 17 Plätzen für Kinder von null bis sechs Jahren
       eröffnete, welches laut Sozialbehörde aktuell schon mit 15 Kindern belegt
       ist. Laut Träger wurde der Antrag beim Bezirksamt Ende Juli gestellt. Die
       Einrichtung in der Planckstraße habe man kurzfristig in Betrieb genommen,
       um auswärtige Unterbringung und Trennung von Geschwistern zu verhindern,
       teilt die Behörde mit.
       
       Doch im Jugendhilfeausschuss Altona, der vom Bauausschuss fachlich zu Rate
       gezogen wurde, gibt es Bedenken über die Betreuungsform: Die Einrichtung
       wird laut Sozialbehörde nicht als siebtes Kinderschutzhaus betrieben,
       sondern als normale stationäre Wohngruppe. In der könnten – so wie an jedem
       dafür geeigneten Ort – auch Kinder in Obhut genommen werden (siehe Kasten).
       Laut Behörde waren Stand 31. Januar vier der fünfzehn Kinder im
       Kleinkinderhaus Altona in Obhut genommene Kinder.
       
       Es sei eine Art „Mischlösung“, sagt dazu Yohanna Hirschfeld, die
       jugendhilfepolitische Sprecherin der Grünen im Bezirk. Üblicherweise würden
       Babies und Kleinkinder unter sechs Jahren in familienähnlichen Angeboten
       betreut – also in Pflegefamilien, familienanalogen Wohngruppen oder einer
       Sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft, sagt Hirschfeld. In diesen
       Betreuungsformen sind die Bezugspersonen rund um die Uhr anwesend. Im
       Kleinkinderhaus Altona aber arbeitet das Personal im Schichtdienst. Das
       bestätigt auch die Behörde.
       
       „Wir können das inhaltlich nicht mittragen“, sagt dazu Yohanna Hirschfeld.
       Schichtdienst für diese Altersgruppe sei in Hamburg in einer dauerhaften
       Unterbringungsform eine Neuigkeit, so die Grüne Bezirksabgeordnete. Diese
       Form sei bei den Kinderschutzhäusern des LEB, wo die Kinder nur
       vorübergehend in akuten Notlagen wohnen, als notwendig zu tolerieren. Für
       die Betreuung in dauerhaften Wohneinrichtungen sei es aber in Hamburg
       bisher „nicht üblich“. Zudem seien die beiden Gruppen mit je acht und neun
       Kindern zu groß.
       
       ## Überschaubare Gruppen empfohlen
       
       „Ich finde es nachvollziehbar, wenn die Stadt ein neues Kinderschutzhaus
       hat, in dem Kinder auch mal nach Paragraf 34 länger bleiben können“, sagt
       Tilman Lutz, Professor für Soziale Arbeit der Hamburger Hochschule für
       Angewandte Wissenschaften. „Doch umgekehrt eine Wohngruppe für die jüngsten
       Kinder von Vornherein im Schichtbetrieb in großen Gruppen zu organisieren,
       ist ein Irrweg.“ Er verweist auf die Empfehlungen der Landesjugendämter
       Rheinland und Westfalen-Lippe, die hierzu ein Forschungsprojekt beauftragt
       hatten: „Eine dauerhafte Betreuung dieser Altersstufe in Gruppenangeboten
       mit Wechselschicht wird fachlich nicht getragen“, heißt es dort. Müsse es
       dennoch Schichtdienst geben, dann „in überschaubaren Gruppensettings mit
       maximal sechs Plätzen.“
       
       Der Träger erklärte zur Frage, ob es sich bei der Einrichtung um ein
       Kinderschutzhaus handelt: „In dem Gebäude in der Planckstraße werden zwei
       Stockwerke für die Rund-Um-die-Uhr-Betreuung für Kinder bis 6 Jahre
       vorgehalten. Weitere Angaben können wir zum Schutz der Kinder nicht
       machen.“
       
       Die taz fragte die Sozialbehörde, ob hier ein für Hamburg neuer
       Angebotstypus geschaffen wurde, bei dem Kinder in dauerhaften Wohngrupen im
       Schichtdienst betreut werden? Ihr Sprecher verneinte dies: „Es gibt bereits
       Einrichtungen mit entsprechender Gruppengröße für diese Zielgruppe, die im
       Schichtdienst betreut werden.“ Eine Gruppengröße von acht oder neun Plätzen
       sei „durchaus üblich und angemessen“, sie orientiere sich an der
       Gebäudegröße sowie an dem vorgehaltenen Fachpersonal.
       
       Allerdings blieb im Laufe unserer Recherchen unklar, wo es diese Gruppen
       gibt. Alle im Jahresbericht aufgeführten Wohngruppen des LEB nehmen Kinder
       erst ab sechs Jahren auf. Lediglich die besagten sechs städtischen
       Kinderschutzhäuser betreuen jüngere Kinder im Schichtdienst, allerdings ist
       dort die Betreuung nicht auf Dauer angelegt.
       
       ## Stadtnähe von Vorteil für Elternkontakt
       
       Der Soziologe und Studien-Autor Wolfgang Hammer sieht indes in dem
       Kleinkinderhaus auch Chancen. „Dass Kleinkinder nicht im Schichtdienst
       betreut werden sollten, ist fachlich nicht haltbar“, sagt er. Auch dort
       könne die Betreuung so organisiert werden, dass Kinder drei bis vier
       verlässliche Bezugspersonen haben. „Dass es nur eine Pflegemutter geben
       muss, die sich rund um die Uhr um ein Kind kümmert, ist wissenschaftlich
       nicht belegt. Kinder wurden früher in Großfamilien schon immer von mehreren
       Menschen betreut.“
       
       Hammer sieht eine Kindeswohlgefährdung jedoch darin, dass die Ämter Kinder
       [4][zu häufig in Obhut nehmen], was ein dramatischer Eingriff sei. Auch
       werden laut Hammer die Chancen, dass Kinder zu ihren Eltern zurückkehren
       können, unterschätzt. Komme ein Kind in eine Pflegefamilie oder werde weit
       weg von Hamburg untergebracht, sei die Gefahr, dass ein Kind nicht
       zurückkomme oder die Rückkehr unvorbereitet erfolge, um so größer. „Deshalb
       finde ich den Ansatz von Sternipark sehr gut, in Altona eine Einrichtung
       für Kleinkinder zu schaffen, die in der Stadt liegt und mit den Eltern
       intensiv zusammen arbeitet“.
       
       Er stehe mit der Leiterin von Sternipark im Austausch und wisse, dass
       dieser schon viele Erfahrungen mit Inobhutnahmen in Schleswig-Holstein hat,
       in denen die Arbeit mit der Herkunftsfamilie „erfolgreich geleistet wird“.
       Sternipark selber verweist auf seine betreuten Wohnformen für Mütter/Väter
       mit Kindern. Man habe „Erfahrungen in der Kleinkindbetreuung rund um die
       Uhr“.
       
       Tilman Lutz bleibt indes dabei, dass er die Schichtdienstbetreuung für
       Babies und Kleinkinder problematisch findet. „Der Vergleich mit
       Großfamilien trägt meines Erachtens nicht, da dort die Kinder nicht aus
       ihrem gewohnten Umfeld herausgenommen wurden.“
       
       Yohanna Hirschfeld sagt zu Hammers Argumenten: „Ich glaube nicht, dass die
       Ursprungsfamilie für alle diese Kinder am besten ist.“ Auch wenn man den
       emotionalen Wert der eigenen Familie nicht ersetzen könne, bräuchten diese
       Kinder familienähnliche Gruppen, die ihnen eine andere Gefühlsgrundlage
       geben und eine verlässliche Beziehungserfahrung vermitteln.
       
       ## Jugendhifeausschuss nimmt Stellung
       
       „Ich stimme überein, dass es [5][zu viele Inobhutnahmen] gibt“, sagt Ronald
       Priess von der Landesarbeitsgemeinschaft Kindheit und Jugend der
       Linkspartei. Aber auch er hält Betreuung im Schichtdienst für Null- bis
       Sechsjährige für nicht gut. Eine Alternative wären für ihn
       [6][Bereitschaftspflegeeltern], die kleine Kinder vorübergehend in ihrem
       Haushalt aufnehmen. „Die müsste man nur besser ausstatten.“
       
       Am Mittwoch Abend hat der Jugendhilfeausschuss Altona [7][eine
       Stellungnahme] verabschiedet, die Hirschfelds Bedenken aufgreift und am
       kommenden Donnerstag im Hauptausschuss der Bezirksversammlung auf der
       Tagesordnung steht.
       
       10 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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