# taz.de -- Pressefreiheit im Iran: Die Angst vor den Worten
       
       > Iran lässt einige politische Gefangene wieder frei. Doch das Regime
       > verschärft seinen Kurs gegen kritische Journalistinnen.
       
 (IMG) Bild: Ein Gefangener liest Zeitung im Evin-Gefängnis in Teheran
       
       „Warum verhaftet ihr nicht gleich die ganze Familie?“, schrieb die
       Journalistin Nasila Marufian auf Instagram, als am 6. Februar die Festnahme
       der iranischen Journalistin Elnaz Mohammadi bekannt wurde. Ihre
       [1][Zwillingsschweste]r steht schon seit Ende September unter Arrest, war
       mehrere Wochen in Einzelhaft. Das Vergehen von Elahe Mohammadi: Sie hatte
       über das Begräbnis von [2][Mahsa Amini] berichtet, jener jungen Frau, die
       in Gewahrsam der Sittenpolizei gestorben ist und deren Tod im Iran eine
       landesweite, anhaltende Protestbewegung ausgelöst hat.
       
       Warum man nun auch Elnaz Mohammadi festnehmen ließ, ist unklar. Nach einem
       Bericht der iranischen Tageszeitung Shargh wurde Elnaz Mohammadi am 5.
       Februar zu einer Befragung vor einem Gericht des berüchtigten
       Evin-Gefängnisses für politische Gefangene vorgeladen, bevor sie dort
       verhaftet wurde. Am 12. Februar kam Mohammadi auf Kaution wieder frei. Was
       ihr vorgeworfen wird, ist noch nicht bekannt.
       
       Mit dieser jüngsten Festnahme steigt laut Angaben des „Committee to Protect
       Journalists“ (CPJ) die Zahl der festgenommenen Journalisten seit Beginn der
       Proteste im Iran auf 95.
       
       Manche werden zur Befragung vorgeladen und festgenommen, wie der
       Herausgeber Mohammad Zare-Foumani, bei anderen bricht man in ihre Wohnungen
       ein und verschleppt sie vor ihren Familien, wie den Journalisten Ehsan
       Pirbornash, in anderen Fällen wiederum werden sie mitten auf offener Straße
       verhaftet, wie die Fotografin Yalda Moayeri. Weil so viele Frauen darunter
       sind, ist Iran heute nach China das Land mit den meisten inhaftierten
       Journalistinnen weltweit.
       
       ## Tägliche Gratwanderung
       
       Sicher waren Journalisten im Iran noch nie. [3][Laut der NGO „Reporter ohne
       Grenzen“] rangiert Iran unter den zehn Ländern mit der am meisten
       eingeschränkten [4][Pressefreiheit weltweit]. Wer dennoch kritisch
       berichten will, für den oder die ist der Beruf eine täglich neu zu
       beschreitende Gratwanderung. Zu den Tabu-Themen, die iranische
       Journalistinnen und Journalisten am besten gar nicht erst ansprichen,
       gehören etwa der Oberste Führer Ali Khamenei, die Revolutionsgarden und
       religiöse Fragen – was indirekt auch Frauenrechte beinhaltet.
       
       Die Kunst bestand bisher darin, bis an die rote Linie zu gehen und nicht
       weiter. Eine Kunst deshalb, weil diese Linie ständig neu gezogen wurde. Die
       Mohammadi-Schwestern versuchten immer wieder, die Linie zu erkennen und sie
       als Grenze einzuhalten. Doch manchmal nahmen sie das Risiko in Kauf, zu
       weit zu gehen. Elahe schrieb Anfang 2020 über die grauenhaften Zustände im
       Frauengefängnis Qarchak während der Pandemie. Elnaz berichtete über Frauen
       der Bachtiari-Nomaden, denen die Regierung den Zugang zu Verhütungsmitteln
       versagte, um die Geburtenrate in die Höhe zu treiben.
       
       Dabei verschoben sich die roten Linien ständig. Das Risiko, einmal zu weit
       zu gehen, war ein ständiger Begleiter. Für ihre Gefängnis-Reportage wurde
       Elahe Mohammadi ein Jahr lang mit einem Berufsverbot belegt und von Agenten
       dauerüberwacht. Die Schwester Elnaz kam wegen ihres Berichts zur
       Geburtenpolitik mit einer „Verwarnung“ davon.
       
       Inzwischen sind die roten Linien im Iran aber noch einmal deutlich enger
       gezogen. Selbst jetzt, wo es auf den Straßen im Iran wieder weitgehend
       ruhig ist und zahlreiche politische Gefangene freigelassen wurden, halten
       die Verhaftungen von Journalisten an.
       
       ## Geleakte Gespräche
       
       „Das Regime versucht damit im Augenblick gezielt, Informationen über
       verletzte und festgenommene Demonstranten zu verhindern“, sagt Yeganeh
       Rezaian, Expertin von CPJ, gegenüber der taz. Geleakte Gespräche zwischen
       hochrangigen Revolutionsgardisten zeigten vor einigen Wochen die Sicht des
       Regimes: Bisher habe man den „medialen Krieg auf ganzer Linie verloren“.
       Mit den üblichen Mitteln der Unterdrückung versucht das Regime nun, die
       Kontrolle über das Narrativ noch irgendwie zurückzugewinnen.
       
       Im Falle der Verhaftung von Elnaz Mohammadi vermutet Rezaian, dass sie
       direkt mit deren Schwester zusammenhängt. „Das Regime setzt
       Familienmitglieder, Verwandte und Freunde oft als Druckmittel gegen
       Journalisten und andere politische Gefangene ein“, sagt Rezaian. Auf diese
       Weise würden beispielsweise auch falsche Geständnisse erzwungen.
       
       Schon im Oktober haben iranische Geheimdienste Elahe Mohammadi und ihrer
       Kollegin Nilufar Hamedi, die ein Foto von Mahsa Amini im Koma in einem
       Teheraner Krankenhaus veröffentlicht hatte, vorgeworfen, nicht als
       Journalistinnen, sondern als Agentinnen im Auftrag ausländischer Mächte
       gehandelt zu haben. Die Anklage soll die Journalistinnen diskreditieren und
       zugleich andere Kollegen abschrecken. „Ihr könntet den Journalismus genauso
       gut abschaffen“, reagierte der iranische Journalisten-Verband auf die
       absurden Anschuldigungen.
       
       Während Mohammadi und Hamedi noch auf ihren Prozess warten, wurden andere
       Journalisten schon verurteilt, so der Fotoreporter Aria Jafari von der
       halbstaatlichen Nachrichtenagentur ISNA (Iranian Students’ News Agency),
       der zu 7 Jahren Haft und 74 Peitschenhieben verurteilt wurde, oder die
       Fotografin Yalda Moaiery, die 6 Jahre Gefängnis absitzen und zwei Monate
       gemeinnützige Arbeit als Straßenkehrerin leisten muss. In einem Video, in
       dem sie beim Straßenkehren zu sehen ist, sagt sie trotzig: „Ich habe nicht
       nur kein Problem damit, einer so ehrenwerten Tätigkeit nachzugehen, sondern
       ich werde sie auch, da ich ohnehin nicht mehr fotografieren darf, mit
       Leidenschaft ausführen.“
       
       Bei aller Härte, die die Islamische Republik gegen Journalisten und
       Journalistinnen anwendet, die nichts anderes tun, als ihren Beruf
       auszuüben, ist es unwahrscheinlich, dass der „mediale Krieg“ noch gewonnen
       werden kann. Selbst wenn es dem Regime gelingen sollte, die eigenen
       Berichterstatter mundtot zu machen, informieren sich die meisten
       Iranerinnen und Iraner heute ohnehin lieber über soziale Medien und
       persischsprachige Auslandsmedien, wo rote Linien und Zensur gar nicht
       existieren. Daran werden auch die Warnungen des Regimes nichts ändern, dass
       diese Medien vom „Feind“ finanziert seien.
       
       Im Grunde ist die Niederlage im Medienkrieg selbstverschuldet. Solange
       heimische Journalisten bedroht, verhaftet und gefoltert werden, werden sich
       die Iraner weiterhin auf Telegram, Iran International, Manoto oder BBC
       Persian verlassen, um kritisch und objektiv informiert zu werden.
       
       19 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Brief-an-eine-iranische-Journalistin/!5905390
 (DIR) [2] /Proteste-in-Iran/!5890973
 (DIR) [3] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2022/RSF_Rangliste_der_Pressefreiheit_2022.pdf
 (DIR) [4] /Schwerpunkt-Pressefreiheit/!t5007487
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Teseo La Marca
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Iran
 (DIR) Feinde der Pressefreiheit
 (DIR) Frauenfeindlichkeit
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
 (DIR) Proteste in Iran
 (DIR) Proteste in Iran
 (DIR) Proteste in Iran
 (DIR) Schwerpunkt Berlinale
 (DIR) Proteste in Iran
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Erneute Verhaftung in Iran: Nazila Maroofian ist eine Ikone
       
       Die 23-jährige Journalistin wird zum vierten Mal seit den Protesten in Iran
       verhaftet. Spätestens jetzt sollte jeder von ihrer Geschichte gehört haben.
       
 (DIR) Verhaftung von Journalistin in Iran: Nasila Marufian festgenommen
       
       In Iran ist die bekannte Journalistin Marufian erneut verhaftet worden.
       Grund für die Festnahme seien Verstöße gegen die islamischen
       Kleidungsregeln.
       
 (DIR) Journalistinnen in Iran vor Gericht: Prozess statt Preisverleihung
       
       Der Tod Mahsa Jina Aminis wäre ohne Hamedi und Mohammadi nicht so
       öffentlich geworden. Nun klagt Iran sie an – und offenbart damit eigene
       Schwächen.
       
 (DIR) Todesurteil in Teheran: Deutsch-Iraner zum Tode verurteilt
       
       Jamshid Sharmahd gehört zur Dissidentengruppe „Kingdom Assembly of Iran“.
       Seine Familie darf kaum Kontakt zu ihm haben und kritisiert den Prozess als
       unfair.
       
 (DIR) Analyst über Iran und die Münchner Sicherheitskonferenz: „Streiks könnten das Regime brechen“
       
       Eine Exil-Koalition trägt den Ruf nach Regimesturz ins Ausland. In Iran
       dürfte es sehr bald schon neue Proteste geben, sagt der Politologe Ali
       Fathollah-Nejad.
       
 (DIR) Die Retrospektive der Berlinale: Rebellion gegen das Passendmachen
       
       Filmprominenz wählte die Filme aus: Die Retrospektive der Berlinale blickt
       auf Jugend und Heranwachsen. Sie besticht durch Vielstimmigkeit.
       
 (DIR) Sanktionen gegen Irans Revolutionsgarden: Streit um EU-Terrorliste
       
       Die EU-Staaten streiten über weitere Iran-Sanktionen. Es soll die
       Revolutionsgarden treffen – für die iranische Wirtschaft wäre das ein
       harter Schlag.