# taz.de -- Baerbock und Faeser in der Türkei: Zwischen Hilfsgütern und Bürokratie
       
       > Die deutschen Ministerinnen versprechen im Erdbebengebiet neue Hilfen und
       > preisen neue Visaverfahren. Kritiker finden die Regeln zu streng.
       
 (IMG) Bild: Einen Überblick verschaffen: Baerbock und Faeser am Dienstag vor Trümmern im türkischen Pazarcık
       
       Gaziantep/Pazarcık taz | Auf dem Flughafen von Gaziantep parkt am Dienstag
       ein Airbus A400M der Bundeswehr. Zur Hälfte ist seine Fracht schon
       entladen, zur anderen Hälfte sind die Paletten noch im Bauch des
       Militärtransporters verstaut. „30 Zelthaut N, 2 Fenster im Mittelfeld“,
       steht auf einem der Kartons. In anderen befinden sich Feldbetten und
       Schlafsäcke. Insgesamt 13 Tonnen Material aus Beständen des Technischen
       Hilfswerks (THW) sind am Vormittag mit der Maschine eingetroffen.
       
       Im Schatten der Fracht stehen am Mittag Nancy Faeser, die deutsche
       Innenministerin, und Annalena Baerbock, die Außenministerin. Mit einem
       zweiten Bundeswehr-Airbus – einem VIP-Transporter der Flugbereitschaft –
       sind sie gerade gelandet. Zwischen den Paletten tauschen sie sich mit
       deutschen Katastrophenhelfer*innen aus: Mit der Hilfe für die Türkei
       gebe es keine Probleme, erzählt ein Mann in THW-Uniform. Die Deutschen
       übergeben das Material an türkische Partnerorganisationen, die kümmern sich
       um die Verteilung. „Wir vertrauen darauf, dass sie sauber arbeiten.“
       
       Das Material für Nordsyrien aber? Motorenlärm überdeckt das Gespräch, aber
       die Wortfetzen, die zu verstehen sind, ergeben einen klaren Eindruck:
       „keine Staatlichkeit“ – „schwieriges Setting“ – „kommen nicht rein“. Und:
       „Von der Welt vergessen.“
       
       Für einen Tag sind Faeser und Baerbock in den Südosten Anatoliens geflogen.
       Offiziell, um einen Überblick über die deutsche Hilfe [1][nach dem
       verheerenden Erdbeben] zu bekommen. „Wir wollen uns ein Bild machen und
       schauen, wie wir auch weiter bestmöglich helfen können“, sagte Baerbock vor
       dem Abflug in Berlin. Hilfe im Wert von rund 58 Millionen Euro hat die
       Bundesregierung nach eigenen Angaben bisher schon geleistet, weitere 50
       Millionen kündigen die Ministerinnen vor Ort an.
       
       Ein möglicher zweiter Zweck der Reise, zumindest aber ein willkommener
       Nebeneffekt: Zur Abwechslung gibt es – bei aller Tragik der
       Erdbebenkatastrophe – auch mal positive Bilder der deutsch-türkischen
       Zusammenarbeit. Die vielen Probleme in den bilateralen Beziehungen sind am
       Dienstag kein Thema. Baerbock und Faeser treffen noch nicht einmal auf
       Vertreter*innen der AKP-Regierung, dem Vernehmen nach im beidseitigen
       Einverständnis: Die türkische Regierung habe im Moment natürlich anderes zu
       tun.
       
       ## Zeltstadt und Zerstörung
       
       Stattdessen auf dem Reiseprogramm: Ein Rundgang durch eine Zeltstadt in der
       Provinz Kahramanmaraş, in der seit dem Erdbeben 6.000 Menschen hausen. Eine
       Tour durch die Einkaufsstraße der Stadt Pazarcık, wo in den Gebäuden, die
       noch stehen, die Schaufensterpuppen auf dem Boden zwischen Glasscherben
       liegen. Und vorab eben die Besichtigung der deutschen Hilfsgüter auf dem
       Flughafen.
       
       Was die Ministerinnen dort über die Probleme mit der Syrienhilfe hören, ist
       keine Überraschung. Schon seit Längerem [2][blockiert die Assad-Regierung
       humanitäre Hilfe] für die Rebellengebiete. Seit 2020 ist regulär nur ein
       Grenzübergang aus der Türkei geöffnet. Die Forderung des Regimes: Die
       Lieferungen sollen nicht direkt in die abtrünnigen Regionen gehen, sondern
       über die Hauptstadt verteilt werden.
       
       Das verweigert aber der Westen, Vertrauen in die Assad-Regierung gibt es
       schon seit Jahren nicht mehr. Neue Bombardierungen nach dem Erdbeben haben
       ihr übriges getan. Das Regime instrumentalisiere Hilfsbemühungen, sagt
       Baerbock.
       
       Seit einer Woche gestattet Assad zumindest einige weitere Lieferungen.
       Nicht entlang der ganzen Grenze, sondern nur an zwei zusätzlichen
       Übergängen, und auch nicht unbefristet, sondern nur für drei Monate. Aber
       immerhin: Auch Hilfsgüter aus Deutschland gelangen so inzwischen aus der
       Türkei weiter nach Nordsyrien. An der Grenze werden sie an
       UN-Organisationen oder NGOs übergeben, mit denen die Bundesregierung in den
       langen Bürgerkriegsjahren gute Erfahrungen gemacht hat.
       
       ## Visa sollen schneller kommen
       
       Dennoch: In den syrischen Gebieten, die lange ganz ohne Hilfe von außen
       auskommen mussten, ist die Lage noch weit dramatischer als in der schon
       schwer genug getroffenen Türkei. Und auch der Weg raus aus dem Krisengebiet
       ist dort schwieriger.
       
       Am Dienstagabend sind Baerbock und Faeser zurück in Gaziantep. Einen
       letzten Termin haben sie vor dem Rückflug: Sie besuchen die örtliche
       Filiale der Firma iData, in der Innenstadt zwischen einem Fitnessstudio und
       einem Kiosk gelegen. An das Unternehmen hat das Auswärtige Amt einen Teil
       seines Konsularwesens ausgelagert: Wer als Türke ein Visum für Deutschland
       will, muss seinen Antrag dort einreichen.
       
       Nach dem Erdbeben wurde das Gebäude zunächst auf Schäden geprüft, erst seit
       Sonntag ist die Filiale wieder geöffnet. Im Angebot ist seitdem ein
       [3][neues Visa-Verfahren, auf das sich Außen- und Innenministerium geeinigt
       haben]: Erdbebenopfer mit nahen Verwandten in Deutschland sollen
       unkompliziert für drei Monate in die Bundesrepublik reisen dürfen. Das
       Visum dafür – 96 Stück wurden bis Montagabend bewilligt – soll es schneller
       geben als vor dem Beben.
       
       Während die Ministerinnen die iData-Filiale besichtigen, wartet vor dem
       Gebäude ein Mann aus Ulm. Seine Eltern leben im stark verwüsteten Antakya.
       Ihr Haus steht zwar noch, darin schlafen wollen sie aber nicht mehr. Der
       Sohn möchte sie nach Deutschland holen.
       
       Bei der Ausländerbehörde in Deutschland hat er sein Einkommen nachgewiesen
       und versichert, für die Kosten aufzukommen. Die entsprechende
       Bescheinigung, die im Original vorliegen muss, hat er im Auto von
       Baden-Württemberg in die Türkei gefahren. Die Unterlagen seiner Eltern hat
       er aus dem Haus geholt. Jetzt wartet er seit vier Stunden in der Schlange
       vor der Filiale darauf, den Antrag einreichen zu dürfen. Am nächsten Tag,
       so hofft er, könnten seine Eltern die Einreisegenehmigung haben.
       
       ## Kritik an Bürokratie
       
       Klappt das, gehören sie zu den Glücklicheren. Kritiker*innen monieren:
       Einfach und unbürokratisch sei das Verfahren keineswegs. Es würden zu viele
       Unterlagen verlangt, die im schlechtesten Falle gerade unter
       Gebäudetrümmern liegen. Wer keine sehr nahen Angehörigen in Deutschland
       hat, sondern beispielsweise nur Tante und Onkel, scheidet sowieso aus.
       
       Und: Grundsätzlich steht das Programm nur türkischen Staatsangehörigen
       offen, syrischen nicht (mit Ausnahme möglicherweise für Syrer*innen mit
       festem Aufenthaltsstatus in der Türkei, für die das Außenministerium
       widersprüchliche Angaben macht).
       
       Die Kritik kommt unter anderem aus der Linkspartei. „Es sollte die
       Möglichkeit bestehen ein Visum bei der Einreise in Deutschland zu
       beantragen“, sagt die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger. „Statt jetzt mit
       persönlichen Bestürzungsbekundungen und Bildern von Opfern des Erdbebens
       vermeintliche Hilfsbereitschaft zu fingieren, sollten Innenministerin
       Faeser und Außenministerin Baerbock endlich den Weg freimachen für eine
       schnelle Aufnahme aus den Erdbebengebieten.“
       
       ## „Krasse Kategorisierung“
       
       Selbst innerhalb der Ampel sind die Regeln umstritten. „Visa für
       Syrer*innen sind quasi ausgeschlossen“, sagt der Grünen-Abgeordnete
       Julian Pahlke. „Das ist eine krasse Kategorisierung von Erdbebenopfern.“
       Auch für syrische Staatsangehörige brauche es „ernsthafte
       Visaerleichterungen“.
       
       Baerbock und Faeser dagegen wirken am Dienstag mit den geltenden Regeln
       zufrieden. Am Nachmittag geben sie vor einem Trümmerhaufen in Pazarcık ein
       Pressestatement ab. Für diejenigen, behauptet die Außenministerin, die gar
       nichts mehr haben, die massive Traumata hätten oder verletzt seien, „für
       die haben wir unbürokratisch ein Verfahren auf den Weg gebracht“.
       
       Liege ein Reisepass unter Trümmern, sei das auch kein Hindernis, ergänzt
       die Innenministerin: Die türkischen Behörden seien sehr hilfreich und
       würden die nötigen Daten in diesen Fällen digital übermitteln. Die Vorgaben
       aber weiter absenken? „Sie müssen mitbedenken: Ich bin für die Sicherheit
       in Deutschland verantwortlich“, sagt Nancy Faeser. Sie müsse Vorkehrungen
       treffen. Sogar nach einem Erdbeben.
       
       22 Feb 2023
       
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       ## AUTOREN
       
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