# taz.de -- Sprachproblem Kasachisch versus Russisch: Zankapfel auf der Speisekarte
       
       > In der UdSSR verdrängte Russisch als Lingua franca die nationalen
       > Sprachen der Republiken. Bis heute sorgt die Dominanz des Russischen für
       > Streit.
       
 (IMG) Bild: In welcher Sprache ist wohl die Speisekarte? Cafészene in Astana (Kasachstan), April 2023
       
       Manchmal bekomme ich Videos, in denen Passanten, zum Beispiel in den USA,
       gefragt werden: „[1][Was wissen Sie über Kasachstan?]“ Die Antwort: „Das
       ist irgendwo in Russland“, habe ich seltsamerweise öfter gehört. Aber es
       gibt auch das Gegenteil. Wenn Menschen erfahren, dass viele Kasachen
       Russisch sprechen, wundern sie sich manchmal: „Aber das liegt doch gar
       nicht in Russland!“
       
       Das Sprachproblem ist eines der größten Probleme in Kasachstan, so wie in
       vielen anderen Ländern Zentralasiens. Alle diese Länder haben früher einmal
       zur Sowjetunion gehört, [2][wo Russisch die Lingua franca für die
       interethnische Kommunikation war]. Die nationalen Sprachen gerieten langsam
       in Vergessenheit und galten als „optional“. Darum ist es gar nicht
       erstaunlich, dass man jetzt, [3][wo es den Trend zur Dekolonialisierung
       gibt] – und der Krieg in der Ukraine hat diesen Trend noch verstärkt – auf
       das Ignorieren der kasachischen Sprache in Kasachstan sehr heftig reagiert.
       
       Im vergangenen März zum Beispiel gab es deshalb einem Skandal in den
       sozialen Netzwerken. Irgendwer hatte den Chatverlauf von Mitarbeitern einer
       Barkette in Almaty veröffentlicht, in dem das dortige Führungspersonal
       geäußert hatte, sie würden unter keinen Umständen kasachische Musik in
       ihren Läden spielen. Sie können, so hießt es dort, nur englische und
       russische Musik spielen. Die kasachische Sprache vertrüge sich nicht mit
       ihrem Image.
       
       Es folgten viele wütende Kommentare. Unter anderem wurde angemerkt, dass es
       in diesen Bars auch keine kasachische Speisekarte gebe. Menschen begannen,
       abwechselnd englisch- und kasachischsprachige Lieder zu singen und das zu
       posten. Die Leitung der Kette beeilte sich schließlich, ihre Aussagen zu
       korrigieren.
       
       Im Nachgang sprach ich mit einer Bekannten über den Fall. Sie begriff
       überhaupt nicht, warum Leute der Bar vorschreiben wollten, wie sie dort zu
       arbeiten hätten. „Stell dir einfach mal vor, man würde bei einem
       italienischen Restaurant in Kasachstan fragen:,Warum spielt ihr nur
       italienische Musik? Macht mal kasachische an.' Dabei ist es doch ein
       italienischer Laden“, sagte sie sichtlich genervt.
       
       „Die Leute reagieren so, weil es sie stört, dass man dort russische Lieder
       spielen darf, aber kasachische nicht erlaubt sind“, erklärte ich. „Sie
       haben keinen Bock mehr auf diese Haltung und die Diskriminierung aufgrund
       ihrer Sprache. Und sie haben recht.“
       
       In vielen Läden der Unterhaltungsgastronomie gibt es keine Speisekarten auf
       Kasachisch. In der Stadt Semej, in der ich lebe, kann man sie an einer Hand
       abzählen. Doch heute achten die Leute stärker darauf. Nicht immer läuft das
       friedlich ab: Im Februar wurden Gäste, die in einem Café in Almaty nach
       einer kasachischen Speisekarte fragten, als „Faschisten“ beschimpft.
       Immerhin: Die Besitzer haben sich später entschuldigt.
       
       Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey] 
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. 
       
       Ein Sammelband ist im [6][Verlag edition.fotoTAPETA erschienen].
       
       31 May 2023
       
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