# taz.de -- Notunterkunft geschlossen: Auszug ins Ungewisse
       
       > Eine von zwei „24/7-Notunterkünften“ für Wohnungs- und Obdachlose
       > schließt, eine Alternative ist gescheitert. Die Stadtmission weist Kritik
       > zurück.
       
 (IMG) Bild: Worst case Straße: Bei der aktuellen Kältewelle sollte das jedem erspart bleiben
       
       Berlin taz | Minusgrade, Schneefall: Das klingt nicht nach einem geeigneten
       Zeitpunkt, um eine [1][von nur zwei Berliner „24/7-Notunterkünften“ für
       Obdachlose] zu schließen. Genau das geschieht jedoch an diesem
       Donnerstagmorgen. Bis 10 Uhr müssen die 88 Bewohner*innen die „SuN
       Schutz und Neustart für Menschen ohne Obdach“ in der Auguststraße in Mitte
       verlassen haben.
       
       Zwei Betroffene mit Koffern stürmen aufgebracht aus dem Gebäude. Eine Frau
       übersetzt, dass sie auf Polnisch die Stadtmission beschimpften. Ein
       weiterer Mann mit Koffer und Rucksack sagt der taz, er wolle zunächst zu
       einem Bekannten ziehen und „dann mal gucken“. Er glaubt, weil er nicht
       „registriert“ sei, könne er in keine andere Unterkunft ziehen. Er ist sehr
       frustriert.
       
       Wegen der „Unvereinbarkeit mit seiner baurechtlichen Widmung“ könne das
       Gebäude nicht länger als Unterkunft für obdach- und wohnungslose Menschen
       genutzt werden, heißt es vom Träger der Notunterkunft, der Berliner
       Stadtmission. Das Haus wurde vor Corona als Hotel genutzt und fungierte
       während der Pandemie als ganztägig geöffnete Unterkunft für obdach- und
       wohnungslose Menschen.
       
       Bisher wurde das Projekt aus EU-Mitteln finanziert, die waren jedoch bis
       November 2023 befristet. Nach langer Ungewissheit über die
       Weiterfinanzierung wurde das Geld dafür letzte Woche gesichert: 4,6
       Millionen Euro jährlich sind laut Senatssozialverwaltung im nächsten
       Doppelhaushalt für die 24/7-Unterkünfte vorgesehen.
       
       Nach der zweijährigen Laufzeit des Projekts sollten die Betroffen am 30.
       11. in eine Ersatzunterkunft nahe der Potsdamer Straße ziehen, berichtet
       Barbara Breuer, Sprecherin der Stadtmission. Der Vermieter habe jedoch
       einen Tag vor Vertragsunterzeichnung unerwartet abgesagt. „Der Umzugsplan
       stand, das Putzteam war beauftragt. Das war ein Schlag ins Gesicht“, so
       Breuer. Sie hätten jedoch eine „große Anzahl“ von Betroffenen in anderen
       Unterbringungen einquartieren können, erklärt sie.
       
       ## „Alles wie leergefegt“
       
       Einige wurden in einer ambulanten Wohnhilfeeinrichtung am Chamissoplatz in
       Kreuzberg, andere in einer therapeutischen Wohnstätte in Lichtenberg
       untergebracht. Ob die Betroffenen dort langfristig bleiben können, sei
       unsicher. Deshalb arbeite die Stadtmission weiter daran, eine adäquate
       Immobilie für die Fortführung des Projekts zu finden. Die Suche gestalte
       sich jedoch als schwierig. „Es ist alles leergefegt“, klagt Breuer.
       
       Für manche Betroffene der Auguststraße hat der Markt offenbar noch etwas
       hergegeben: Breuer berichtet, dass „einige“ in eigene Wohnungen ziehen oder
       ein WG-Zimmer finden konnten. Anderen Betroffenen habe man Unterstützung
       angeboten, sie hätten sich aber eigenständig um Unterbringung kümmern
       wollen. „Wenn sie zu Freund*innen oder zurück nach Polen ziehen wollen,
       kann ich sie nicht zwingen“, so Breuer.
       
       Für alle eine Unterkunft zu finden sei eine Kraftanstrengung gewesen. Die
       Stadtmission habe jedoch in den letzten zwei Jahren ein „belastbares
       Netzwerk“ aufgebaut, das sie dabei gut unterstützt habe. Auch die
       Zusammenarbeit mit den Bezirksämtern sei gut gelaufen. „Wir freuen uns,
       dass wir gute Lösungen für alle Beteiligten finden konnten“, sagt
       Stadtmissionsdirektor Christian Ceconi.
       
       Die Union für Obdachlosenrechte (UfO), eine Interessenvertretung
       wohnungsloser Berliner*innen, bezweifelt das. Schließlich gebe es nur eine
       andere 24/7-Notunterkunft. Auch dass Betroffene freiwillig zu
       Freund*innen zögen oder zurück ins Ausland gingen, zweifeln die
       AktivistInnen an. Deshalb stehen sie am Donnerstagmorgen vor dem Gebäude in
       der Auguststraße, um gegen das „unchristliche Verhalten der Stadtmission“
       zu protestieren.
       
       Sie kritisieren vor allem deren „Intransparenz“: Als die Betroffenen noch
       in die Alternativimmobilie ziehen sollten, sei unklar gewesen, nach
       welchen Kriterien ausgewählt würde, für wen dort Platz sei, bemängelt Bahar
       Sanli, die im Namen der UfO protestiert. Von den 88 Bewohner*innen der
       Auguststraße hätte im Ersatzobjekt nur etwa die Hälfte Platz gefunden. Dass
       es Härtefallkriterien für die Aufnahme gab, bezweifelt Sanli. Von einem
       Bewohner mit chronischer Erkrankung wisse sie, dass dieser bis vor einigen
       Tagen nicht informiert war, ob er in der Ersatzunterkunft unterkommen
       könnte. Von dem geplatzten Deal mit der Alternativimmobilie erfuhr die UfO
       laut Sanli erst am 28. November.
       
       Sie kritisiert, dass die Stadtmission „keine Haltung“ gezeigt habe: „Sie
       hätten bleiben müssen und sagen: ‚Das Gebäude gehört uns!‘ Sie hätten Druck
       auf die Politik machen können und eine Ausnahmeregelung erkämpfen, bis sie
       eine Alternative gefunden hätten.“ Schließlich schmeiße kein Vermieter die
       Stadtmission raus. „Es gibt Wege und Lösungen“, sagt Sanli. „Wenn man sich
       gemeinsam an einen Tisch setzt.“
       
       ## „Die Politik handelt nicht“
       
       Auch bei der Politik sieht sie Handlungsbedarf. „Die gibt nur
       Stellungnahmen ab, aber sie handelt nicht“, kritisiert Sanli. Die UfO
       fordert daher Stadtmission und Senat auf, ihrer Verantwortung gerecht zu
       werden und für sofortigen Ersatzwohnraum zu sorgen. Denn das Konzept hält
       sie für „richtig“ und „gut“.
       
       Von dem Konzept der 24/7-Projekte überzeugt ist auch eine von Wohnungsnot
       betroffene Frau, die vor der Auguststraße 82 gegen die Schließung mit
       demonstriert und nicht namentlich genannt werden möchte. Bei anderen
       Projekten fielen viele durch das Raster, weil sie kein Deutsch sprächen
       oder „chronische und psychische Erkrankungen“ hätten.
       
       Es fehle in „normalen“ Obdachlosenheimen an psychologischer Unterstützung
       und Barrierefreiheit, klagt sie. Bei der Wohnungsnothilfe der Bezirke müsse
       man sensible Daten angeben oder Papiere vorzeigen, die viele nicht hätten.
       Dass die Unterkunft in der Auguststraße jetzt geschlossen wird, findet sie:
       „eine Schweinerei“.
       
       30 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Obdachlosigkeit-in-Berlin/!5942128
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lilly Schröder
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Notunterkunft
 (DIR) Obdachlosigkeit
 (DIR) Berliner Stadtmission
 (DIR) Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
 (DIR) Berliner Stadtmission
 (DIR) Obdachlosigkeit
 (DIR) Wohnungslosigkeit
 (DIR) Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
 (DIR) Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Notunterkunft für wohnungslose Frauen: Eva kann bleiben
       
       Der Unterkunft „Evas Obdach“ für obdachlose Frauen hatte die Schließung
       gedroht. Nun hat das Land Berlin Wohnungen gekauft, um das Projekt zu
       retten.
       
 (DIR) 30 Jahre Kältebus: Fahrt in die Wärme
       
       Seit 30 Jahren bietet der Kältebus obdachlosen Menschen Schutz vor Kälte.
       Nun bangt das Projekt wegen drohender Kürzungen um seine Zukunft.
       
 (DIR) Obdachlosigkeit im Winter: Zurückgeschickt in den Schnee
       
       Die Obdachlosenunterkünfte sind voll, viele Menschen werden abgewiesen.
       Immobilien für Notunterkünfte sind immer schwerer zu finden.
       
 (DIR) Wohnungslosigkeit in Berlin: Ein Haus für die Würde der Trinker
       
       In Kreuzberg wird ein besonderes Wohnheim für Obdachlose 25 Jahre alt: in
       der Nostitzstraße wird Alkoholsucht akzeptiert. Das klappt erstaunlich gut.
       
 (DIR) Obdachlosigkeit in Berlin: Die Zeit für Solidarität ist vorbei
       
       Nach der abgesagten Obdachlosenzählung sollte ein Projekt die Vorstellungen
       von Wohnungslosen ermitteln. Doch das dafür eingeplante Geld wurde
       gestrichen.
       
 (DIR) Räumung einer Containersiedlung: Eine Armensiedlung darf nicht sein
       
       In Treptow will der Bezirk wegen „menschenunwürdigen“ Verhältnissen eine
       Containersiedlung räumen. Manche Bewohner fürchten für sich eine
       Verschlechterung.