# taz.de -- Neue Landkarte für China: China zieht seine Grenzen neu
       
       > In einer neuen Landkarte reklamiert die Volksrepublik russisches
       > Territorium. Doch Putin muss die Demütigung stillschweigend akzeptieren.
       
 (IMG) Bild: Chinesische Landkarte mit neuer Gebietseinteilung im südchinesischen Meer
       
       Peking taz | Wahre Freunde halten auch in schlechten Zeiten zusammen, heißt
       es. Peking jedoch nutzt die derzeitige Lage Moskaus eiskalt aus: In einer
       neuen Standardkarte markiert die Volksrepublik ihren Anspruch auf über 100
       Quadratkilometer russischen Territoriums. Die Insel Bolschoi Ussurijski
       (auch Heixiazi Dao oder Kragenbär-Insel, Anm. d. Red.) am nordöstlichen
       Zipfel des Landes erscheint [1][in dem Dokument plötzlich als ganz zu China
       gehörend].
       
       Bereits Ende August hat das Ministerium für natürliche Ressourcen eine
       Neuversion der „nationalen Karte Chinas“ herausgegeben. Dabei handelt sich
       um ein hochoffizielles Dokument, das unter anderem von den Universitäten
       und Schulen sowie den Medien des Landes verwendet wird. Vor allem aber
       entlarvt die Karte so unverhohlen wie selten zuvor Chinas expansive
       Territorialansprüche.
       
       Einige davon sind nicht neu: Dass die demokratisch regierte Insel
       [2][Taiwan als chinesisch ausgewiesen] würde, war zu erwarten. Auch Pekings
       völkerrechtswidrige Besitzansprüche auf weite Teile des Südchinesischen
       Meers überraschen nicht weiter. Doch die Behörden gingen diesmal noch einen
       Schritt weiter: So hat das Ministerium in der neuen Karte auch die 3.500
       Kilometer lange Grenze zu Indien deutlich verschoben.
       
       Der Bundesstaat Arunachal Pradesh wurde kurzerhand in Süd-Tibet („Zangnan“)
       umbenannt, auch die Bergregion Aksai Chin westlich von Tibet ist nun
       chinesisch eingefärbt. „Wir weisen die Ansprüche zurück, da sie keinerlei
       Grundlage haben“, heißt es erbost vom indischen Außenministerium.
       
       ## Sind neue Grenzstreitigkeiten zu erwarten?
       
       Die chinesischen Ansprüche könnten dazu führen, dass der Grenzkonflikt
       zwischen den zwei Atommächten wieder eskaliert: [3][Erst 2020 kam es im
       Himalaya] zwischen indischen und chinesischen Soldaten zu Gefechten mit
       mindestens zwei Dutzend Toten.
       
       Der russisch-chinesische Grenzkonflikt hätte vor Jahrzehnten weitaus
       schlimmer enden können. Im Westen ist der „Zwischenfall am Ussuri“ von 1969
       nur wenig bekannt. Doch wie Historiker mittlerweile hinreichend
       dokumentiert haben, schrammten China und die Sowjetunion damals nur
       haarscharf an einem Nuklearkonflikt vorbei.
       
       Bei der [4][umstrittenen Insel im Amur-Fluss] handelt es sich um ein
       chinesisches Gebiet, welches erst 1929 im Zuge des sowjetisch-chinesischen
       Krieges von Moskaus Truppen erobert wurde. 2004 verpflichtete sich Russland
       schließlich, die westliche Hälfte an China zurückzugeben. Peking hingegen
       gab damals seine Besitzansprüche an den östlichen Teil der Insel auf.
       
       ## Moskau ist stark von China abhängig geworden
       
       Nun jedoch scheint die Parteiführung in Peking die Gunst der Stunde nutzen
       zu wollen. Und die Rechnung geht auf: Der Kreml hat die Demütigung aus
       Peking bislang still hingenommen, ja hinnehmen müssen.
       
       [5][Denn Russland hat sich seit dem Ukraine-Krieg in eine tiefe
       Abhängigkeit gegenüber Peking begeben]. Wirtschaftlich füllen chinesische
       Unternehmen jenes Vakuum, welches der westliche Exodus hinterlassen hat:
       Chinesische Autos fahren auf Moskaus Straßen, auch die
       Verbraucherelektronik ist zunehmend „Made in China“. Gleichzeitig erhält
       die Volksrepublik Rekordmengen an russischem Öl zu Rabattpreisen. Keine
       Frage: Machthaber Xi Jinping lässt sich seine nach außen zelebrierte
       „grenzenlose Freundschaft“ zu Moskau fürstlich bezahlen.
       
       Als Gegenleistung bietet das Reich der Mitte eine Art Lebensversicherung
       an: Xi hat zwar durchaus Interesse, seinen nördlichen Nachbarn als
       politisch loyalen Vasallenstaat an der kurzen Leine zu halten. Doch er wird
       ebenso dafür sorgen, dass das System Putin weiter stabil bleibt – ein
       Kollaps der amtierenden Regierung wäre für China das denkbar schlimmste
       Szenario, schließlich teilt man eine über 4.000 Kilometer lange
       Landesgrenze.
       
       ## Keine echte Freundschaft zwischen Peking und Moskau
       
       Wer sich in staatsnahen russischen Kreisen in Peking umhört, vernimmt
       jedoch längst offenen Unmut. Echte Freundschaft zu China könne es gar nicht
       geben, sagt etwa eine Quelle. Das Land kenne nur eigene Machtinteressen.
       Bei den Territorialansprüchen der neuen Landkarte würde es sich keineswegs
       um einen „versehentlichen“ Fehler handeln, sondern um machtpolitisches
       Kalkül. Doch Putin müsse dies in der derzeitigen Situation einfach
       hinunterschlucken.
       
       Es ist jene kühle [6][Machtpolitik Pekings], die auch dafür sorgt, dass die
       chinesische Regierung in den meisten Nachbarstaaten als Bedrohung
       wahrgenommen wird. Die japanische Regierung hält mit ihrer Kritik längst
       nicht mehr hinterm Berg, auch aus den südostasiatischen Staaten gibt es
       immer wieder erboste Stellungnahmen. Und selbst in der Mongolei, die zu
       großen Teilen von der chinesischen Wirtschaft abhängig ist, sind die
       Machthaber in Peking geradezu verhasst.
       
       ## Territorialstreit – „eine westliche Verschwörung“
       
       In China selbst bekommt die Bevölkerung dank der flächendeckenden Zensur
       nur wenig von der Fremdwahrnehmung mit. Auch der Territorialstreit mit
       Moskau wird als westliche Verschwörung abgetan: „Der Grund für den
       westlichen Hype um die chinesisch-russische Grenzfrage besteht darin, China
       und Russland dazu zu bringen, sich gegeneinander aufzugreifen. Es ist ein
       Trick, der in der Vergangenheit häufig angewendet wurde“, lautet etwa ein
       Posting auf der Online-Plattform Weibo.
       
       Dort kursiert auch ein aktuelles Video, das chinesische Austauschstudenten
       in der Schweiz zeigt. Als diese auf der China-Karte ihrer Universität die
       demokratisch regierte Insel Taiwan nicht eingezeichnet fanden, schritten
       sie kurzerhand mit rotem Filzstift zur patriotischen Tat. Das heimische
       Online-Publikum goutierte es mit Hunderttausenden Likes.
       
       7 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.channelnewsasia.com/asia/china-new-map-territory-g20-asean-summit-india-malaysia-russia-indonesia-protest-3737366
 (DIR) [2] /Konflikt-um-Taiwan/!5872795
 (DIR) [3] /Grenze-zwischen-Indien-und-China/!5696129
 (DIR) [4] /Annaeherung-zwischen-China-und-Russland/!5178649
 (DIR) [5] /Wirtschaftssanktionen-gegen-Russland/!5951104
 (DIR) [6] /Politikwissenschaftler-ueber-G20-Gipfel/!5894779
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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