# taz.de -- Kritischer Publizist aus Vietnam: Er will nicht verstummen
       
       > Der Publizist Bui Thanh Hieu lebt schon lange in Deutschland. Der
       > vietnamesische Geheimdienst versucht nach wie vor, ihn mundtot zu machen.
       
 (IMG) Bild: Bui Thanh Hieu demonstriert 2011 vor der chinesischen Botschaft in Hanoi
       
       Am Morgen des 10. Juni wurde dem vietnamesischstämmigen Autor Bui Thanh
       Hieu seine Existenzgrundlage entzogen. Seine Facebookseite und damit eine
       seiner letzten Publikationsmöglichkeiten war verschwunden. Warum Facebook
       seine Seite löschen ließ, erfuhr er nicht. Er hatte keine Chance, dagegen
       vorzugehen.
       
       Bui Thanh Hieu, 51 Jahre alt, ist einer der einflussreichsten
       Schriftsteller und Blogger in vietnamesischer Sprache. Sein Thema:
       [1][Korruption in Vietnam]. Er ist beliebt für seinen derben Sprachwitz –
       nur nicht bei der autoritären vietnamesischen Regierung. Die inhaftierte
       ihn mehrfach wegen „Missbrauchs demokratischer Freiheiten“. In der
       Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Vietnam
       momentan auf Platz 178 von 180 Staaten. Nur in China und Nordkorea geht es
       restriktiver zu.
       
       Im Jahr 2013 konnte Bui Thanh Hieu mit einem Stipendium nach Deutschland
       reisen. Inzwischen ist er deutscher Staatsbürger. Weil sein Blog „Der
       Windhändler“ in Vietnam nur über eine Firewall abrufbar war, gab er ihn auf
       und hoffte darauf, sein Publikum über Facebook besser erreichen zu können.
       
       Ein großes Problem bereitet ihm dabei [2][der vietnamesische Geheimdienst].
       Seit 2018 unterhält der laut offiziellen Angaben eine 10.000 Personen
       starke Cyberarmee. Deren Aufgabe ist es, das Internet von Inhalten zu
       säubern, die nach Meinung der autoritären Regierung unwahr sind. Seitdem
       werden Hieus Facebookseiten regelmäßig gesperrt. Meist, weil jemand
       behauptet, Urheber von Fotos oder Texten zu sein, die Hieu auf Facebook
       gepostet hat. Damit unterstellt Facebook ihm eine Urheberrechtsverletzung,
       räumt ihm aber keine Möglichkeit ein, sich selbst zu erklären. „Die
       Vorwürfe sind absurd“, sagt er der taz. Ein Beispiel: Anfang Juni
       behauptete eine ihm unbekannte Firma mit dem Namen „WEWI MOBILE.SL
       (Finetwork)“, Urheberin eines aktuellen Fotos zu sein, das Bui Thanh Hieu
       selbst zeigt. „Das Foto hat mein Freund letztes Jahr gemacht und mir
       geschenkt“, sagt Hieu der taz.
       
       ## Todesanzeige geschaltet
       
       Es gab aber auch andere Methoden: 2021 wurde für Hieu auf Facebook eine
       Todesanzeige geschaltet. Da er angeblich tot war, wurde seine Facebookseite
       im Anschluss gelöscht. Im selben Jahr gelang es dem vietnamesischen
       Geheimdienst, auf seinem Computer die Spionagesoftware [3][„OceanLotus“] zu
       installieren. Die wurde eher zufällig gefunden, weil der Bayerische
       Rundfunk und die Zeit zu dieser Spionagesoftware recherchierten.
       
       Hieu hat sich bisher nicht professionell gegen die
       Facebookmanipulationen gewehrt. Stattdessen nahm er die Löschungen
       zähneknirschend hin, richtete sich immer wieder eine neue Facebookseite ein
       und musste erneut Reichweite aufbauen. Hieus Followerzahl auf Facebook ist
       dadurch von 162.000 im Jahre 2017 auf aktuell 30.000 gesunken. Nachdem
       Hieus Account im Frühjahr 2022 wieder einmal gelöscht wurde, gelang es ihm
       erst nach mehreren Monaten, erneut ein Facebookprofil einzurichten. Davor
       war der Publizist von seinem Publikum abgeschnitten.
       
       ## Begrenzte Möglichkeiten
       
       Auch anderen kritischen Stimmen, die aus Deutschland heraus über Vietnam
       berichten, geht es wie Hieu. Aber die Möglichkeiten der vietnamesischen
       Publizist:innen, sich zu wehren, sind begrenzt. Denn Facebook hat kein
       richtiges Beschwerdemanagement.
       
       Der Journalist Trung Khoa Le bekommt nach Löschung seiner Kanäle inzwischen
       Hilfe von Reporter ohne Grenzen. Er hatte sich in der Vergangenheit bereits
       an den Bundestag und an das EU-Parlament gewendet. Die taz und andere
       Medien [4][haben seinen Fall öffentlich gemacht]. Seitdem hat er als
       einziger Betroffener eine Mailadresse von Facebook bekommen, wohin er seine
       Beschwerden schicken kann. Seine Probleme wurden daraufhin gelöst, oft aber
       erst nach Wochen oder Monaten. Die Mailadresse an andere Betroffene
       weiterzugeben, wurde ihm untersagt.
       
       ## Facebook als Blackbox
       
       Nguyen Van Dai, ein Oppositionspolitiker, der mittlerweile in Deutschland
       im Exil lebte, schaltete immer wieder die amerikanische Botschaft in Berlin
       ein. Doch für alle anderen Betroffenen ohne Kontakte in der Politik ist
       Facebook wie eine Blackbox. Sich gegen das Löschen der Accounts zu wehren,
       scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
       
       Anne Renzenbrink von Reporter ohne Grenzen sagt, in dem aktuellen Fall sei
       ihre Organisation mit dem Meta-Konzern, zu dem Facebook gehört, im
       Gespräch. Sie fordert von Meta, diese Angriffe auf die Pressefreiheit „so
       schnell wie möglich rückgängig zu machen und Mechanismen zu schaffen, die
       solche Angriffe künftig verhindern“. Sie verurteilt scharf, dass [5][Hanoi
       Journalist:innen bis ins Exil verfolgt], „ihnen durch die Löschung
       ihrer Accounts die finanzielle Existenzgrundlage und die Leserschaft“
       entzieht und dass Meta das durch seine Passivität mitträgt. Soziale Medien
       wie Facebook spielten gerade in Ländern mit stark eingeschränkter
       Pressefreiheit eine wichtige Rolle für die Verbreitung von Informationen,
       sagt Renzenbrink: „Meta muss sich dieser Verantwortung bewusst sein. Der
       Konzern muss mögliche Schlupflöcher und Sicherheitslücken schließen und
       einen politischen Hintergrund prüfen.“
       
       Meta-Sprecherin Kirstin MacLeod sagt der taz, man werde sich den Fall
       ansehen, benötige allerdings noch Zeit.
       
       20 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nach-Korruptionsskandal-in-Vietnam/!5909701
 (DIR) [2] /Verschwinden-eines-Vietnam-Kritikers/!5926003
 (DIR) [3] /Cybersicherheit-bei-BMW/!5653315
 (DIR) [4] /Vietnamesischer-Journalist-in-Berlin/!5825405
 (DIR) [5] /Pressefreiheit-in-Vietnam/!5667357
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marina Mai
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Feinde der Pressefreiheit
 (DIR) Vietnam
 (DIR) Exil
 (DIR) Geheimdienst
 (DIR) Social Media
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Vietnam
 (DIR) Politische Morde
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Journalist aus Syrien: In Istanbul festgenommen
       
       Der syrische taz-Autor Muhammad Al Hosse wurde im Exil in der Türkei
       festgenommen. Seine Familie befürchtet nun die Abschiebung nach Nordsyrien.
       
 (DIR) Vietnamesisches Programm der BBC: Gefährliche Umstrukturierung
       
       Das vietnamesische Programm der BBC umging die Zensur in Vietnam. Jetzt
       baut der britische Sender um. Mitarbeitende könnte das in Gefahr bringen.
       
 (DIR) Vermutete Sicherheitslücke bei Facebook: Mit Betrug gegen die freie Presse
       
       Das vietnamesisch-deutsche Medium Thoibao verliert Werbeeinnahmen bei
       Facebook. Eine Firma behauptet, Urheberin seiner Inhalte zu sein.
       
 (DIR) Vietnamesischer Journalist in Berlin: Gehackt und bedroht
       
       Trung Khoa Lê bekommt seit Jahren Morddrohungen. Stecken dahinter
       Handlanger*innen der vietnamesischen Regierung in Hanoi?