# taz.de -- Tod nach Ingewahrsamnahme: Angehörige vermuten Polizeigewalt
       
       > Die Braunschweiger Polizei steckt einen Mann am Neujahrsmorgen in eine
       > Ausnüchterungszelle. Drei Tage später ist er tot. Angehörige wollen
       > Aufklärung.
       
 (IMG) Bild: Fugenlos und lückenlos überwacht: Ausnüchterungszelle
       
       Hamburg taz | Am Neujahrsmorgen ist ein 38-jähriger Mann nach einer
       Auseinandersetzung in einer Gaststätte in der Braunschweiger Innenstadt in
       Polizeigewahrsam genommen worden. Er soll unter dem Einfluss von Alkohol
       und Drogen gestanden haben, teilt die Polizei mit, deshalb sei er
       medizinisch überwacht worden.
       
       Als eine Ärztin ihm Blut abnehmen wollte, bemerkte sie, dass er ohnmächtig
       war. Die Ärztin musste ihn reanimieren, ein Notarzt wurde angefordert.
       Nachdem die Vitalfunktionen des Mannes wieder eingesetzt hatten, wurde er
       in das Klinikum Braunschweig verlegt. Am dritten Januar starb der Mann.
       Sein Name ist Johnson, er kommt aus Guinea und ist Schwarz.
       
       Die Hautfarbe Johnsons ist relevant, denn die Umstände des
       Polizeigewahrsams – weshalb er dorthin überführt wurde und warum er
       anschließend starb – sind bislang nicht vollständig geklärt. Ob es sich bei
       dem Fall Johnson um [1][rassistische Polizeigewalt] handelt, steht
       zumindest für die Staatsanwaltschaft noch zur Diskussion.
       
       Sie hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Die Ergebnisse einer
       Obduktion des Leichnams liegen bereits vor. Die Polizeiinspektion Gifhorn
       teilt mit, dass es am Körper des Mannes „keine Hinweise auf relevante bzw.
       todesursächliche Gewalteinwirkungen“ gebe. Die Todesursache bliebe damit
       weiterhin ungeklärt und erfordere weitere toxikologische und
       neuropathologische Untersuchungen, die „erfahrungsgemäß mehrere Wochen in
       Anspruch nehmen können“.
       
       ## Polizei sucht Zeugen
       
       Außerdem bittet die Polizei in der Meldung potenzielle Zeug*innen darum,
       Auskunft darüber zu geben, was am 1. Januar in der Braunschweiger
       Gaststätte „Charly Chaplin“ passiert ist.
       
       War die Überführung des 38-Jährigen in Polizeigewahrsam überhaupt
       gerechtfertigt? Auf dem Instagram-Account @johnsonbraunschweig, der von
       Angehörigen Johnsons betrieben wird, stellen diese genau das infrage. Sie
       fordern eine lückenlose Aufklärung der Umstände seines Todes und in diesem
       Zuge auch die Freigabe der Videoaufzeichnungen aus dem Lokal.
       
       Diese hat die Polizei Braunschweig der Staatsanwaltschaft übergeben. Mit
       dem Beweismaterial hoffe die Staatsanwaltschaft, den Tathergang genau
       aufklären zu können, sagt deren Sprecher Hans Christian Wolters.
       
       Bei seiner Festnahme war Johnson laut Aussage der Polizei mindestens
       alkoholisiert. Dass er statt in eine Klinik auf das Präsidium gebracht
       wurde, ist auf ein Pilotprojekt zurückzuführen, das bereits in der
       Vergangenheit kontrovers diskutiert wurde.
       
       Das von der Polizeiinspektion Braunschweig, dem städtischen Klinikum und
       der Stadt entwickelte sogenannte „Braunschweiger Modell“ wurde im Sommer
       2020 vorgestellt. Es umfasst die Unterbringung „intoxikierter Menschen“ in
       medizinisch überwachten Räumen der Polizei und nicht in einem Klinikum,
       teilten die Initiatoren damals mit. Ziele seien die „Entlastung der
       wertvollen personellen und räumlichen Ressourcen im Klinikum“ sowie der
       Schutz von Klinik- und Rettungspersonal.
       
       Die Linksfraktion in Braunschweig hatte das Vorhaben damals kritisiert und
       zwei Änderungsanträge gestellt. „Menschen, die nicht kriminell sind, sollen
       kriminalisiert und inhaftiert werden“, heißt es darin. Außerdem gehe es der
       Polizei in Braunschweig darum, ihre oft leer stehenden Zellen zu füllen und
       durch den Wegfall der Fahrten zwischen dem Klinikum und den Polizeiwachen
       Geld zu sparen.
       
       Die Linksfraktion kritisiert in ihren Anträgen weiterhin, dass das
       Pilotprojekt, das sich an einem Beispiel aus Stuttgart orientiere, auf der
       falschen Behauptung der Verwaltung gründe, es hätte dort während der
       Umsetzung keine Todesfälle gegeben.
       
       ## Fragwürdige Praxis
       
       Tatsächlich wurde in Stuttgart 2001 mit der Einrichtung einer Zentralen
       Ausnüchterungseinheit (ZAE) ein vergleichbares Projekt gestartet. 2019
       starben binnen kurzer Zeit zwei Personen in der ZAE, woraufhin die örtliche
       Polizei selbst die intensivmedizinische Versorgung alkoholisierter Personen
       durch ihr Personal infrage stellte – so stand es in der Stuttgarter
       Zeitung.
       
       Im Zusammenhang mit Ingewahrsamnahmen und Festnahmen von Menschen mit
       Rassismuserfahrungen kommt es immer wieder zu Todesfällen in Deutschland.
       [2][181 Todesfälle im Gewahrsam seit 1990 hat die Kampagne „Death in
       Custody“ im vorvergangenen Jahr recherchiert]. In Hamburg starb im Februar
       vergangenen Jahres ein psychisch auffälliger Mann kurz nach seiner
       Festnahme. Im Jahr zuvor war ein 19-jähriger [3][Yezide in Delmenhorst] im
       Krankenhaus gestorben, nachdem er im Polizeigewahrsam kollabiert war.
       
       „[4][#rassismustötet]“ ist denn auch einer der Hashtags, den die
       Angehörigen Johnsons verwenden, um Öffentlichkeit für ihre Forderung nach
       einer vollständigen Aufklärung des Falles herzustellen. Zuvor posteten sie
       ein Foto, auf dem ein Mann zu sehen ist, der im Krankenhaus liegt.
       
       Trotz der Schläuche, durch die er beatmet wird, sind Verletzungen in seinem
       Gesicht erkennbar. Bei dem Mann handelt es sich angeblich um den
       38-Jährigen. Der letzte Satz des über das Foto gelegten Textes lautet: „Man
       ist hier in Deutschland nicht mehr sicher.“
       
       12 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Polizeigewalt-gegen-Schwarze/!5889026
 (DIR) [2] /Gewalt-bei-der-Polizei/!5757873
 (DIR) [3] /Ermittlungen-im-Fall-Qosay-Khalaf/!5821955
 (DIR) [4] https://www.instagram.com/rassismus_toetet_leipzig/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ann-Christin Dieker
       
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