# taz.de -- Erdbeben in Marokko: Schleppende Hilfe – Kritik an König
       
       > Nach dem Beben steigen die Totenzahlen. Weil Mohammed VI. abwesend war,
       > verzögerte sich offenbar die Hilfe.
       
 (IMG) Bild: Die geborgenen Toten werden bereits begraben, hier am Sonntag in Moulay Brahim
       
       Madrid/Tunis taz | Die Folgen des [1][Erdbebens, das in der Nacht auf
       Samstag den Süden Marokkos erschütterte], sind weiterhin nicht abzusehen.
       Je weiter die Rettungskräfte vorankommen, desto mehr Tote und Verletzte
       bergen sie. Am stärksten betroffen ist die Provinz Al-Haouz südwestlich der
       Touristenmetropole Marrakesch, dort wurde mehr als die Hälfte der Toten
       gefunden.
       
       Am Sonntag berichtete das Innenministerium in Rabat von insgesamt 2.122
       Toten und 2.421 Verletzten, mehr als 1.400 davon schwer. Unterdessen lief
       die Hilfe aus dem Ausland an – allerdings nur schleppend.
       
       In Marrakesch herrsche eine Mischung aus Verzweiflung und Solidarität,
       schildert die Journalistin Aicha Mohamed Makhlouf gegenüber der taz. „Das
       große Beben hat die Strukturen vieler uralter Häuser so beschädigt, dass
       auch die leichten Nachbeben sie zum Einsturz bringen können.“ Viele
       Menschen in der Stadt würden nun auf Parkplätzen oder in Parks übernachten.
       
       Am Sonntagmorgen erschütterte [2][ein Nachbeben] die Katastrophenregion. Es
       habe gegen 9 Uhr Ortszeit ein weiteres, wesentlich schwächeres Beben
       gegeben, sagte Nasser Jabour, Leiter einer Abteilung des Nationalen
       Instituts für Geophysik, der marokkanischen Nachrichtenseite Hespress.
       
       Bei dem Hauptbeben in der Nacht auf Samstag waren in mehreren Provinzen und
       Präfekturen Gebäude eingestürzt. In Marrakesch kollabierte das Minarett
       einer historischen Moschee, Gebäude in der Altstadt sowie Teile der
       Stadtmauer wurden zerstört.
       
       Etliche weitere Gegenden im Atlasgebirge und der angrenzenden Wüste bis hin
       zur Küstenstadt Agadir sind von dem Erdstoß mit der Stärke 6,8 auf der
       Richterskala betroffen, der Berichten zufolge der schwerste seit 100 Jahren
       war. Mehr oder weniger stark betroffen ist rund ein Fünftel des Landes, ein
       Gebiet so groß wie Österreich.
       
       Häuser aus Adobe 
       
       Je weiter die Rettungskräfte zum Epizentrum unweit von Ighil, 72 Kilometer
       südwestlich von Marrakesch, vordringen, umso schlimmer sind die Bilder.
       Ganze Dörfer bestehen nur noch aus Trümmern. Die Häuser in den Dörfern und
       Altstädten sind meist aus Adobe gebaut, an der Sonne getrockneten
       Lehmziegeln. Die Beerdigungen – nach islamischem Brauch müssen diese
       spätestens 24 Stunden nach dem Tod stattfinden – reißen nicht ab.
       
       Es dauerte fast einen ganzen Tag, bis endlich ein Krisenstab auf höchster
       Ebene einberufen wurde. Marokkos König Mohammed VI. hatte sich wie so oft
       in Frankreich aufgehalten – ob in einer seiner dortigen Residenzen zum
       Urlaub oder zur ärztlichen Behandlung, war am Sonntag noch unbekannt. Im
       Laufe des Samstags kehrte der Monarch zurück.
       
       Die spanische Zeitung El País berichtete, dass die ersten Ärzte, die in
       Marrakesch Hilfe leisteten, fast alles Ausländer im Urlaub waren. Helfer
       des Roten Halbmonds trafen auf dem bekannten Platz Dschemaa el-Fna in
       Marrakesch, auf dem die Bewohner der Medina (Altstadt) Zuflucht suchten,
       erst mehr als drei Stunden nach dem Beben ein. Unzählige Freiwillige aus
       größeren Städten brachten auf eigene Faust Hilfsgüter in die abgelegenen
       Täler des Atlasgebirges, lange bevor staatliche Kräfte eintrafen.
       
       Die Beamten des Krisenstabs, die bei der von Mohammed VI. 18 Stunden nach
       dem Beben einberufenen Dringlichkeitssitzung im Königspalast anwesend
       waren, übermittelten dem Monarchen „die jüngsten Ereignisse, insbesondere
       in einigen Städten, die nachts nicht zugänglich waren und in denen die
       Aktualisierung der Lage und das Eingreifen der Rettungsdienste erst bei
       Morgengrauen stattfinden konnte“. Dies erklärte das Königshaus – wie um die
       Verzögerung des königlichen Auftritts zu entschuldigen.
       
       Mohammed VI. rief eine dreitägige Staatstrauer aus und gab der Armee den
       königlichen Befehl auszurücken. Da hatten Armee, Feuerwehren und
       Zivilschutz allerdings schon längst die Rettungsarbeiten aufgenommen.
       
       THW schickt Helfer vorerst nach Hause 
       
       Die Abwesenheit des Königs verzögerte wohl auch das Gesuch nach Hilfe im
       Ausland. Die Zeit dränge, sagte Arnaud Fraisse, Gründer der Organisation
       Retter ohne Grenzen. Ein Team der Organisation wartete in Paris auf grünes
       Licht aus Rabat. „Unter den Trümmern sterben Menschen und wir können nichts
       tun, um sie zu retten.“
       
       In sozialen Medien wurden Klagen laut, dass die Regierung keine Hilfe aus
       dem Ausland annehme. Dass der König erst 18 Stunden nach dem Beben aus
       Frankreich zurückkam und die Regierung bisher keine Erklärung abgegeben
       hat, werde bei einigen der im Freien übernachtenden Familien diskutiert,
       berichtet auch die Journalistin Mohamed Makhlouf. „Doch natürlich ist jetzt
       nicht die Zeit für Aufarbeitung“, sagt sie, „wir stehen alle unter Schock
       und hoffen auf die Rettung der Verschütteten.“
       
       Marokko bat erst am Sonntagmorgen beim Nachbarn Spanien offiziell um Hilfe.
       Spanien entsandte noch am Sonntag ein Flugzeug mit 56 Rettungshelfern und
       vier Spürhunden nach Marokko. Die Spezialisten gehören zur militärischen
       Notfalleinheit UME, die bereits nach dem Erdbeben in der Türkei im Februar
       im Einsatz war. Der französischen Regierung lag am Sonntagmorgen noch kein
       Gesuch vor, obwohl sie, wie viele andere Länder auch, Unterstützung
       angeboten hatte.
       
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte auf X, ehemals Twitter,
       das Technische Hilfswerk (THW) bereite sich auf einen Einsatz im
       Erdbebengebiet vor. Am Sonntagnachmittag teilte das THW allerdings mit, es
       würde seine nahe dem Flughafen Köln/Bonn bereits versammelten Helfer
       vorerst wieder nach Hause schicken. Da bisher kein Hilfeersuchen von
       Marokko eingegangen sei, würden die THW-Kräfte an ihre Standorte
       zurückkehren.
       
       Zwischenzeitlich habe sich das Zeitfenster, in dem die Wahrscheinlichkeit
       groß sei, Menschen lebend zu retten, fast geschlossen. Seit Samstagabend
       hatten Einsatzkräfte bereitgestanden. Das Team bleibe aber einsatzbereit,
       unterstrich das THW zugleich. Nach einem Erdbeben zählt jede Stunde. Nach
       72 Stunden sinkt die Wahrscheinlichkeit, Überlebende aus Erdbebentrümmern
       zu bergen, rasant gegen null.
       
       Das benachbarte [3][Algerien, mit dem Marokko seit Jahrzehnten in einem
       Konflikt um die von Marokko besetzte Westsahara lebt], öffnete bereits am
       Samstag, lange vor dem Erscheinen von Mohammed VI. seinen Luftraum, um den
       Transit von Hilfsgütern zu erleichtern.
       
       Hilfe angeboten hat auch Israel. Die beiden Staaten sind im Begriff, ihre
       gegenseitigen Beziehungen zu normalisieren. Israelische Medien berichteten
       am Sonntag, dass die Regierung jedoch noch auf Rückmeldung aus Rabat warte,
       um ein Hilfsteam der israelischen Streitkräfte zu schicken. Das israelische
       Außenministerium entsandte eine fünfköpfige Delegation, um die Hilfe zu
       koordinieren. (mit Agenturen, Mitarbeit: Jannis Hagmann)
       
       10 Sep 2023
       
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