# taz.de -- Die Wahrheit: Im Klingelbeutel zu den Sternen
       
       > Die katholische Kirche will in den endlosen Weiten des Weltraums nach
       > taufbaren Lebensformen suchen und übt schon mal im Kölner Spacecenter.
       
 (IMG) Bild: Space-Kardinal Huber übt schon fürs Segnen im Weltall
       
       Unbarmherzig dreht Weltraumkardinal Winfried Huber den Regler bis zum
       Anschlag auf, sodass der Testgeistliche in der rotierenden Kapsel auf das
       Zehnfache der Erdgeschwindigkeit beschleunigt wird. Unter erhöhter
       G-Belastung soll der bedauernswerte Kleriker einer spanischen Nonne via
       Funk die Beichte abnehmen. Doch bevor der Seelsorger die erlösende
       Absolution erteilen kann, verliert der Mittfünfziger das Bewusstsein.
       
       „Das war das vierte Mal in dreißig Minuten, dass Pastor Klimke sein
       Bußsakrament versemmelt hat“, schimpft Space-Kardinal Huber, der erst vor
       wenigen Tagen in biblischer Astrophysik und geozentrischer Raumfahrt
       promoviert hat. Vor lauter Ärger vergisst der Geistliche, die immer noch
       auf Vollgas wirbelnde Apparatur austrudeln zu lassen.
       
       Da der Pfaffe im teuren Hightech-Gerät auf unbestimmte Zeit ausfällt, hat
       der religiöse Naturwissenschaftler genug Zeit, uns zu einer Führung durch
       das brandneue Luft- und Weltraumzentrum des Vatikans in Frechen-Königsdorf
       bei Köln mitzunehmen.
       
       „Alles fing damit an, dass wir einen Predigttext des Papstes aus dem Jahr
       2020 mit einer Rakete ins All geschossen haben“, erzählt Huber beim Gang
       durch die Forschungsanlage. „Aber da unsere Mitgliederzahlen ungebrochen
       dem Nullpunkt entgegenrasen, müssen wir dieser Rakete mit Klingelsack und
       Pack hinterherdüsen. Wenn wir als Kirche überleben wollen, müssen wir in
       den Tiefen des Alls nach taufbaren Lebensformen suchen.“
       
       ## Raumanzug mit Priesterkragen
       
       Huber grüßt einen Pfarrer, der uns im schwarzen Raumanzug mit weißem
       Priesterkragen entgegenfedert. Wir folgen dem Kosmoskardinal in einen
       weihrauchvernebelten Schwimmbadbereich. „Hier trainieren unsere zukünftigen
       Theonauten wundersames und mildtätiges Wirken in der simulierten
       Schwerelosigkeit“, erklärt Huber beim Anblick eines Landpfarrers auf einem
       Hollandrad. Der hagere Mann mit Birett und flatterndem Messgewand rollt
       über den Rand des Einmeterbretts und plumpst kopfüber ins olympische
       Weihwasserbecken.
       
       Wir gehen weiter und kommen an eine massive Stahltür, die mit einem
       armdicken Drehhebel gesichert ist. „Da wir in unseren neuen Bistümern dort
       oben fest mit intergalaktischen Superstürmen rechnen, bereiten wir unsere
       Leute hier auf das Missionieren unter Extrembedingungen vor. Im Moment
       müsste der Windkanal aber frei sein.“
       
       Der Forschungsleiter entriegelt das Schloss und öffnet die Tür. Wir können
       uns angesichts des Gegenwinds in Orkanstärke gerade noch am Türrahmen
       festklammern. Einen Benediktinermönch aus dem Innenraum bläst es im hohen
       Bogen auf den Innenhof.
       
       Vorfälle wie diesen möchte Huber in Anbetracht des knappen Kirchenpersonals
       eigentlich vermeiden. Unsere Frage, wie man nur mit einer Handvoll
       Priester, Schwestern und Laien eine womöglich jahrhundertelange Reise durch
       die Galaxis überstehen will, kann der kosmische Gottesmann nicht eindeutig
       beantworten.
       
       „Eine Aufhebung des Zölibats ist auch unter starkem Reproduktionsdruck kein
       Thema. Wir werden uns gleich nach dem Start in die geschlechtsgemischten
       Stasiskammern begeben und unser Schicksal in die Hände des göttlichen
       Autopiloten legen.“
       
       ## Arche Noah als Simulation
       
       Unser Rundgang endet im enttäuschend leeren Raumschiffhangar. Dort, wo wir
       eine interstellare Science-Fiction-Version der Arche Noah erwartet hatten,
       zeigt uns Huber am Multimediagerät eine 3D-Computersimulation.
       
       „Natürlich werden wir die Errungenschaften aus zweitausend Jahren
       Christentum nicht auf der Erde zurücklassen“, schnauft er beim Blick auf
       den Bildschirm. „Hier sehen Sie die mit mehreren Trägerraketen bestückten
       Haupttürme des Kölner Doms beim Abheben, während die Außenwände des
       Bauwerks spektakulär zur Seite klappen.“
       
       Huber weist auf die berechnete Flugbahn der gotischen Projektile. „In der
       Erdumlaufbahn vereinigt sich der Doppelturm mit den Hauptschiffen von
       Petersdom und Notre Dame zu einer gewaltigen Raumstation. In der letzten
       Sequenz sehen Sie uns dann den Warp-Antrieb zünden und mit einem letzten
       Läuten der Schiffsglocke ‚Dicker Pitter‘ in Richtung Alpha Centauri
       verschwinden.“
       
       Wir verlassen das Weltraum-Trainingszentrum, um uns auf den Weg in die
       benachbarte Domstadt am Rhein zu machen. Vor dem Erzbischöflichen
       Generalvikariat entdecken wir eine kilometerlange Schlange. Die
       verzweifelten Kölner versuchen offenbar, den Exodus der katholischen Kirche
       ins All durch den massenhaften Wiedereintritt in den theologischen
       Todesstern zu verhindern. Damit der Dom in Kölle bleibt, ist dem
       Rheinländer offenbar kein Preis zu hoch. Nicht einmal die Unterwerfung
       unter den düsteren Kardinal Darth Woelki.
       
       14 Apr 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patric Hemgesberg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Katholische Kirche
 (DIR) Weltraumforschung
 (DIR) Köln
 (DIR) Renovierung
 (DIR) Namen
 (DIR) Architektur
 (DIR) Bundesministerium für Gesundheit
 (DIR) Fußball
 (DIR) Die Wahrheit
 (DIR) Wohnungsnot
 (DIR) Schwerpunkt AfD
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Berliner Planetarium: Mehr als nur Sternenkino
       
       Das Planetarium am Insulaner wird in ein Lernzentrum umgebaut. Dort sollen
       Kinder und Jugendliche künftig ihr Wissen in Naturwissenschaften vertiefen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Nomen est omen est Til
       
       Das Ticket in die Welt der Reichen und Schönen: Unterwegs im Namen der
       Namensforschung mit der Koryphäe der deutschen Onomatologie in Siegen-Ost.
       
 (DIR) Architekturforscherinnen über Space-Mining: „Der Mond als Tankstelle zum Mars“
       
       Francelle Cane und Marija Marić thematisieren auf der Venedig-Biennale den
       Mond als Rohstoffquelle und die medialen Versprechen der Weltraumforschung.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Die Rente mit 93 kann kommen!
       
       Wahrheit exklusiv: Auf Tour mit Deutschlands erstem staatlich geprüften
       Longlife-Body-Coach. Ein Pilotprojekt des Gesundheitsministeriums.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Showdown in der Nachspielzeit
       
       Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte
       Leserschaft an einem Poem über ein dramatisches Fußballfinale erfreuen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Ein Kurt für alle Fälle
       
       Unterwegs mit Berlins Top-Kopfgeldjäger für Abgeordnete aller Art in freier
       Wildbahn. Ein gefährliches Unterfangen, eine exklusive Wahrheit-Recherche.
       
 (DIR) Die Wahrheit: WG in schmucker Gruft
       
       Berlin ist die Hauptstadt der Wohnungslosigkeit. Doch endlich geht sie das
       Riesenproblem an: Schöner Wohnen im Totenreich.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Das Sachsen des Weltalls
       
       Ein Weltraumbahnhof in Kötenwerda – das kann nur bestürzende Folgen für das
       Zeit-Raum-Kontinuum haben.