# taz.de -- Blasphemiegesetz in Dänemark: Kein Gott vorm Staat
       
       > Um Koranverbrennungen zu stoppen, wollen die dänischen Sozialdemokraten
       > Gotteslästerung wieder unter Strafe stellen. Das ist ein Rückschritt.
       
 (IMG) Bild: Rasmus Paludan und die Partei Stram Kurs verbrennen einen Koran in Kopenhagen im März 2019
       
       Gesellschaftlicher Fortschritt ist kein Automatismus. Das zeigt sich dieser
       Tage wieder einmal in Dänemark. Die dortige sozialdemokratische Regierung
       will Gotteslästerung erneut unter Strafe stellen, um eine neuerliche Welle
       von Koranverbrennungen zu brechen. Sie möchte gerne zurück ins Jahr 1683 –
       als sich das Königreich seinen ersten Blasphemieparagrafen gab. Lang ist’s
       her: Im selben Jahr endete auch die zweite Belagerung Wiens durch die
       osmanische Armee.
       
       In den letzten Monaten hatte unter anderem der rechte Politiker Rasmus
       Paludan mehrere [1][Korane verbrannt], was zu teils gewaltsamen
       Gegenprotesten führte. Die „unangemessene Behandlung von Objekten, die
       für eine Religionsgemeinschaft eine wichtige religiöse Bedeutung haben“,
       soll in Dänemark deswegen mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden.
       [2][Die französische Satirezeitung Charlie Hebdo, der bekanntlich nichts
       und niemand heilig ist,] tat sich diese Woche mit 17 skandinavischen
       Blättern zusammen, um gegen das Gesetz und für die Meinungsfreiheit zu
       protestieren.
       
       [3][In der Tat hatte das dänische Parlament den alten
       Gotteslästerungsparagrafen erst 2017 abgeschafft]. Den Anstoß gab damals
       kurioserweise eine Anklage nach einer Koranverbrennung. Daraufhin forderte
       die linke „Einheitsliste“, den Paragrafen 140 zu streichen; die
       Mitte-rechten Sozis hingegen verteidigten damals wie heute diesen
       vormodernen Straftatbestand, um des „öffentlichen Friedens“ willen.
       
       ## Vulgär und subversiv
       
       Ein Akt, der die Meinungsfreiheit beschneidet, der aber auch unter Linken
       Sympathien findet, könnte ein solches Gesetz doch eine religiöse Minderheit
       vor den Provokationen rechter Fanatiker schützen. Doch obwohl die
       Verbrennung heiliger Schriften oft vulgär ist, wohnt dem Bildersturm – der
       Zerstörung religiöser Ikonen – auch ein subversives Potenzial inne: Erst
       Anfang August schredderte die feministische dänisch-iranische Künstlerin
       Firoozeh Bazrafkan einen Koran vor der iranischen Botschaft in Kopenhagen
       und trug dabei ein „Woman Life Freedom“-Shirt – ein Akt des Widerstands
       gegen die Ajatollahs in Teheran.
       
       Da wäre auch die Fotografin Sooreh Hera, ebenfalls Iranerin: Ihr Bild „Adam
       & Ewald“ von 2007 zeigt zwei schwule Männer mit Masken des Propheten
       Mohammed und seines Schwiegersohns Ali. Das Gemeentemuseum in Den Haag
       zensierte das Bild damals, vorgeblich, um die „religiösen Gefühle“ von
       Muslimen nicht zu verletzen – aber wohl eher aus Angst vor
       Terroranschlägen.
       
       Unter dem vorgeschlagenen Paragrafen müssten der Protest und Kunst von
       Bazrafkan und Hera ebenfalls verfolgt werden. Denn das Gesetz kann nicht
       zwischen „guter“ und „schlechter“ Gotteslästerung unterscheiden. Auch wenn
       Kunst- und Meinungsfreiheit weiter im Gesetz bestehen bleiben, müssten die
       Rechtsgüter dann immer mit dem Blasphemieparagrafen abgewogen werden.
       
       Die Rechte migrantischer Künstlerinnen stehen hier also ebenso auf dem
       Spiel – und gar die von Muslimen selbst. Denn es sind Minderheiten, die in
       der Mehrheitsgesellschaft am meisten von einer breiten Religions- und
       Meinungsfreiheit profitieren. Der Staat verteidigt diese Freiheiten also
       entweder für alle – oder schafft sie für alle ab.
       
       Das Blasphemiegesetz fügt sich in ein größeres Bild der dänischen Politik
       ein. In das Bild einer Regierung, die es mit einigen fundamentalen
       Menschenrechten nicht mehr so genau nimmt. Seit Jahren schotten sich die
       Dänen gegen Einwanderer*innen ab; 2019 gab die sozialdemokratische
       Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die Losung aus, „keine Asylsuchenden“
       mehr aufnehmen zu wollen. Vergangenes Jahr begann ihre Regierung dann gar,
       Geflüchteten aus Syrien die bereits erteilte Aufenthaltserlaubnis zu
       entziehen. Sie können seitdem in ein Land abgeschoben werden, in dem nach
       wie vor die faschistische Assad-Familie herrscht.
       
       Dieselbe dänische Regierung, die künftig religionskritischen Protest
       verbieten will, möchte also auch Syrer*innen aus ihren Wohnungen zerren
       und sie ins Flugzeug Richtung Damaskus setzen. Klingt das nach einem Staat,
       der sich wahrhaft um das Wohlergehen von Minderheiten sorgt?
       
       7 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leon Holly
       
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