# taz.de -- Verstörender Bellizismus: Fankurve des Krieges
       
       > Ja, Krieg ist manchmal gerechtfertigt. Aber der Frieden sollte nicht
       > verächtlich gemacht werden, nur weil er faule Kompromisse verlangt.
       
 (IMG) Bild: Kunst aus Raketenteilen: Strassenszene in Lviv, Ukraine, im März 2023
       
       Die Welt steht an allen Ecken in Flammen, und der Krieg kommt gefühlt und
       real näher. Ich muss gestehen – und bin nicht der Erste, der das bemerkt –,
       wie bitter ich die Gefühlskälte vieler Zeitgenossen empfinde. [1][1.400
       bestialisch Ermordete], in einem Blutrausch gemeuchelte Frauen, Kinder,
       Männer, Alte, Partyteens; ein Massaker, das in seiner Perfidie und Mordlust
       seinesgleichen sucht, und so viele hohle, schale Worte.
       
       Ob das Gemetzel sich jeder [2][„Kontextualisierung“] entzieht oder nicht,
       ist erst einmal eine nebensächliche Angelegenheit. Man kann ja über
       Kontexte – welchen immer – grübeln, aber bitte doch nicht mit dieser
       Gefühlskälte. Durchaus fragwürdig sind gewiss jene, die rausbrüllten, es
       verbiete sich jedes „aber“, denn wenn man über ein Geschehnis nachdenken
       will, wird man niemals ohne „aber“ auskommen. Deswegen hat Navid Kermani
       richtig formuliert, nicht das „aber“ sei das Problem, sondern das, was vor
       dem Wort kommt. Nicht das „aber“ ist das Problem, sondern die Kälte, die
       dem vorangeht.
       
       Kaum weniger verstört mich die Kriegsgeilheit so vieler, die
       herausposaunen, dass die Tat der Hamas und der Menschenhass der
       islamistischen Todessekte jede Form des militärischen Gegenschlags
       rechtfertige. Da entlarven sich plötzlich Leute um mich, die ungeschminkt
       bekunden, beim Selbstverteidigungsrecht Israels solle man jetzt bitte
       keinen Verzärteltheiten das Wort reden. Beim Erdbodengleichmachen Dresdens
       habe man doch auch keine Gedanken auf die Zivilbevölkerung verschwendet.
       
       Wo das Gerechte gegen das Böse kämpft, da wollen wir [3][doch keine
       Erbsenzähler] sein, und irgendwie gebührt es ja wohl den meisten, die es
       erwischt, genau kann man das nicht wissen, so eine Bombe hat ja keine
       Augen. Plötzlich ertappt man sich beim Gedanken, so ein Massaker könnten
       auch die eigenen Freunde anrichten, wenn man ihnen nur ausreichend viele
       Argumente liefert, dass es schon die Richtigen treffe. Ich stelle mir ein
       paar liebe Kumpel als Killer vor, und es läuft mir kalt den Rücken hinab.
       
       Die Reste meiner menschenfreundlichen Gutgläubigkeit verhelfen mir zu der
       Vermutung, dass sich die meisten am Leid der Anderen nicht wirklich
       erfreuen, sondern dass wir offenbar alle relativ gut darin sind,
       insbesondere das Leid der als „die Anderen“ markierten als etwas Abstraktes
       zu behandeln, sodass wir es ignorieren können.
       
       Es gibt eine Kriegszugeneigtheit, die sich seit Jahren verbreitet. Durchaus
       begründbar übrigens: Das, was man in den neunziger Jahren
       „Menschenrechtsbellizismus“ nannte, ging etwa davon aus, dass Kriege das
       kleinere Übel sind, jedenfalls relativ zu Autokraten, die ihre eigene
       Bevölkerung massakrieren. Zugleich wurden Kriege als „führbar“ empfunden.
       Und bald als Lösung für jedes Problem.
       
       Es ist kein Zufall, dass diese Jahre mit dem Moment zusammenfielen, als uns
       das Kriegsgeschehen in Form aseptischer Luftbilder präsentiert wurde, wo
       hübsche Bömbchen auf kleine Männchen abgeworfen wurden und alles so aussah
       wie im Computerspiel. Und sollte es traurigerweise unbeteiligte Pechvögel
       treffen, hatte man auch niedliche Begriffe parat: „Kollateralschäden“, was
       mehr nach Wasserrohrbruch als nach Massengrab klang.
       
       ## Demokratie mit Marschflugkörpern?
       
       Ich will das nicht denunzieren; die Interventionen in Bosnien (die das
       Dayton-Abkommen zur Folge hatten) und die im Kosovo waren sicherlich besser
       als die Nicht-Interventionen in Ruanda. Ich neige nur dazu, mir grübelnd
       die Frage zu stellen: Was handeln wir uns ein, was kriegen wir zum
       Richtigen dazu, was wir gar nicht haben wollten?
       
       Kriege gegen Diktatoren wie Putin, gegen islamische und faschistische
       Todessekten, sie sind genauso richtige Kriege wie die Kriege der Alliierten
       gegen die Nazis oder von Befreiungsbewegungen gegen Soldateskas. Aber ein
       wenig geht verloren, dass sich das Gute, Demokratische, das
       Menschenfreundliche mit Kanonen und Marschflugkörpern meist schlecht
       verbreiten lässt und auf den Gräbern derer, die ihre Befreiung leider nicht
       überlebten, nicht immer Pflänzlein künftiger Zivilisiertheit spießen.
       
       Wer Großziele für die ganze Menschheit verfolgt, neigt häufig dazu, dem
       einzelnen Menschen keine große Bedeutung zuzumessen. Auch Kriege für eine
       gerechte Sache verheeren Länder, zerstören Leben. „Frieden ist nicht alles,
       aber alles ist ohne Frieden nichts“, sagte Willy Brandt.
       
       Wir sitzen (noch) auf der Zuschauertribüne (und manchmal in der Fankurve);
       Schlachtenbummler im Krieg gegen das Böse, und manchmal kommt mir der
       Verdacht, dass hier auch eine Art des geliehenen Heroismus hineinspielt.
       Man will in der postheroischen Gesellschaft ein paar Krümel Heldentum,
       stellt Unbedingtheit und Entschiedenheit aus. Solange das alles fern ist.
       Man wette besser nicht darauf, dass das so bleibt.
       
       ## Den Krieg rehabilitiert
       
       Der Firnis der Zivilisation ist dünn. Geraten Gesellschaften auf eine
       abschüssige Bahn, dann geht es schneller bergab, als man geglaubt hat.
       Sigmund Freud und Albert Einstein haben diese unerfreuliche Tatsache in
       ihrem legendären Briefwechsel „Warum Krieg?“ mit großer Ehrfurcht umkreist:
       dass moderne Kriege durch moderne Menschen „mindestens ebenso grausam,
       erbittert, schonungslos“ wie frühere geführt würden, angetrieben von „Hass
       und Abscheu“. Gelinge es in einer Massenpsychose, die eigene Sache als
       gerecht, die Gegenseite aber als irgendwie inhuman zu markieren, dann
       breche sich das „Hassen und Vernichten“ schnell Bahn.
       
       Ich habe Sorgen. Wir haben Schritt für Schritt den Krieg rehabilitiert und
       den Frieden verächtlich zu machen gelernt, weil Letzterer so oft faule
       Kompromisse verlangt und die Grenze zwischen kluger Diplomatie und
       Appeasement auf keiner Landkarte exakt eingezeichnet ist. Ich habe viele
       kluge Meinungen gehört in den vergangenen Wochen und auch einige Phrasen
       und viele Slogans. Aber vielleicht, denke ich mir, hören wir eine zu
       selten: „Krieg dem Krieg.“
       
       16 Nov 2023
       
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