# taz.de -- Tagebuch aus Lützerath (11): Die Räumung beginnt
       
       > Die Polizei steht in Lützerath. Doch außer ihr kann niemand mehr rein,
       > keine Aktivist:innen, keine Presse. Ab jetzt ist nichts mehr, wie es war.
       
 (IMG) Bild: Hektische Szenen in Lützerath
       
       Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen
       Braunkohleabbau auszuweiten. Die Besetzer:innen wehren sich. Nun hat
       die Räumung begonnen. Unsere Autor*innen Aron Boks und Annika Reiß leben
       mit den Aktivist*innen – Aron vor Ort, Annika in einem Lager nebenan.
       [1][Ein Tagebuch] 
       
       [2][Lützerath] ist umstellt. Die Polizei ist am Mittwoch tatsächlich ins
       Dorf eingedrungen, nachdem sie sich tagelang nur am Ortseingang bewegt
       hatte. Die Räumung hat angefangen. Ich habe keine Sekunde geschlafen.
       
       „Die stürmen wahrscheinlich die Paula“, schreibt mir mein Kollege Aron
       Boks. Der riesige Hof mit dem wunderschönen in Regenbogenfarben bemalten
       Eingangstor und so vielen Zimmern, dass ich mich nicht selten verlaufen
       habe? Heute schon? Ich öffne hektisch den Infoticker. Ich weiß nicht, was
       ich mir davon erhoffe. Es passiert so viel gleichzeitig, dass ich den
       Wunsch, den Überblick zu behalten, wohl am besten begrabe.
       
       „Der Polizeieinsatz begann um 7:30 Uhr und gegen 9 war der ganze Boden von
       Polizei besetzt. Keiner hat gedacht, dass das so schnell passiert“, sagt
       Aron am Telefon. Er flüstert und redet sehr schnell. Wer weiß, wie lange
       man noch reden kann. Daher verkneife ich mir zu fragen, wie es ihm geht,
       auch wenn das in der jetzigen Situation schwer fällt. Er sitzt eingehakt
       mit Menschen im „Phantasialand“ – ein Barrio mit Holzhütten und
       Baumhäusern. Menschen kommen aus Lützerath zurück ins Camp, wo auch ich
       bin, und berichten, von ihren Bezugsgruppen getrennt worden zu sein.
       
       „Die BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, Anm. d. Red.) lief mit
       Fäusten und Knüppeln voraus“, erzählt mir Leo. „Sie haben nicht gesagt:
       ‚Bitte verlassen Sie den Ort‘, sondern: ‚Verpisst euch, sonst gibt es auf
       die Fresse.‘“
       
       Er studiert Jura und will einen Beitrag leisten, indem er Rechtsauskünfte
       erteilt, wo es nötig ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass am Ende
       einer Untersuchung dieses Polizeieinsatzes ein anderes Urteil stehen wird
       als im Hambacher Forst“, sagt er.
       
       Parallel kommen Nachrichten von Freund:innen und Bekannten bei mir an,
       die noch auf dem Weg hierher sind. Falls sie auf dem Weg festgenommen
       werden und ich mich frage, wo sie bleiben. Die Begründung für Festnahmen in
       solchen Fällen ist immer dieselbe: Gefahrenabwehr. Damit muss man rechnen,
       aber es heißt für mich, ich bewege mich an keinem Ort hier mehr ohne Angst.
       
       Ich bin nicht direkt am Ort des Geschehens. Mein Herz rast trotzdem.
       Niemand wird nun mehr in den Ort gelassen. Keine Aktivist:innen, keine
       Presse. Im Infoticker lese ich, dass die Polizei Journalist:innen bei
       ihrer Arbeit behindert und mit Festnahmen droht. So eine Einschränkung, so
       ein radikales und gewaltsames Vorgehen der Polizei hab ich noch nie erlebt.
       Ab jetzt ist nichts mehr, wie es war.
       
       11 Jan 2023
       
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