# taz.de -- Verbandschefin über Abtreibungen: „Die Ärzt*innen werden beschimpft“
       
       > Abtreibungen sind für Ärzt*innen nach wie vor mit viel Hürden und Ärger
       > verbunden. Verbandschefin Doris Scharrel über die Lage in
       > Schleswig-Holstein.
       
 (IMG) Bild: Gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch: Demonstration selbsternannter Lebensschützer*innen
       
       taz: Frau Scharrel, immer wieder werden Frauenärzt*innen, die in ihren
       Praxen Abtreibungen anbieten, von so genannten Lebensschützer*innen
       bedroht, mit Hassmails oder mit Protesten vor den Praxen. Wie ist die Lage
       in Schleswig-Holstein? 
       
       Doris Scharrel: Diese selbsternannten Lebensschützer*innen gibt es
       schon länger. Sie waren bisher im Süden Deutschland aktiver als im Norden.
       In Schleswig-Holstein erlebten wir Proteste vor den Praxen nur in
       Einzelfällen. Doch seit der [1][Aufhebung des Paragraphen 219a im
       Strafgesetzbuch] stellen mehr Praxen das Angebot auf ihre Web-Seiten.
       Seither kommen neue Gruppen oder Einzelpersonen dazu, die sich, sagen wir
       mal, moralisch erheben und Frauenärzt*innen beschimpfen, die Abbrüche
       durchführen.
       
       Der Paragraph 219a, der Werbung für Abtreibungen unter Strafe stellte,
       [2][wurde im vergangenen Jahr aufgehoben]. Diese Reform galt als
       Durchbruch. Sie klingen aber nicht begeistert. 
       
       Viele Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche machen, fühlen sich allein
       gelassen. Rechtlich ist eigentlich alles geregelt: Wenn das Leben der Frau
       in Gefahr ist oder wenn die Schwangerschaft Folge einer Straftat ist, ist
       ein Abbruch nicht rechtswidrig. [3][Schwangerschaftsabbrüche nach
       Beratungsregelung sind rechtswidrig, aber straffrei.] Für die betroffenen
       Frauen ist rechtlich alles gut geregelt, aber Ärzt*innen fühlen sich in
       der Umsetzung nicht unterstützt oder sogar diskriminiert.
       
       Woran liegt das? 
       
       Den rechtlichen Rahmen bilden zwar das Strafgesetzbuch, das
       Schwangerschaftskonfliktgesetz und Richtlinien des Gemeinsamen
       Bundesausschusses. Aber die Zuständigkeit für die Umsetzung in den
       Einrichtungen, in denen Abbrüche durchgeführt werden, liegt bei den
       Ländern. In einigen Bundesländern, auch in Schleswig-Holstein, müssen
       Praxen zahlreiche administrative Voraussetzungen erfüllen, die junge
       Ärzt*innen scheuen, wenn sie einen Kassensitz übernehmen. Generell ist
       die Bereitschaft der Niedergelassenen hoch, aber die Regeln stellen hohe
       Hürden dar, und das merken wir im Flächenland. Schon heute fahren Frauen
       für einen medikamentösen Abbruch aus Nordfriesland nach Lübeck.
       
       Wie ist die Lage im Land denn überhaupt? 
       
       144 Frauenärzt*innen in Schleswig-Holstein haben die Voraussetzungen
       für ambulante Operationen, nur 77 machen Abbrüche. Das ist zurzeit
       ausreichend, aber 30 Prozent der Ärzt*innen gehen in den nächsten Jahren
       in den Ruhestand. Das kann die Lage verschlechtern.
       
       Wie sieht es mit Krankenhäusern aus? Dort finden doch auch Abtreibungen
       statt? 
       
       Frauen haben das Recht, den Arzt und den Ort des Schwangerschaftsabbruches
       zu wählen. Dabei gibt es regionale Unterschiede in den gewachsenen
       Strukturen. In Berlin finden 90 Prozent ambulant in Praxen statt, in
       Schleswig-Holstein nur 50 Prozent. Hier ließe sich, gerade wegen des
       Fachkräftemangels in den Kliniken, in die ambulante Versorgung umsteuern.
       
       Welche Probleme befürchten Sie in der Zukunft? 
       
       Eine Verschlechterung der politischen Lage. Um das klarzustellen: Einzelne
       Lebensschützer*innen oder Proteste gab es immer, genau wie es
       Internetportale gibt, in denen Praxen kritisiert werden, manchmal sehr hart
       und ungerecht. Ich rate Betroffenen dazu, solche Dinge zu ignorieren. Der
       juristische Weg ist aufwendig und teuer. Das kostet Nerven und Zeit. Ein
       Kollege in einem anderen Bundesland prozessierte gegen eine Menschenkette
       vor seiner Praxis und erreichte, dass die Demonstration zeitlich
       eingeschränkt wurde – aber was für ein Aufwand!
       
       Also nicht die Trolle füttern, die gute alte Internet-Regel. Aber was
       könnte dann gefährlich werden? 
       
       Dass der politische Druck wächst. Rechtliche Rahmenbedingungen müssen so
       rechtssicher sein, dass sie Frauen und Ärzt*innen dauerhaft schützen. Wir
       müssen nur in andere Länder schauen, in die USA oder nach Polen, um zu
       sehen, wie schnell Frauenrechte eingeschränkt werden können.
       
       Was könnte dann im Extremfall passieren? 
       
       Niemand sollte glauben, dass Frauen weniger abtreiben, wenn es verboten
       ist. Aber die [4][Mortalität steigt], auch weil Frauen in ihrer
       Verzweiflung medizinisch veraltete, gefährliche, illegale Methoden von
       unqualifizierten Personen durchführen lassen. Und es gibt extreme Methoden
       wie Seifenabbrüche mit einer hohen Todesrate. Abbrüche, die
       Fachärzt*innen sicher und qualifiziert durchführen, können die Frauen
       schützen und einen späteren Kinderwunsch und die Komplikationsrate in einer
       Schwangerschaft senken. Dieses funktionierende System mit
       Schwangerschaftskonfliktberatungen und einer Durchführung der Abbrüche in
       staatlich genehmigten Einrichtungen durch Fachärzt*innen müssen wir
       erhalten.
       
       17 Aug 2023
       
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 (DIR) [3] /Aerztin-zu-Legalisierung-von-Abtreibungen/!5925178
 (DIR) [4] /Protest-gegen-Abtreibungsgesetze-in-Polen/!5941104
       
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