# taz.de -- Corona-Pandemie in China: Abrupte Öffnung mit fatalen Folgen
       
       > Die große Coronawelle bringt das Gesundheitssystem in Peking an seine
       > Grenzen. In den nächsten Monaten könnten Hunderttausende am Virus
       > sterben.
       
 (IMG) Bild: Zwei Pfleger kümmern sich im einen Corona-Infizierten in Peking
       
       Peking taz | Was sich dieser Tage in Pekings Krankenhäusern abspielt,
       erinnert [1][an den ersten Corona-Ausbruch in Wuhan] vor exakt drei Jahren:
       Die Notaufnahmen der Stadt werden von Infizierten überfüllt, während das
       Gesundheitspersonal dem Ansturm nicht ansatzweise gewachsen ist – es fehlt
       an Betten, Sauerstoffbehältern und grundlegenden Medikamenten.
       
       Zu Beginn des Monats hat die Volksrepublik China die vielleicht radikalste
       pandemische Kehrtwende hingelegt: [2][Die „Null Covid“-Strategie] der
       letzten zweieinhalb Jahre wurde durch eine schnellstmögliche Durchseuchung
       ersetzt. Und tatsächlich lernt die chinesische Gesellschaft mit dem Virus
       zu leben: In Peking ist in den Restaurants und Shopping-Malls eine nahezu
       postpandemische Normalität eingekehrt.
       
       Die wahren Ausmaße sind jedoch kaum zu erfassen, da die Regierung einen
       empirischen Blindflug gewählt hat: Die Gesundheitskommission publizierte
       zunächst schön gefärbte Coronazahlen, ehe sie die täglichen Updates ganz
       einstellte.
       
       Intern jedoch kursieren längst realistische Prognosen: Laut einem Leak der
       Gesundheitskommission geht man allein in den ersten 20 Dezembertagen von
       250 Millionen Infizierten aus, was nahezu einem Fünftel der
       Gesamtbevölkerung entspricht.
       
       ## Mutiger Schritt
       
       Einzelne Lokalregierungen haben zudem den mutigen Schritt in die
       Öffentlichkeit gewagt: Allein in der Ostküstenstadt Qingdao würde es
       derzeit zu 500.000 täglichen Neuinfektionen kommen, Tendenz steigend. In
       der Provinz Zhejiang nahe Shanghai sind es über eine Million neuer
       Coronafälle täglich.
       
       „In China stehen wir vor einer humanitären Krise mit Hunderttausenden Toten
       in den nächsten Monaten“, kommentiert Mediziner David Owens von der
       Universität Hongkong. Wie viele Chinesen genau an dem Virus sterben, hat
       das Londoner Analyse-Unternehmen Airfinity in einer am Mittwoch
       publizierten Prognose mit 5.000 Personen pro Tag zu beziffern versucht.
       
       Längst hat das Virus auch die abgelegenen Provinzen erreicht, in denen das
       Gesundheitssystem nur rudimentär entwickelt ist. Doch wie Zeugen anonym
       berichten, scheint niemand mehr die Coronagefahr ernst zu nehmen:
       Angestellte werden trotz Fieber ins Büro beordert, Infizierte nehmen weiter
       am öffentlichen Leben teil. Schuld daran ist auch die öffentliche
       Propaganda, die nach der überhasteten und radikalen Öffnung des Landes
       systematisch das Virus bagatellisiert. Die horrenden Konsequenzen werden
       sich in den nächsten Wochen zeigen.
       
       In Peking sind sie bereits zu sehen. Dutzende Korrespondenten haben sich in
       den letzten Tagen in die Notaufnahmen der Kliniken geschlichen. Was sie
       dort zu sehen bekamen? Überfüllte Flure, auf denen ältere Patienten mit
       Sauerstoffflaschen um ihr Leben ringen. Überforderte Ärzte, die hektisch
       durch die Gänge rennen – und oftmals selber unter Corona leiden.
       
       ## Alarm geschlagen
       
       Jetzt schlug auch Wang Xiangwei Alarm. Der chinesische Journalist, der
       nahezu 26 Jahre für die Hongkonger South China Morning Post gearbeitet hat,
       berichtet von einer „menschengemachten Krise“: Während Fiebermittel und
       Blutkonserven Mangelware sind, werden die Krankenhäuser vom
       Patientenansturm überlastet und die Leichenhäuser von Toten überfüllt.
       
       „Da China fast drei Jahre Zeit hatte, um von anderen Ländern zu lernen und
       sich auf die Öffnung vorzubereiten: Wie kommt es, dass sie es so
       vermasseln?“, schreibt Wang in seinem persönlichen Newsletter. Und er
       liefert gleich die Antwort: Peking habe „von Beginn an alle Prioritäten
       falsch gesetzt“.
       
       Milliarden an Euro seien für Quarantänelager und Massentests ausgegeben
       worden, die beim Ausbau von Notfallbetten und Fieberkliniken fehlten. Zudem
       haben die Behörden zu Beginn des Impfprogramms die Vakzine nur für 18- bis
       59-Jährige zugelassenwas die Impfskepsis unter den Senioren erhöht habe.
       Der Notstand an Fiebermedizin hat auch damit zu tun, dass die Regierung
       deren Verkauf bis vor wenigen Wochen extrem erschwert hat – aus Angst,
       Personen könnten ihre Corona-Infektion verheimlichen.
       
       27 Dec 2022
       
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