# taz.de -- Neuer Präsident für Nigeria: Bola Tinubus viele Baustellen
       
       > Im größten schwarzen Staat der Welt wird der neugewählte Präsident in
       > sein Amt eingeführt. Er übernimmt ein Land mit zunehmenden Problemen.
       
 (IMG) Bild: Von einem Legitimitätsproblem überschattet: Nigerias Präsident Bola Tinubu
       
       Abuja taz | Instabilität und Konflikt sind ein Dauerthema in Nigeria, aber
       kein Machtwechsel seit der Rückkehr zur Demokratie vor 24 Jahren hat die
       größte schwarze Nation der Welt so sehr in den Abgrund blicken lassen wie
       dieser – sogar wörtlich.
       
       „Wir stehen am Abgrund einer neuen Ära“, sagte der designierte nächste
       Vizepräsident Kassim Shettima am Samstag in einem Vortrag anlässlich der
       Amtseinführung des neugewählten Präsidenten [1][Bola Tinubu] am Montag, 29.
       Mai, und versprach: „Die Ideale der Demokratie werden uns den Weg zur
       nachhaltigen Entwicklung weisen.“
       
       Tinubus Vereidigung folgt auf eine [2][äußerst umstrittene
       Präsidentschaftswahl] mit Anfechtungen und Unruhen in einem Land mit einer
       kriselnden Wirtschaft und ethnischen Spannungen. Erst am vergangenen
       Freitag machte das Oberste Gericht den Weg dazu frei, indem es die jüngste
       Klage der größten Oppositionspartei PDP (Peoples Democratic Party) abwies.
       Die PDP, die Nigeria von 1999 bis 2015 regierte, hatte die
       Doppelnominierung von Kassim Shettima als Vizepräsident und zugleich als
       Senator für die Unruheprovinz Borno angefochten und wollte, dass das
       Gericht sowohl Shettima als auch Tinubu annulliert.
       
       Die [3][Wahlen am 25. Februar] hatte Tinubu als Spitzenkandidat des
       regierenden APC (All Progressives Congress) mit lediglich 36,61 Prozent
       gewonnen, der knappste Sieg in Nigerias Geschichte. Von den 93,4 Millionen
       registrierten Wählern hatten überhaupt nur 29 Prozent an den Wahlen
       teilgenommen. Tinubus Präsidentschaft ist von einem Legitimitätsproblem
       überschattet.
       
       ## Schon sechs Mal verloren
       
       Als vor acht Jahren Muhammadu Buhari, der nun nach zwei vierjährigen
       Amtszeiten aus dem Amt scheidet, Präsident wurde, war dies noch von großen
       Hoffnungen und Glückwünschen begleitet: sein PDP-Vorgänger Goodluck
       Jonathan verhielt sich staatsmännisch, es war die erste friedliche
       Machtübergabe von einer Partei an eine andere in Nigerias Geschichte.
       Diesmal hat der regierende APC sich nicht einmal würdig verhalten, obwohl
       er an der Macht bleibt.
       
       Der führende APC-Politiker Femi Fani-Kayode warf der Opposition vor, sie
       wollten Tinubus Einführung mit „allen Mitteln“ verhindern. „Ob sie wollen
       oder nicht, der Amtseid des Präsidenten der Bundesrepublik Nigeria findet
       am Montag statt“, sagte er.
       
       Der unterlegene PDP-Kandidat Atiku Abubakar, der jetzt schon zum sechsten
       Mal verloren hat, ließ durchblicken, dass er Tinubu nicht als Staatschef
       anerkennen wird.
       
       „Unser Rechtsteam kann robust nachweisen, dass die Wahl vom 25. Februar
       gefälscht war und weder der Verfassung noch den Richtlinien der
       unabhängigen Wahlkommission entsprach, und dass der erklärte Sieger nicht
       einmal zur Wahl hätte antreten dürfen“, sagte Abubakar. Doch rief er seine
       Unterstützer auf, Geduld zu wahren und sich friedlich zu verhalten, solange
       die Wahlanfechtung noch läuft.
       
       Nigerias Geheimdienstsprecher Peter Afunanya erklärte, man wisse von Plänen
       „subversiver Elemente“, die Amtseinführung des Präsidenten sowie der neuen
       Gouverneure in den meisten der 36 Bundesstaaten zu stören und „Panik und
       Angst“ zu verbreiten.
       
       Inmitten all der Streitereien und hartnäckigen Gerüchten über seinen
       schlechten Gesundheitszustand steht Bola Tinubu nun vor der Mammutaufgabe,
       den 220 Millionen Einwohnern Nigerias eine bessere Zukunft zu bieten. In
       den vergangenen Monaten waren zu den chronischen Wirtschaftsproblemen des
       Landes auch noch Geldmangel dazugekommen, da die Regierung beschlossen
       hatte, [4][neue Geldscheine einzuführen].
       
       Da die Zentralbank weniger neues Geld zur Verfügung stellte, als sie altes
       aus dem Verkehr zog, führte die Einführung der neuen 200-, 500- und
       1000-Naira-Scheine direkt ins Chaos. Erst als die Gerichte urteilten, das
       alte Geld sei noch bis Ende 2023 gültig, kehrte wieder etwas Normalität
       ein.
       
       ## Einige Politiker in Korruption verwickelt
       
       Die Bargeldkrise und Probleme in der Ölförderung haben Nigeria nach Jahren
       der Stagnation, insbesondere während der Covid-19-Pandemie, in eine neue
       Wirtschaftskrise gestützt, mit einer Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts
       um 15,7 Prozent im ersten Quartal 2023. Im Jahresvergleich betrug das
       Wachstum immer noch 2,3 Prozent, aber der Ölsektor ist nun zwölf Quartale
       hintereinander geschrumpft: minus 4,2 Prozent im Jahresvergleich nach den
       jüngsten Daten.
       
       Chinwe Egwim, Chefökonom der Coronation Merchant Bank, führt dies auf die
       Bargeldkrise und steigende Förderkosten zurück. Er weist darauf hin, dass
       die neue Regierung ein zweistelliges Wirtschaftswachstum in den kommenden
       acht Jahren versprochen hat, mit einer Diversifizierung weg vom Öl in
       Landwirtschaft, Industrie, Technologie, Immobilien, Verkehr und Energie.
       
       Wie das gehen soll, bleibt offen, zumal eine Reihe von Politikern des
       regierenden APC in Korruptionsaffären verwickelt sind. Im März gab die
       Antikorruptionsbehörde EFCC (Economic and Financial Crimes Commission)
       bekannt, sie stehe bereit, sofort nach dem 29. Mai erste Festnahmen
       anzuordnen. 18 scheidende Provinzgouverneure oder deren Stellvertreter
       sowie mindestens zwei Minister sollen im Visier der EFCC sein. Nun gibt es
       aus den Reihen der Betroffenen Forderungen an Tinubu, EFCC-Präsident
       Abdulrasheed Bawa abzusetzen. Das wird der erste Test für den neuen
       Präsidenten.
       
       „Bawa zu suspendieren, wäre das falsche Signal“, warnt der Dachverband der
       politischen Parteien Nigerias. Sorgen bereitet auch die schlechte
       Menschenrechtslage, wie Anietie Ewang von Human Rights Watch (HRW) anmerkt:
       Armut und Ungleichheit, große Unsicherheit und wiederholte Verletzungen der
       Bürgerrechte seien „kritische Themen“, auf die sich Tinubu konzentrieren
       müsse.
       
       Tinubu, ein ehemaliger Gouverneur von Lagos, hatte im Wahlkampf „Sicherheit
       von Leben und Besitz“ als Priorität seiner Präsidentschaft versprochen.
       Sein Vorgänger Buhari hatte vor acht Jahren versprochen, dem seit 2009 im
       Nordosten Nigerias wütenden Aufstand der islamistischen bewaffneten Gruppe
       Boko Haram und ihrer Abspaltungen ein Ende zu setzen und sagt, die Gruppe
       sei „technisch gesehen“ geschlagen.
       
       Aber heute [5][leidet das gesamte Land] unter dem Aufschwung krimineller
       Banden, die Geiselnahmen, Plünderungen und Tötungen durchführen, sowie
       Auseinandersetzungen zwischen zumeist christlichen Bauernvölkern und
       zumeist muslimischen nomadischen Viehhirten im [6][Streit über immer
       knappere Land- und Wasserressourcen].
       
       Im zentralnigerianischen Bundesstaat Plateau soll es in den vergangenen
       zwei Wochen 170 Tote bei erneuten Gewaltakten dieser Art gegeben haben, und
       in der Provinzhauptstadt Jos demonstrierten am Donnerstag Geflohene und
       verlangten Schutz vor der Gewalt.
       
       Die Viehzüchtervereinigung „Miyetti Allah Cattle Breeders Association“
       forderte die neue Regierung auf, sich diesem Thema verstärkt zu widmen.
       „Wer ethnische Gewalt anstachelt, muss identifiziert werden, denn ethnische
       Säuberung ist weder machbar noch sinnvoll in einer Zeit, wo die Wirtschaft
       unseres Landes wiederbelebt werden soll“, sagte ihr Sekretär Bello Gotomo.
       
       29 May 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emeka Okonkwo
       
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