# taz.de -- Urteil gegen finnische JournalistInnen: Gefährlicher Präzedenzfall
       
       > Zwei JournalistInnen recherchierten 2017 zur erweiterten Überwachung in
       > Finnland. Nun wurden sie wegen Landesverrats schuldig gesprochen.
       
 (IMG) Bild: Antero Mukka, Chefredakteur der „Helsingin Sanomat“
       
       Stockholm taz | „Natürlich sind wir sehr enttäuscht“, sagt Antero Mukka,
       Chefredakteur von Helsingin Sanomat (HS), Finnlands auflagenstärkster
       Tageszeitung. Am vergangenen Freitag befand ein Gericht in Helsinki zwei
       JournalistInnen der Zeitung, Tuomo Pietiläinen und Laura Halminen, der
       „Offenlegung von Staatsgeheimnissen“ also des Landesverrats für schuldig.
       
       Zwar habe das Gericht „mildernde Umstände“ erkannt, sagt Mukk, und statt
       der von der Staatsanwaltschaft geforderten Haftstrafe Pietiläinen lediglich
       zu einer Geldstrafe von 4.200 Euro verurteilt, während Halminen trotz
       Schuldspruch straffrei blieb: Aber der Angriff auf die Pressefreiheit in
       Finnland bestehe darin, dass es diesen f[1][ür die finnische Nachkriegszeit
       beispiellosen Prozess] überhaupt gegeben habe.
       
       Drohe man nämlich JournalistInnen, dass sie wegen ihrer Arbeit im Gefängnis
       landen könnten, habe das für sie und die Medien „eine abschreckende Wirkung
       sich überhaupt mit Themen der nationalen Sicherheit oder militärischen
       Angelegenheiten zu befassen“.
       
       Verurteilt wurden Pietiläinen und Halminen wegen einer Recherche aus dem
       Jahr 2017. Damals lag dem finnischen Reichstag ein Gesetzentwurf vor, mit
       dem den Sicherheitsdiensten kräftig erweiterte Überwachungsbefugnisse der
       Mobiltelefon- und Internetkommunikation eingeräumt werden sollten. Für HS
       war das ein Anlass, sich ausführlicher mit dem Überwachungsthema zu
       beschäftigen.
       
       ## Politik und Militär reagierten massiv
       
       Am 16. Dezember 2017 wurde ein als Auftakt zu einer ganzen Artikelserie
       gedachter Text zum Abhörkomplex veröffentlicht. Im Zentrum stand dabei eine
       in Tikakoski stationierte militärische Einheit zur Überwachung der
       elektronischen Kommunikation. Deren Existenz und Standort konnte man
       allgemein zugänglichen Quellen entnehmen und auch andere Informationen
       waren nicht wirklich überraschend: Beispielsweise, dass von dort russische
       Truppenbewegungen beobachtet würden und dass das Militär wegen ernster
       Sicherheitsbedenken der Regierung in Helsinki abgeraten hatte, eine
       Genehmigung zum Bau der Ostseepipeline Nord Stream zu erteilen.
       
       Politik und Militär reagierten massiv auf die Veröffentlichung.
       Staatspräsident Sauli Niinistö forderte noch am Erscheinungstag eine
       strafrechtliche Untersuchung: Es habe offenbar ein Leck gegeben, die
       Sicherheit Finnlands sei gefährdet. Der Generalstab stellte Strafanzeige
       gegen die Zeitung und äußerte den Verdacht, diese müsse auf illegalem Weg
       an geheimes Material gelangt sein.
       
       Die Ermittlungen zogen sich über vier Jahre. Im November 2021 erhob die
       Staatsanwaltschaft Anklage: Durch die Veröffentlichung seien geheime
       Informationen über Organisation und Arbeitsweise des Abhörzentrums
       allgemein bekannt geworden, was eine Gefahr der äußeren Sicherheit
       Finnlands darstelle.
       
       ## Es geht um „geheimes Material“
       
       Es seien offenbar als „geheim“ klassifizierte Papiere verwendet worden,
       konstatierte nach einem drei Monaten langem Prozess nun auch das
       Amtsgericht Helsinki. Allerdings seien die zum Zeitpunkt der Publizierung
       schon 10 Jahre alt und daher nicht mehr sicherheitsrelevant gewesen.
       Trotzdem ordnete es an, HS müsse den Onlinetext entfernen. Auch ein
       weiterer Teil des Urteils erstaunt: Das Gericht hält allein die
       VerfasserInnen des Texts für verantwortlich, nicht etwa die Redaktion.
       
       Man bleibe dabei, dass man kein geheimes Material öffentlich gemacht habe,
       sagt Chefredakteur Mukka. Ob die Verurteilten Berufung gegen das Urteil
       einlegen, stand am Montag noch nicht fest. Die Staatsanwaltschaft hat
       angekündigt, im Laufe dieser Woche eine Entscheidung über das Einlegen von
       Rechtsmitteln verkünden zu wollen.
       
       „Wenn ein Gericht in einem Land, das im World Press Freedom Index an der
       Spitze steht, Journalisten wegen Berichterstattung über nationale
       Sicherheitsfragen strafrechtlich verfolgt, welche Botschaft sendet es dann
       an die niedriger eingestuften Länder?“, heißt es in einer Erklärung von
       Reporter ohne Grenzen. Das Urteil sei „ein gefährlicher Präzedenzfall
       [2][für die Pressefreiheit] in Finnland und international“. Das dürfte auch
       die Absicht sein. Nach 2017 waren die geplanten Texte der HS-Artikelserie
       nicht mehr veröffentlicht worden.
       
       30 Jan 2023
       
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