# taz.de -- Rechte Geschichte der Siemens Stiftung: Aufarbeitung braucht Öffnung
       
       > Marcel Lepper wollte die Carl Friedrich von Siemens Stiftung reformieren,
       > wurde jedoch nach einem Jahr wieder entlassen. Ein Gastbeitrag über
       > rechte Verstrickungen.
       
 (IMG) Bild: Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung residiert am Südlichen Schlossrondell in Nymphenburg
       
       Vor zwanzig Jahren, im Juli 2003, fand auf dem Münchner Nordfriedhof eine
       Beisetzung statt. Wissenschaftler, Politiker, Verleger ehrten den
       neurechten Stichwortgeber und Stiftungsmanager Armin Mohler. [1][Götz
       Kubitschek], ein bekennender Schüler, lobte die „Wucht“, die
       „Unbekümmertheit des Vorstoßes“, die „Bewaffnung der Sprache“. Den
       feingeistigen Teil übernahm der Kunsthistoriker Bernhard Rupprecht. Er
       rühmte Mohler, den Musenfreund.
       
       Für alle, die sich nach alten Zeiten sehnten oder solche wieder
       herbeiführen wollten, hatte Armin Mohler zwischen 1961 und 1985 in der Carl
       Friedrich von Siemens Stiftung am Nymphenburger Schloss ein verfängliches
       Angebot vorbereitet. Der Dank der Stiftung war ihm gewiss. Zur Beisetzung
       anwesend waren Mohlers Wunschnachfolger Heinrich Meier, der schon in seiner
       rechten Zeitschrift Im Brennpunkt für Mohler geworben hatte und seit 1973
       mit ihm korrespondierte.
       
       Ebenso der Vorsitzende des Stiftungsvorstands Heinz Gumin, während Mohlers
       Amtszeit zugleich im Vorstand der Siemens AG, der Soziologe Robert Hepp,
       der in Prozesse zur Holocaustleugnung verwickelt war, und der
       Criticón-Gründer Caspar von Schrenck-Notzing, für den Meier geschrieben
       hatte. Schrenck-Notzings Bücher und Vermögen bilden heute das Fundament der
       sogenannten „Bibliothek des Konservatismus“ in Berlin. Kubitscheks
       „Institut für Staatspolitik“, das an Mohler anschließt, wurde 2023 als
       „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft.
       
       Eigentlich könnte die Geschichte an dieser Stelle schon enden. Wenn die
       Stiftung nach 2003 den Schritt getan hätte, den viele Institutionen seit
       1968 getan haben: die Strategien des Namensgebers Carl Friedrich von
       Siemens und des Stiftungsgründers Ernst von Siemens unabhängig erforschen
       zu lassen, [2][ebenso die Vergangenheit der beiden Geschäftsführer und
       deren Tätigkeit im Namen der Stiftung genauer anzusehen.]
       
       ## Keine Aufarbeitung erkennbar
       
       Dass die Stiftung 1985, spätestens 2003 den Weg der Aufarbeitung nicht
       ging, kann nur als Versäumnis den aufsichtführenden Gremien ausgelegt
       werden. Bis 2022 war kein Aufarbeitungsplan erkennbar. Das Archiv der
       Stiftung ist bis heute unzugänglich. Dadurch entsteht ein Quellenproblem.
       Die Stiftung hat gezeigt, dass sie mit Anwälten gegen
       Presseberichterstattung vorzugehen bereit ist. Sie hat aber auch
       feststellen müssen, dass sie den Kern der Berichterstattung nicht
       angreifen kann, weil es Überlieferungen in anderen Archiven, Zeitzeugen und
       stiftungseigene Publikationen gibt.
       
       Organisatorische Intransparenz, selektive Zugänge, elitäre Attitüden: Das
       waren die Voraussetzungen. Bis 2022 wussten viele, wie es um die Stiftung
       stand, aber nur wenige sagten das öffentlich auch. Wurde die Stiftung
       gefragt, erzählte sie die Geschichte vom noblen Stifter Ernst von Siemens,
       vom exzentrischen Publizisten Armin Mohler, vom unpolitischen Gelehrten
       Heinrich Meier. Eine erstaunlich diskontinuierliche Selbsterzählung für
       eine konservative Stiftung.
       
       Da die Geschäftsberichte bis 2022 nicht digital vorlagen, konnte man nur
       schwer erkennen, wo die Kontinuitäten lagen: Heinz Gumin amtierte im
       Stiftungsvorstand von 1984 bis 2008. Gumin publizierte zusammen mit Mohler,
       auch mit Meier. 15.000 Mark gingen nach Presseberichten als Sonderzahlung
       noch im Jahr 2000 an Mohler. Gremienmitglieder, die bis heute im Amt sind,
       kamen vor 2008 unter Gumin hinzu.
       
       Die verpasste Aufarbeitung ist Teil eines kontinuierlichen Struktur- und
       Aufsichtsproblems. Warum holte Ernst von Siemens den Waffen-SS-Freiwilligen
       Armin Mohler 1961 in die Stiftung? Warum hielt er noch an ihm fest, als er
       [3][Holocaustleugner wie David Irving] in die Debatten einzuschleusen
       versuchte? Wer brachte Heinrich Meier ins Amt, der 1970 unter dem Titel
       „Hitler lebt!“ gegen die „Gesellschaft der Vergangenheitsneurotiker“, gegen
       die alliierte „Umerziehung“ und die „Endlösung der Deutschenfrage“
       polemisiert hatte? Wann und wo soll sich Meier von dieser Orientierung klar
       distanziert haben?
       
       Der Stiftungsbericht stellt 1995 unter Meier fest, die Arbeit habe nach
       1985 eine „Vertiefung“ und „Erweiterung“ erfahren. Dass es unter Mohler
       „kommentierte Schallplattenabende“ gab und unter Meier
       Nobelpreisträger-Vorträge, sagt mehr über den ökonomischen als über den
       ideologischen Fortschritt der Stiftung. Wie Alain de Benoist betonte Meier
       vor wie nach 1985 die Schnittstelle von historischer und biologischer
       Forschung: immer die angebliche „natürliche Ungleichheit“ der Menschen im
       Blick.
       
       ## Abwehrkampf gegen die „linksliberale“ Hegemonie
       
       Das Vermögen der Stiftung umfasst gemäß Presserecherchen über 600 Millionen
       Euro. Bis 2022 gab es keine erkennbaren wissenschaftlichen Antrags- oder
       Außenbegutachtungsverfahren. Die Millionenbeträge, die in der
       Bibliotheksförderung eingesetzt wurden, waren gut investiert: auch für die
       Stiftung. Offensive Projektarbeit wäre weniger wirkungsvoll gewesen als der
       Eindruck der Neutralität und Hoffähigkeit.
       
       Gleiches im exklusiven Programm: Hochkarätige Wissenschaftler hatte schon
       Mohler eingeladen. Manchen imponierte der reaktionäre Stil und das hohe
       Honorar. Sie schmückten mit ihren Namen auch unter Meier eine Struktur, die
       sich vom diskursiven Abwehrkampf gegen die angebliche „linksliberale“
       Hegemonie nie losgesagt, sondern ihn allenfalls subtiler weitergeführt
       hatte.
       
       Wer die Struktur durchdringen will, muss sich in rechte Camouflage-Rhetorik
       einarbeiten. 1970 schrieb Heinrich Meier im Brennpunkt, „neonazistische
       Organisationen“ gebe es in Deutschland schon deshalb nicht, weil sie „vor
       ihrer Gründung vom zuständigen Innenminister verboten würden“. 1990 wurde
       er gefragt, ob die Stiftung eine „rechte Denkfabrik“ sei. Wieder antwortete
       er mit organisatorischem Understatement: Das könne schon deshalb nicht
       sein, weil ihr dazu die „finanziellen, organisatorischen und personellen
       Voraussetzungen“ fehlen würden. Er hielt sich an die Regel, dass ein
       Thinktank umso einflussreicher agieren kann, je weniger er als solcher
       erkennbar ist.
       
       Während Mohler mit dem Springer-Konzern auf rechte Stimmungsmache setzte,
       führte Meier Brennpunkt-Weggefährten wie Dietrich Murswiek ins
       Stiftungsprogramm ein. Murswiek, der im NPD-Umfeld aktiv gewesen war und
       sich, nachdem er Universitätskarriere gemacht hatte, als frei und furchtlos
       stilisierte, sprach im Mai 1989 über das „Staatsziel“ der deutschen
       Einheit. Der Band, der wie alle Schriften der Stiftung in hohen Auflagen
       kostenlos verschickt wurde, zeigte auf dem Cover als historisches Zitat die
       umgedrehte Fahne „gold-rot-schwarz“, die der zuständigen Bayerischen
       Informationsstelle zufolge im rechtsextremen Milieu verwendet wird.
       
       ## Gegen EU und Flüchtlingspolitik
       
       Murswiek erhielt umfangreiche Förderung, als er schon für die AfD
       gutachtete und spendete. Er schrieb 2018 mit [4][Egon Flaig] in einem
       aufwendig orchestrierten Stiftungsband über die „Zukunft der Demokratie“.
       Die Grundlinie ist bei aller Verdruckstheit nicht zu übersehen: gegen die
       EU, gegen die „Fiskokratie“, gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung
       Merkel. Der AfD hatte Murswiek geraten, „Reizwörter“ wie „Überfremdung“,
       „Volkstod“ oder „Umerziehung“ lieber nicht zu verwenden, um die Beobachtung
       durch den Verfassungsschutz zu vermeiden.
       
       Wie die Presse berichtete, wies Meier das Stiftungssekretariat nach seiner
       Amtszeit 2022 an, umfangreiche Datenmengen zu löschen. Eine Weisung, die
       glücklicherweise nicht befolgt wurde. Dass die Stiftung ihre Reputation
       durch Beschweigen stabilisierte, erwies sich als Sackgasse. Der Versuch,
       einen ernsthaften Strukturwandel herbeizuführen, schien darum so notwendig
       wie plausibel.
       
       Aber die mangelnde Bereitschaft der Stiftung zur echten Selbsterneuerung,
       so auch die Recherchen der SZ und des BR, zeigte sich in den Widerständen
       vor Ort. Rituale, Strukturen, Privilegien waren in einer geschlossenen
       Männergesellschaft über Jahrzehnte erstarrt. Kein moderierender Außenblick,
       keine Etablierung von Verfahren, keine Demokratisierung und Verjüngung,
       keine Entpersonalisierung von Macht: Der angekündigte Wandel war zum
       Scheitern verurteilt.
       
       Die Zeithistoriker Norbert Frei und Michael Brenner haben im Juni 2023 die
       Aufarbeitung der rechten Vergangenheit gefordert. Prompt setzte die mediale
       Störung ein: Ob es die rechten Netzwerke überhaupt gebe? Die besten Belege
       dafür lieferten die Verteidiger der Stiftung selbst, darunter Götz
       Kubitschek in seinem Blog „Sezession“: für rechtes Denken, gegen
       Aufarbeitung. Die Stiftung äußerte, sie wolle „weiterarbeiten wie bisher“.
       Unweigerlich verstrickte sie sich in neue Widersprüche. Eine Karte aus dem
       Jahr 1934, die bis 2022 repräsentativ in der Chefetage hing, enthalte
       „keine NS-Propaganda“. Die Presse berichtete wenig später, die Karte zeige
       im Thüringen-Wappen ein „Hakenkreuz“.
       
       ## Alte Strukturen bestehen fort
       
       Aufarbeitung kann man nicht outsourcen. Aufarbeitung braucht Teilhabe und
       Öffentlichkeit. Aufarbeitung ist wirkungslos, wenn die Mitarbeiterschaft
       und die Gremien weiter in den alten Strukturen arbeiten. Ohne eine
       unabhängige Kommission können weder die Aufarbeitung noch der
       Strukturwandel gelingen. Auf der Homepage des Münchner Instituts für
       Zeitgeschichte ist das Projekt der Aufarbeitung bislang noch nicht zu
       entdecken. Wann wird begonnen? Wann werden Ergebnisse vorliegen? Können die
       gleichen Gremien die Aufarbeitung beaufsichtigen, die eine
       Nichtaufarbeitung über viele Jahre hinweg zu verantworten haben?
       
       Was könnte man mit den Stiftungsmitteln alles für die Forschung tun!
       Förderung für junge Wissenschaftlerinnen bereitstellen – anstelle von
       Vergünstigungen für Professoren im Ruhestand. Das 2022 gegründete
       Osteuropa-Programm ausbauen – anstatt das seit Jahrzehnten unzugängliche
       Gartenareal zu pflegen, das Ernst von Siemens bei Bad Tölz angelegt hatte.
       Das älteste Mitglied des Stiftungsrats ist 87 Jahre alt. Die nächste
       Stiftungsratssitzung wird zeigen, ob die Gremien den Weg für einen
       Neuanfang freimachen.
       
       10 Jul 2023
       
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