# taz.de -- Zulassung für umstrittenes Pestizid: Brüssel will Glyphosat bis 2033
       
       > Das meistverkaufte Pestizid sei sicher genug, sagt die EU-Kommission.
       > Gegen wichtige Risiken soll jeder Mitgliedstaat für sich vorgehen.
       
 (IMG) Bild: Ist das krebserregend? Unkrautvernichtungsmittel, das Glyphosat enthält
       
       Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den umstrittenen Pestizidwirkstoff
       [1][Glyphosat] weitere 10 Jahre zuzulassen. Die Europäische Behörde für
       Lebensmittelsicherheit (Efsa) habe bestätigt, dass „Glyphosat nicht die
       Kriterien erfüllt, um als krebserregend, erbgutverändernd oder
       fortpflanzungsgefährdend eingestuft zu werden“, heißt es in der
       [2][Beschlussvorlage] für die Mitgliedstaaten. Indirekte Schäden für die
       Artenvielfalt könnten aber nichtausgeschlossen werden. Falls nötig, sollten
       die EU-Länder Vorsichtsmaßnahmen gegen diese und andere Risiken
       vorschreiben, wenn sie die fertigen Pestizidprodukte zulassen, die den
       Wirkstoff Glyphosat enthalten, so die Kommission. Da mittlerweile
       intensiver als bisher zu dem Unkrautvernichter geforscht werde und neue
       Erkenntnisse möglich seien, solle die Zulassung nicht für die sonst
       üblichen 15 Jahre erteilt werden.
       
       Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die
       Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO
       bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat
       gefütterte Ratten und Mäuse hatten Tumoren entwickelt. In den USA
       verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, die deutsche
       Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre
       Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. Bayer beruft sich dagegen auf
       verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das
       Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und
       damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern
       als Gefahr für die Artenvielfalt.
       
       Doch wie diese indirekten Auswirkungen auf die Biodiversität zu bewerten
       sind, dafür gebe es „keine vereinbarten Methoden“, erklärt die
       EU-Kommission in ihrem Entwurf. Zudem habe die Efsa nicht entscheiden
       können, wie hoch das Risiko für die Verbraucher durch Glyphosatrückstände
       in Pflanzen ist, wenn diese von Feldern kommen, auf denen das Pestizid
       schon in der vorigen Anbausaison gespritzt wurde. Es sei auch ein „hohes
       Risiko für kleine pflanzenfressende Säugetiere“ festgestellt worden, so die
       Kommission.
       
       Die Behörde fordert die EU-Länder auf, diesen und anderen Problemen bei der
       Zulassung von Glyphosatprodukten „besondere Aufmerksamkeit“ zu schenken.
       Auch der Schutz des Grundwassers und von „Nicht-Ziel-Pflanzen“ solle
       berücksichtigt werden. Ähnliche allgemeine Empfehlungen standen auch schon
       in der [3][aktuellen Glyphosatzulassung], die am 15. Dezember ausläuft.
       Neue konkrete Restriktionen enthält der Entwurf nur an [4][zwei Stellen]:
       Zum einen verbietet er die „Sikkation“ mit Hilfe von Glyphosat, bei der die
       angebauten Pflanzen getötet werden, um die Früchte leichter ernten zu
       können. Dabei ist das Risiko von Rückständen im Erntegut besonders hoch.
       Deutschland und andere EU-Staaten haben die Sikkation deshalb [5][bereits
       stark eingeschränkt]. Zum anderen will die Kommission Düsen vorschreiben,
       die Glyphosat zielgerichteter ausbringen, so dass weniger des Pestizids in
       die Umwelt abdriftet. Außerdem sollten mindestens 5 bis 10 Meter breite
       Ränder der Felder nicht gespritzt werden.
       
       Allerdings sollen die Mitgliedsländer auf diese Regeln auch verzichten
       können, wenn es keine „inakzeptablen Risiken“ gibt.
       
       Dass die EU-Kommission es weitgehend dem jeweiligen Mitgliedstaat
       überlassen will, diese Probleme mit dem Pestizid zu lösen, begründete ein
       hochrangiger EU-Beamter am Mittwoch mit den je nach Land unterschiedlichen
       Bedingungen. Diese seien etwa in den nordischen Staaten ganz anders als im
       Mittelmeerraum.
       
       Nur „im Extremfall“ dürften Mitgliedsländer „theoretisch“ alle
       Glyphosatprodukte auf ihrem Territorium verbieten, so der Beamte weiter.
       „Aber sie müssen Gründe im Rahmen der Bedingungen und Restriktionen haben,
       die wir in der Zulassungsverordnung vorschlagen.“
       
       Die EU-Staaten sollen am Freitag über den Entwurf diskutieren und am 13.
       Oktober das erste Mal abstimmen. Um den Vorschlag abzulehnen, bräuchte es
       eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die für
       wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Sollten auch in einem
       Berufungsausschuss nicht so viele Staaten gegen den Entwurf stimmen, kann
       die Kommission ihn im Alleingang in Kraft setzen. Bei einer ersten Abfrage
       im Juli habe sich nur ein Mitgliedsland gegen eine neue Glyphosatzulassung
       ausgesprochen, verriet der Beamte. Auch auf Nachfrage wurde er nicht
       konkreter.
       
       ## Wie wird die Bundesregierung abstimmen?
       
       Mit Spannung wird jetzt erwartet, wie sich die Bundesregierung
       positioniert. Zwar haben die Ampelparteien in ihrem [6][Koalitionsvertrag]
       vereinbart: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“
       Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte am Mittwoch:
       „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität
       schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen“. Eine vielfältige und
       intakte Pflanzen- und Tierwelt sei die Voraussetzung für sichere Ernten. Er
       werde sich mit Partnern in der EU dazu nun austauschen. Doch die [7][FDP
       hat sich für Glyphosat ausgesprochen]. Wenn sich die Ampelkoalition nicht
       einigen kann, muss sich Deutschland bei der Abstimmung in Brüssel
       enthalten. Das könnte sich am Ende wie eine Zustimmung auswirken.
       
       Bayer begrüßte den „wissenschaftlich fundierten“ Vorschlag der
       EU-Kommission. Die Umweltschutzorganisation Pestizid Aktions-Netzwerk
       dagegen kritisierte, die Risikoprüfung sei mangelhaft gewesen. Deshalb
       dürfe es keine neue Zulassung geben.
       
       20 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
 (DIR) [2] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/core/api/integration/ers/352519/092073/1/attachment
 (DIR) [3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32017R2324&qid=1695206193359
 (DIR) [4] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/core/api/integration/ers/352520/092073/1/attachment
 (DIR) [5] https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Fachmeldungen/04_pflanzenschutzmittel/2014/2014_05_21_Fa_Neue_Anwendung_Glyphosat.html
 (DIR) [6] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
 (DIR) [7] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/glyphosat-eu-ampelkoalition-100.html
       
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 (DIR) Jost Maurin
       
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