# taz.de -- Glyphosat-Debatte in Frankreich: Entschädigung für Missbildungen
       
       > Ein Entschädigungsfonds führt Missbildungen eines 17-jährigen Franzosen
       > auf das Pestizid zurück. Trägt Paris trotzdem eine weitere EU-Zulassung
       > mit?
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die Zulassung von Glyphosat in der EU in Angers, Frankreich, am 10.11.23
       
       Paris taz | Der heute fast 17-jährige Théo Grataloup ist mit Missbildungen
       der Luft- und der Speiseröhre sowie des Rachens auf die Welt gekommen.
       Diese sind nach Ansicht der Expertenkommission des französischen Fonds zur
       Entschädigung von Pestizidopfern auf den [1][Einsatz von Glyphosat als
       Unkrautvernichtungsmittel] zurückzuführen. Erstmals wurde damit in
       Frankreich ein kausaler Zusammenhang zwischen Glyphosat und schweren
       gesundheitlichen Folgen sowie ein Opfer offiziell anerkannt.
       
       Der Fall beeinflusst die [2][Diskussion der EU über eine neue Zulassung
       dieses umstrittenen Herbizids] – und möglicherweise das Verhalten
       Frankreichs bei der für Donnerstag geplanten Abstimmung der Mitgliedstaaten
       über den Wirkstoff.
       
       Grataloup jedenfalls hofft, dass sein persönlicher Erfolg im Kampf um
       Entschädigung Schule macht. Dem Fernsehsender BFM in Lyon sagte er: „Es
       gibt enorm viele Personen in derselben Lage wie ich. Ich hoffe, dass dies
       (die Anerkennung als Glyphosat-Opfer – die Red.) ihnen helfen kann.“ Gesund
       macht ihn das nicht. Trotz insgesamt 54 chirurgischen Eingriffen kann der
       junge Mann nur dank eines Luftröhrenschnitts und einer Kanüle in der
       Luftröhre atmen und hat Mühe beim Reden. Ihm sind als Entschädigung 1.000
       Euro pro Monat zugesprochen worden. Diese werden ihm von der
       Sozialversicherung der Landwirte, der Mutualité sociale agricole,
       ausbezahlt.
       
       Vor allem aber möchte Théo, dass niemals mehr ein anderes Kind wegen
       solcher im Garten oder in der Landwirtschaft eingesetzten Herbizide mit
       Missbildungen geboren oder später krank wird. Er hat deswegen dem
       französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron geschrieben und ihn
       aufgefordert, in der EU gegen jegliche Verlängerung der Glyphosat-Zulassung
       zu stimmen. Zuletzt hatte sich Frankreich der Stimme enthalten, dann aber
       unter dem Druck der Landwirtschaftslobby in Erwägung gezogen, eine
       Erlaubnis für 7 statt wie von der EU-Kommission geplant 10 Jahre
       mitzutragen.
       
       ## Klage gegen Monsanto
       
       Erleichtert ist dennoch auch Théos Mutter Sabine Grataloup. Sie hatte vor
       17 Jahren neben ihrem Reitstall ein Grundstück mit dem Produkt Glypher
       besprüht, einem Herbizid, das heute vom Bayer-Monsanto-Konzern produziert
       wird. Sie wusste nicht, dass sie zu diesem Zeitpunkt schwanger war, und
       führte später die bei der Geburt konstatierten Missbildungen „in utero“
       ihres Sohns schnell auf diese Verwendung des Unkrautvernichtungsmittels
       zurück.
       
       2017 hat sie gegen Monsanto geklagt, als sie erfuhr, dass [3][in den USA
       mehrere Personen und Familien wegen Krebsleiden und wegen pränataler
       Missbildungen, für die sie Glyphosat verantwortlich machen, Klage
       eingereicht hatten]. Entscheidend war für sie auch die Publikation der
       „Monsanto-Papers“ im selben Jahr im Kontext der gerichtlichen Verfahren in
       den USA, erklärt ihr Anwalt William Bourdon in Le Monde. Darin sei nämlich
       enthüllt geworden, dass man sich bei Monsanto (heute Teil des
       Bayer-Konzerns) schon lange vor dem Fall Théo Sorgen wegen möglicher
       Probleme durch Glyphosatkontakt während Schwangerschaften gemacht hatte.
       
       Bayer wies die Vorwürfe zurück. „Der Wirkstoff kann sicher verwendet werden
       und ist nicht krebserregend. Das bestätigen sämtliche Regulierungsbehörden,
       ganz aktuell auch die der EU“, schrieb ein Konzernsprecher der taz. „Was
       die Entschädigung der Familie durch den Fonds in Frankreich betrifft: Auch
       da wird kein Kausalzusammenhang bestätigt, Glyphosat noch nicht einmal
       erwähnt. Wir werden die Sicherheit von Glyphosat auch vor Gericht
       verteidigen.“
       
       14 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Pestizide-in-der-Landwirtschaft/!5962471
 (DIR) [2] /EU-Abstimmung-ueber-das-Pestizid-Glyphosat/!5963397
 (DIR) [3] /Glyphosat-Streit-in-den-USA/!5862818
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Glyphosat
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Schwerpunkt Glyphosat
 (DIR) Schwerpunkt Glyphosat
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Algerisch-französisches Abkommen: Migrationssonderstatus bleibt
       
       Menschen aus Algerien können seit 1968 vereinfacht nach Frankreich
       einwandern. Die Konservativen sind nun mit einem Änderungsantrag
       gescheitert.
       
 (DIR) Senat für härtere Immigrationsgesetze: Frankreichs rechte Scharfmacher
       
       Innenminister Darmanin wollte die Immigrationsgesetze reformieren. Die
       rechte Opposition setzt auf noch mehr Härte – und drückt das im Senat
       durch.
       
 (DIR) Haltung der SPD zum Pestizid Glyphosat: Als Minister kneift Karl Lauterbach
       
       Als SPD-Abgeordneter forderte Lauterbach, das möglicherweise krebserregende
       Pestizid Glyphosat zu verbieten. Nun, als Gesundheitsminister, schweigt er.
       
 (DIR) EU-Abstimmung über das Pestizid Glyphosat: Gebrochenes Versprechen der Ampel
       
       Deutschland hat in der EU nicht gegen Glyphosat gestimmt. Die Grünen haben
       sich wieder mal von der FDP unterbuttern lassen.
       
 (DIR) Pestizide in der Landwirtschaft: Giftcocktail im Getreide
       
       Ein Drittel aller europäischen Getreideprodukte sind mit Pestiziden
       belastet, beklagt Foodwatch in einer Studie. Nun müssten die Supermärkte
       handeln.