# taz.de -- Nachruf auf Sängerin Melanie Safka: Das echteste Blumenkind
       
       > Eine der prominentesten Hippie-Ikonen der frühen Siebzigerjahre ist tot.
       > Woodstock-Sängerin Melanie Safka wurde 76 Jahre alt.
       
 (IMG) Bild: Melanie Safka bei ihrem Auftritt auf der Hauptbühne des Isle of Wight Festivals 2010
       
       Fragt man einen Boomer, und war dieser (oder diese) der hippieinspirierten
       Kultur der späten Sechziger, frühen Siebziger immer ein wenig, und sei es
       aus sentimentalen Gründen, ergeben, ob er sie kenne, Melanie!, gab es stets
       ein entrüstetes, immer von einem Lächeln begleitetes: „Ja, natürlich!“
       
       Melanie, die mit Familiennamen Safka hieß, aber mit ihrem Vornamen zu einer
       der beliebtesten Ikonen ihrer, eben der Hippiezeit war, war das echteste
       Blumenkind unter allen Chanteusen jener Jahre, ob nun offen politisch oder
       nicht minder offen bildungsbürgerlich-lyrikerinnenhaft orientiert wie
       [1][Joan Baez] und Joni Mitchell, ob nun verhuscht wie Judy Collins oder
       die angebliche kanadisch-amerikanische First-Nation-Angehörige Buffy
       Saint-Marie: Sie, Melanie Safka, im Astoria-Viertel in New Yorks Bezirk
       Queens 1947 geboren, mochte, liebte und verehrte die [2][Kultur der
       Beatniks] (Alan Ginsburg, Jack Kerouac etc.), verehrte in ihnen die
       Möglichkeiten des anderen Amerika, eine Frau, die ein fröhliches Leben
       wollte und eben unverstellt mochte, was sie singend repräsentierte –
       Liedermacherei, verrätselte Eigenbrötelei, poetischen Postsurrealismus.
       
       Sie war keine steile Biene, kein weibliches Objekt männlicher Sehnsüchte,
       sie verströmte eher die Aura einer sich nicht zwischen einer gewissen
       Vierjährigkeit und frühgereifter Vierzigjährigkeit entscheiden wollenden
       Frau.
       
       Und die kam durch eine Panne richtig groß raus. Als
       Nachwuchshoffnungsträgerin neuer amerikanischer Einflüsse im
       Popularmusikgeschäft wurde sie für das Woodstock-Festival zwar gecastet,
       aber sie war Ersatzfrau, kam aber zum Einsatz, weil die schon viel
       berühmtere Incredible String Band sich weigerte, im strömenden Regen jener
       Festivaltage in Upstate New York aufzutreten.
       
       ## In den Höhen brüchig, in den Tiefen verlässlich
       
       Melanie aber scheute keine misslichen Umstände. Und sang. Und war plötzlich
       Hot Shit in der Szene. War mit großen Hits in den Charts, etwa mit
       „[3][Brand New Key]“ (eine frühfeministische Gegeninterpretation zum
       männlichen Lolita-Mythos), mit dem Rolling-Stones-Cover des Liedes
       „[4][Ruby Tuesday]“, das durch sie erst so richtig gut wurde, Mick Jaggers
       dürrer Gesang versagte am eigenen Stoff, mit „[5][Beautiful People]“,
       „[6][Lay Down]“ oder „Peace Will Come“. Sie servierte ihre Lieder mit einem
       Gesang, der für das populäre Gewerbe einzig sein konnte – ihre Stimme,
       leicht rau, in den Höhen brüchig, den Tiefen verlässlich – und alles
       zusammen in Refrains entgrenzt und herzensstark.
       
       Melanie Safka ist zeit ihres Lebens eine Hippiefrau geblieben, viele
       Jahrzehnte mit dem gleichen Mann verheiratet, Mutter dreier Kinder und von
       unerschütterlicher Stabilität im Hinblick auf das, was ihre persönlichen
       Lebenswerte waren: kein Krieg, keine Gewalt, vor allem nicht gegen
       Schwächere, Coolness – und das mit einer Portion guter Laune überall. Sie
       hing wechselnden asiatischen Inspirationslehren an, probierte sich in
       Psychoanalyse und hatte bei vielen Kollegen und Kolleginnen ihrer Branche
       bis in jüngste Zeiten den Ruf, alles möglich zu sein, bloß keine
       Übelnachrednerin oder Intrigantin zu sein.
       
       Ihr irrstes und wirrstes Lied, eine Perle des Pop, komponierte und textete
       sie 1970, in Deutschland interpretiert, ebenfalls erfolgreich durch die
       Israelin [7][Daliah Lavi]: „What have they done to my song, Ma?“ Ein Lied,
       das in jeder Zeile geheimnisvoll bleibt, inkl. der eingestreuten und in den
       USA exotisch anmutenden französischen Zeile „Ils ont changé ma chanson,
       Ma“. Denn bis zum letzten Ton bleibt unklar, was Muttern nun wirklich
       zerstört hat: Post-Ödipale Ansprüche an den Vater?, sexueller Missbrauch?,
       Drogendelirbewirkte Textualität ums Irgendwas?
       
       Durch den schleppenden Ton, akkordeoninstrumentiert, prononcierte sie, Kind
       von Eltern, die aus Italien und der Ukraine eingewandert waren, das
       osteuropäische Erbe ihres Vaters: ein Pop-Mirakel, wie es besser kaum geht.
       Ein Denkmal für dieses Lied setzte [8][Melanie mit Miley Cyrus 2015]:
       Stimmlich immer noch auf der Höhe, für Operngesang viel zu schade.
       
       Sie war in Deutschland beliebt, jedenfalls unter Boomerinnen*; die
       Jugendzeitschrift Bravo ehrte sie 1972, Basis war eine Publikumsabstimmung,
       mit dem „Silbernen Otto“ (Gold: Juliane Werding, Bronze: Daliah Lavi).
       Melanie Safka-Scherekyk ist am Dienstag in Nashville, USA, im Alter von 76
       Jahren gestorben.
       
       26 Jan 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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