# taz.de -- Ausblick zu Silvester: Böllerpflicht
> Früher wollten alle wissen, was sie erwartet, heute haben die meisten
> schon von der Gegenwart genug. Trotzdem: ein vorsichtiger Blick in die
> Zukunft.
(IMG) Bild: Jahreswechsel im Jahr 2054
Wir schreiben das Jahr 2054. Der Jahreswechsel steht bevor, ein Ereignis,
das immer mehr an Bedeutung gewinnt, denn allzu oft – da sind sich außer
AFD, FDP, AFDP, ACAB, ADAC und PENIS alle einig – werden wir gar nicht mehr
die Gelegenheit dazu haben.
Vielmehr könnte jedes Silvester das letzte sein; Neujahr ist daher zum
höchsten weltlichen wie religiösen Feiertag geworden.
Und der wird natürlich entsprechend eingeläutet. Es herrscht sogar
Böllerpflicht. Allerdings nur für die Alten, denn die [1][Rentenkassen]
hegen die berechtigte Hoffnung, der Sprengstoff werde bei der Gelegenheit
einen üppigen Blutzoll erheben.
Doch während die Senioren, versorgt mit einem angriffskriegsfähigen Arsenal
kostenloser Staatskracher, von hauptamtlichen Feuerwerkslotsen auf die
nächtlich vereisten Straßen unserer Städte getrieben werden, haben die
Jüngeren Hausarrest.
## Die Jüngeren haben Hausarrest
Denn die dürfen sich auf keinen Fall verletzen, zu unverzichtbar sind sie
für die Gesellschaft. Deshalb sind für sie acht Stunden Schlaf, frische
Apfelschnitze und tägliche Gymnastik vorgeschrieben; kontrolliert von der
Gesundheitspolizei GesuPo. Darüber hinaus ist ihnen jegliche riskante
Betätigung verboten, ob Skifahren, Reiten oder das sichtbare [2][Tragen
eines Davidsterns am Neuköllner Hermannplatz] oder im Seminar für
Postcolonial Studies.
Die eh schon löcherig gehäkelte Personaldecke ist derart kurz, dass absolut
niemand mehr ausfallen darf: weder der 60-Jährige, der dem ganzen Land
Essen auf Rädern bringt, noch eine der letzten drei Pflegekräfte der
Nation, die gleichzeitig alle hunderttausend Monitore für die
[3][Pflegeroboter made in Nordkorea] überwachen müssen.
## Steuerfreiheit oder würdevolles Alter?
Auf sie kommt es mehr denn je an, seit man damals am Scheideweg stand,
entweder Milliardären grundsätzliche Steuerfreiheit oder den Bürgern ein
würdevolles Alter zu ermöglichen. Da fiel die Entscheidung leicht, denn
zahnloses Lümmeln im Lehnsessel schafft kein [4][Wirtschaftswachstum].
Ohnehin gelten in den posthumanen 2050er Jahren Werte wie Würde, Liebe und
Gerechtigkeit als völlig überschätzt. Mein Futurologe Zbigniew findet dazu
wie immer die passenden Worte: „Die Würde ist nur der Senf am Tellerrand
der Werte.“
Und Senf braucht unsere Wirtschaftswurst nicht, die auch ein
[5][Tempolimit] so schlecht verträgt wie unsere Straßen oder die Natur.
Letztere würde auf das Fehlen der gewohnten Stressfaktoren, ähnlich einem
Drogensüchtigen auf kaltem Entzug, bloß mit dem endgültigen
Systemzusammenbruch reagieren – da sind sich die Experten aus Literatur,
Comedy und Philosophie ausnahmsweise einig.
18 Dec 2023
## LINKS
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(DIR) [3] /Zukunft-der-Altenpflege/!5930408
(DIR) [4] /Konjunkturprognose-der-EU-Kommission/!5959185
(DIR) [5] /Tempo-runter-fuer-die-Umwelt/!5976119
## AUTOREN
(DIR) Uli Hannemann
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