# taz.de -- Proteste an der Universität Jena: Zu ungeduldig für Basisdemokratie
       
       > Das Präsidium der Uni Jena will die Besetzung eines Hörsaals beenden.
       > Doch die Studierenden sind entschlossen – und bleiben bei ihren
       > Forderungen.
       
 (IMG) Bild: Besetzter Hörsaal in der Universität Jena am 4. Dezember
       
       JENA taz | „Herzlich Willkommen“ und „Besetzt“ steht auf großen Bannern
       über dem Eingang des Hörsaal 1 – dem größten im Gebäude – an der
       Universität Jena. Der Hörsaal ist seit mittlerweile [1][sieben Tagen
       besetzt], um gegen die Entscheidung des Präsidiums zu protestieren, den
       Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte abzuschaffen.
       
       Für diesen Zweck wurden Matratzen, Pflanzen und Lichterketten in den Raum
       geschafft, an der Tafel steht der Tagesablauf mit Plena und Vorträgen.
       Immer mehr Menschen strömen in den Raum, einige tragen ein Tablett mit
       Mensaessen, andere unterhalten sich leise.
       
       [2][Der Hörsaal wurde] in den letzten Tagen permanent von etwa 30 Personen
       und zeitweise von mehr als 100 Personen besetzt. Damit soll jetzt Schluss
       sein, das wünscht sich zumindest das Präsidium unter Prof. Dr. Walter
       Rosenthal von den Besetzer*innen. Laut den Organisator*innen, einer Gruppe
       Studierender der Universität Jena, kam die Forderung der Beendigung der
       Besetzung überraschend.
       
       Für die Deadline, Dienstag am Nikolaustag um 12 Uhr, wurden noch einmal
       verstärkt Menschen eingeladen. Und die kamen auch. Etwa 400 Personen, viele
       davon [3][selbst Studierende], die meisten davon dem linken Spektrum
       zuzuordnen. Einige Personen mit Hemd und Sakko stachen heraus, denn die
       Universitätsleitung war auch da. Der Präsident ließ sich allerdings nicht
       blicken. Ihr Erscheinen war laut den Organisator*innen nicht
       abgesprochen.
       
       Uwe Cantner, der Vizepräsident, steht mit vorbereiteten Karteikarten vor
       dem Podium mit Blick zu den langen Sitzreihen. Die haben sich mittlerweile
       gefüllt. “Der Hörsaal ist voller als bei jeder Vorlesung“ hört man aus der
       Menge.
       
       ## Alle haben Stimmrechte
       
       „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns den Lehrstuhl klaut“ wird durch
       das Mikro gerufen und vom Publikum wiederholt. Mittlerweile steht der
       Vizepräsident auf der Bühne. Über sein Rederecht muss aber erst abgestimmt
       werden. Das geschieht nach einem basisdemokratischen Verständnis, wie alle
       Entscheidungen in der Organisationsgruppe getroffen werden sollen.
       
       Im Hörsaal bedeutet das, dass alle Menschen im Publikum zu dem Rederecht
       abstimmen können, aber auch, dass jede einzelne Person ihre Meinung zu dem
       Vortrag sagen darf.
       
       Es wird hitzig, für besondere Aufregung sorgt, dass das Präsidium im
       Vorhinein ankündigt, keine Fragen zu beantworten. „Das geht doch nicht“,
       wird gerufen. Eine ältere Rednerin mit gestrickter Regenbogenmütze meint
       bestimmt: „Wir bleiben eben so lange hier, bis unsere Fragen beantwortet
       werden. Punkt“. Die Entscheidung zieht sich in die Länge. Zuhören oder es
       sein lassen? Können Fragen gesammelt werden oder müssen sie jetzt gestellt
       werden?
       
       Als die Redner*innen am Pult eine schriftliche Bestätigung des
       Präsidiums fordern, dass sie die Fragen auch wirklich beantworten werden,
       ist das wohl zu viel, dauert zu lang und das Präsidium verschwindet durch
       den Ausgang, ohne das Publikum noch einmal eines Blicks zu würdigen. So
       bleibt unklar, was sie zu den Anschuldigungen oder zu der Besetzung gesagt
       hätten.
       
       Sicherlich wären sie auch sehr publikumswirksam ausgebuht worden, aus den
       Wortmeldungen und bestätigendem Beifall vorher konnte man schon entnehmen,
       dass die meisten Anwesenden solidarisch mit den Besetzer*innen sind.
       
       Die Redner*innen machen trotzdem weiter, bekräftigen die
       Gesprächsbereitschaft ihrerseits und präsentieren ihre Forderungen: Dazu
       gehören neben dem Fortlauf des Lehrstuhls auch der Wunsch nach einer
       transparenten und demokratischen Entscheidungsfindung an der Universität
       und nach besseren Löhnen für studentische Hilfskräfte.
       
       ## Ein Motivationsschub
       
       „Es ist für mich ein richtig guter Motivationsschub, dass heute so viele
       Leute da waren und sich mit uns solidarisiert haben“ sagt Jonas, ein
       Mitorganisator der Besetzung der taz. „Es macht Lust, weiterzumachen. Und
       es sind ja auch immer noch nicht alle Forderungen ausgehandelt“, bestätigt
       Sophia. „Wenn die Universität überraschend fordert, die Besetzung zu
       räumen, obwohl sie vorher entgegenkommend reagiert hat, dann ist das eine
       Verschärfung der Situation. Wir bleiben aber weiterhin gesprächsbereit“,
       fügt sie hinzu.
       
       An ein Aufgeben ist noch nicht zu denken. Die Studierenden wollen sich klar
       gegen einen Rechtsruck positionieren, der in Thüringen stattfindet. Während
       der Kundgebung im Hörsaal kommt die Nachricht rein, dass etwa zehn Personen
       von der AfD vor dem Hörsaal protestieren und auch versuchen in das Gebäude
       zu kommen.
       
       Ob das Präsidium nach dem verwehrten Redewunsch noch gesprächsbereit ist,
       bleibt abzuwarten. Sie hatten den Besetzer*innen eigentlich mündlich
       einen anderen Raum anbieten wollen, um die Besetzung zu beenden, sagte eine
       Sprecherin der Universitätsleitung der deutschen Presseagentur.
       
       Vorerst dürfen die Besetzer*innen noch bleiben. Spannend wird in den
       nächsten Tagen, wie die Studierenden ihre Forderungen ausarbeiten und sich
       intern organisieren können. Die Beinahe-Räumung endet mit der
       Aufforderungen, in kleinen Gruppen weiter über die Inhalte zu diskutieren.
       
       7 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ende-des-Lehrstuhls-Geschlechtergeschichte/!5896542
 (DIR) [2] /Universitaetsbesetzungen-sind-zurueck/!5896655
 (DIR) [3] /Klimaaktivistinnen-im-Hoersaal/!5896105
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ann-Kathrin Leclere
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Besetzung
 (DIR) Geschlechtersterotype
 (DIR) Studierende
 (DIR) Universität
 (DIR) Protest
 (DIR) Hochschule
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Universitätsbesetzungen sind zurück: Ab in die Hörsäle
       
       Studierende sind von vielen Krisen direkt betroffen. Nun entdecken sie die
       Besetzung von Universitäten als Protestform wieder.
       
 (DIR) Ende des Lehrstuhls Geschlechtergeschichte: Hörsaal in Jena besetzt
       
       Studierende protestieren gegen das Ende der Professur für
       Geschlechtergeschichte. Und gegen Arbeitsbedingungen studentischer
       Hilfskräfte.
       
 (DIR) Klimaaktivist:innen im Hörsaal: Unterbrochener Normalzustand
       
       Klimaaktivist:innen halten an der TU Berlin einen Hörsaal besetzt.
       Sie wollen, dass Lehre und Forschung die Klimakrise in den Fokus rückt.