# taz.de -- Pop-Superstar Taylor Swift: „It’s me, hi. I’m the problem“
       
       > Die US-Sängerin Taylor Swift bricht zurzeit alle Rekorde. „Ich bin’s,
       > hallo. Ich bin das Problem“, singt sie. Warum ist sie damit so
       > erfolgreich?
       
 (IMG) Bild: Taylor Swift gibt ihren Fans Rätsel auf und schafft sich damit ihr eigenes Universum
       
       Metaverse, virtuelle Multiversen, enhanced reality und Cyberspaces … ich
       weiß nicht, wie es Ihnen mit diesen Begriffen geht, die uns von allen
       Seiten um die Ohren gehauen werden. Können Sie damit etwas anfangen, oder
       sind Sie zu beschäftigt damit, sich in den Tiefen der echten Universen mit
       Klima- und Wirtschaftskrisen zurechtzufinden?
       
       Zumindest bei einer Person kann ich etwas mit dem Universum anfangen, das
       sie selbst erschaffen hat. Es ist sicher kein Metaverse, aber schon eine
       dezidiert eigene Welt, die sich Grammy-Gewinnerin Taylor Swift mit ihrem
       neuen Album „Midnights“ und mithilfe einer riesigen Fanpower und
       Social-Media-Macht gebaut hat. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass
       [1][Taylor Swift] den Traum lebt, den Mark Zuckerberg oder Elon Musk nur
       unbeholfen formulieren. „This is Taylor’s world now … We’re just living in
       it.“
       
       Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Albums kündigte Swift unter dem
       Titel „The Eras Tour“ ihre erste Konzertreise seit fünf Jahren an und
       begann den Countdown für riesige Zusammenkünfte in der realen Welt der USA.
       Im März 2023 soll es in Arizona losgehen. Eine Reise durch verschiedene
       Etappen ihrer musikalischen Karriere soll es laut Ankündigungstext werden.
       Doch als die Fans sich auf die Seite stürzten, um Tickets zu kaufen,
       twitterte die Ticketfirma, aufgrund der „außerordentlich hohen Nachfrage“
       und des dafür „ungenügenden Kartenkontingents“ sei der öffentliche
       Vorverkauf für die Tour gestoppt worden.
       
       Die Swifties waren am Ende und verliehen ihrer Wut und ihrem Schmerz in den
       sozialen Medien Ausdruck. Aber auch an Sarkasmus mangelte es nicht. Selbst
       Swifts Kosmos schien nicht vor Krisen gefeit, doch im Unterschied zur
       realen Welt gibt es in ihrer eigenen keine ausweglosen Situationen. Und so
       wandte sich [2][Taylor Swift via Instagram an die wertvollsten Wesen ihres
       Universums], die leer ausgegangenen Fans: „Ich hoffe, dass wir mehr
       Möglichkeiten haben, uns alle zu treffen und diese Songs zu singen. Danke,
       dass ihr dabei sein wolltet. Ihr habt keine Ahnung, wie viel das bedeutet.“
       
       Während ich mir ein Video anschaue, in dem Swift Schwierigkeiten hat, die
       sechs Trophäen, die sie bei den American Music Awards überreicht bekam, zu
       halten, ohne sie fallen zu lassen, kommen ständig neue Nachrichten über
       ihre Tour, über ihre Albumverkäufe, ihre Tiktok-Videos und, und, und.
       Unweigerlich stellt sich mir die Frage: Was ist eigentlich das Ding an
       Taylor Swift?
       
       Ich glaube, alles begann, als sie bei den 39. MTV Video Music Awards im
       August gleich drei Preise absahnte. Als sie zum dritten Mal die Bühne
       betrat und wieder einmal ihren Fans dankte, kündigte sie mit den Worten:
       „Wir treffen uns um Mitternacht“, ihr zehntes Studioalbum „Midnights“ an.
       Pünktlich um Mitternacht postete sie dann tatsächlich Details zum Release.
       Wir bekamen das Cover zu sehen und erfuhren, dass es sich um ein
       Konzeptalbum mit 13 Songs handele, die sich um 13 schlaflose Nächte in
       verschiedenen Abschnitten von Swifts Leben drehten.
       
       Die Swifties rasteten aus. Und schrien sofort nach mehr. „Midnights“
       verhieß mehr, die Ankündigung war so etwas wie ein umfassendes Update des
       Swift-Universums, voller Rätsel, die gelöst werden, voller Referenzen, die
       entschlüsselt werden wollten, und voller Quests für alle.
       
       Taylor Swift wird zwar auch wegen ihrer Musik gefeiert, aber vor allem
       wegen ihrer besonderen Nähe zu ihren Fans geliebt. Seit ihrem Debütalbum
       2006 droppt sie auf Schritt und Tritt geheime Messages, in den Songtexten
       und anderswo. Ihre Fans werden zu Hänsel und Gretel, die auf dem Weg durch
       einen Zauberwald immer wieder kleine Brotkrumen zum Einsammeln finden. Wenn
       sie der Spur folgen, werden sie Teil der Swift-Story, ja Teil eines
       eigenständigen Universums, das sich durch eine spezielle Sprache, Vorlieben
       und Ereignisse auszeichnet. Die Clips, die Songtitel, ihre Outfits und
       sogar ihre Collabs, alles enthält eine geheime Botschaft. Und die Swifties
       sind die Detektiv*innen, die alle Indizien zusammenzufügen lernen, weil
       sie etwas Großem auf der Spur sind.
       
       So wollen Fans auf dem neuen Swift-Album dem Namen des noch ungeborenen
       Babys von Taylors Freund*innen Blake Lively und Ryan Reynolds auf die
       Spur gekommen sein. Nicht ganz abwegig, schließlich gab es so etwas ja in
       der Vergangenheit schon einmal. Und natürlich regnet es in den Videos und
       Lyrics Anspielungen auf Kanye West und Kim Kardashian, mit denen sich Swift
       seit Langem im Krieg befindet. Sie teilt Gossip über verflossene Lover,
       antwortet auf Kritik, die sie bekommt, und erzählt von Ereignissen und
       Personen, die in ihrem Leben tiefe Spuren hinterlassen haben.
       
       Was daran fasziniert? Taylor Swift ist eine moderne Märchenerzählerin. Wie
       so oft in Märchen geht es auch in den Texten der Sängerin oft um Verrat
       oder das Betrogenwerden. Manchmal denke ich, sie benutzt ihre Lieder
       einfach nur, um sich zu rächen, an Menschen und Geschehnissen. Sie erzählt
       schlicht von dem, was sie aus ihrem eigenen Leben am besten kennt. Und
       Figuren, die sich erfolgreich rächen, finden immer sehr viele Fans.
       
       Gleichzeitig schreibt die 32-Jährige aus Pennsylvania über fiktionale
       Charaktere, die sie anhimmelt, und stellt sich damit auf eine Stufe mit
       ihren Fans, sie ist selber Fan. Dass auch sie als Superpromi nichts anderes
       ist als jemand, der andere anhimmelt – was kann es für einen Fan Schöneres
       geben?
       
       Swift erfindet eine gemeinsame Geschichte mit Vergangenheit und Zukunft für
       sich und ihre Fans. Das gibt diesen das Gefühl, nicht nur passive
       Zuschauer*innen ihrer Rachefeldzüge zu sei, sondern Teilnehmer*innen
       eines interaktiven Spiels, in dem es Herausforderungen zu bewältigen und
       gemeinsam an den gemachten Erfahrungen zu wachsen gilt. Das
       [3][funktioniert über Tiktok hervorragend: „Midnights Mayhem With
       Me][4][funktioniert über Tiktok hervorragend: „Midnights Mayhem With Me]“
       heißt die Videoreihe, worin sie, flankiert von Geschichten und Gaststars,
       die Songs auf ihrem Album ankündigt. So etwas wie Musikpresse braucht
       jemand wie Swift nicht mehr. Ihr eigenes Universum, in dem andauernd etwas
       Neues passiert oder angekündigt wird, scheint mehr menschliche Bedürfnisse
       anzusprechen als das Metaverse oder künstliche Intelligenz. Im Magazin The
       Atlantic spricht die Journalistin Caroline Mimbs Nyce mit dem
       Spieleentwickler und Schriftsteller Wagner James Au. Beide sind sich einig,
       dass Swifts virtuelle Community die Obsession von Mark Zuckerbergs Projekt
       Metaverse weit hinter sich lässt. Denn wo dieser nur den Anspruch habe,
       eine technische Infrastruktur bauen zu lassen, von der wir noch nicht viel
       sehen, könne Swift auf Hunderte von Millionen Fans zurückgreifen, für die
       sie längst ein funktionierendes Universum geschaffen habe. Auf Tiktok
       folgen ihr 15,2 Millionen Menschen, auf Instagram 229 Millionen und auf
       Twitter 91,5 Millionen. Dreidimensionale Räume seien das zwar noch nicht.
       Aber im Unterschied zu Zuckerberg sei Swift eine Marke mit eigener Ästhetik
       und einem Blick auf die Welt, den all diese Menschen teilen.
       
       Die Zeit wird zeigen, ob Taylor ihren Swifties auch einen
       dreidimensionalen Erfahrungsraum bescheren wird. Bis dahin werden ihre
       Songs, Clips und Posts die bestehende virtuelle Gemeinschaft wohl noch
       vergrößern. Denn schließlich spielen wir alle ihr Spiel: [5][„It’s me, hi!
       I’m the problem, it’s me!“]
       
       Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
       
       24 Nov 2022
       
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